5
Liebele
box 13/5
„
5 0KT. 1933
BY IRVING SCHWERKE
LIEBELEI, play in three acts, by Arthur
Schniteler. Freuch translation by Su¬
zanne Clauser. At the Vieur-Colom¬
bier.
The Pitoeffs opened their season
Thursday afternoon stthe Vieux-Colom¬
vier, giving an excellent presentation of
Arthur Schnitzler’s Liebelei. The play,
already well knöwn to Parisians through
he film version shown about town last
eason, was warmly received. Notwith¬
tanding the fact that Mme. Clauser had
nade an excellent adaptation of the
vork, and that the costuming and stag¬
ng were clever, I feel that the suceess
f the enterprise was due principally to
ludmilla Pitoeff, charmingly appealing
s Christine Weiring, and her efficient
onfrères Mmnes. Agnes Capri (Mitzie
chlager), Nora Sylvère (Catherine
linder), MM. Balpetre (Weiring), Mar¬
el Herrand (Fritz Lobheimer), Louis
alou (Theodore Kaiser), Raymond Da¬
and (Un Monsieur) and little Fvette
aillon (Lina). As everybody saw Liebe¬
1 in the cinema, everybody knows its
ory—that it gives a glimpse of life and
ve In pre-War Vienna. If at times the
tion seemed a trifle slow or strained,
ie must remember that Schnitzler’s
iblic was sentimentally inelined, free
krom the rush and worry of what peo¬
ple call our modern times, that the en¬
joyment they got out of an evening in
the theatre. did not depend upon menus
of depravity and sex gone rampant.
Those were apparently the good old
days when the theatre was content to
relax and amzuse its customers, at times
give them a vision of tragic nobility and
grandeur.
The Pitoeffs opened their seance with
a öne act drama, also by Schnitzler and
translated by Mme. Clauser, entitled Des
Derniers Masques, It was acted by Bal¬
petre (Charles Rademacher), Henrz
Gaultier (Florian Jackwerth) Louis
Salon (Alexandre Weihgast), Raymond
Dagand (Dr. Halmschloger), Serge de
Sawely (Dr. Thann) and Mme. Nora
Sylvere (Nurse Paschanda). The gist of
the action is the passing of a journalist
who dies because of discouragement—
they don't do it that way nowl—and
frankly, it was tiresome and overdone,
and I forbid anyone to believe that
journalists are or can be killed off by
discouragement. In fact, most reporters
will tell you they thrive on it and take
it every morning with their coffee.
unschimte
WIEN, I., WOLLZEILE 11
TELEPHON R-23-0-43
A#.rschnitt aus:
Nenes Eiener Joul se5.
vom: 5.0KT.
Schnitzlers „Liebelei“ in Paris.
Von
H. J. (Paris).
Paris, Anfang Oktober.
Im Théätre du Vieux Colombier brachte die Compagnies
Pitoeff „Liebelei“ von Artur Schnitzler zur französischen Ur¬
aufführung. Etwas spät, wenn man bedenkt, daß die Wiener
Erstaufführung im Jahre 1895 im Burgtheater stattfand. Was
die Veranlassung dazu gab, das Verspätete heute nachzuholen,
ist vielleicht eine Art von schlechtem literavischem Gewissen,
jahrzehntelang an dem großen Wiener Dichter vorbeigegangen
zu sein. Pitoeff hatte schon im vergangenen Jahr Schnitzlers
„Reigen“ hervorgeholt. Er näherte sich mit dieser Wahl sicher¬
lich sehr dem Geschmack der Pariser Boulevardbühne an, aber
er hat kaum damit dem Dichter gedient. Daß er sich diesmal
für die „Liebelei“ entschied, veranlaßte sicherlich der ganz
außergewöhnliche Erfolg, den der „Liebelei"=Film seit Monaten
in deutscher Sprache auf der Leinwand eines ambitonierten
Pariser Kinotheaters erzielt.
Der Julzenierung, für die Georges Pitoeff selbst zeichnete,
ist zu allererst der Vorwurf zu machen, daß sie sich nicht die
geringste Mühe gibt, die stimmungsmäßigen und gesellschaft¬
lichenssetzungen, aus denen sich Schnitzlers Tragödie
entwickelt, herausenarheiten Wo bleibt der Duft, der leichte
Rausch, die Hingegebenhei und Naivität, die über den Dialogen
Schnitzlers unvergänglich sche
Was der Pariser Zuschauer
zu sehen bekommt, ist
die im letzten Augenblel
an der Wirklichkeit zerbricht,
##n eine banale Liebesaffäre.
Daß sie obendrein noch in einem empfindungslosen, schluder¬
haften Sachlichkeitstempo abgewickel
macht sie dem
heutigen Zuschauerm die tragischen Konfli##e von 1890 schon
etwas zu fern sind, vollends unverständlich. Nur manchmal
schwebte etwas von der mung auf, aus der das Stück
erblüht: das ist, wenn ei Takte Wiener Musik auf dem
Klavier angeschlagen
Publikum und sichtlich auch
die Schauspieler augenblicklich in den Bann der vergangenen
Jahre ziehen.
Die Rolle der Christine Ludmilla Pitoeff anzu¬
vertrauen, war eine ausgesprochene Fehlbesetzung. Diese sonst
vorzügliche Schauspielerin besitzt weder die äußerlichen noch
die innerlichen Voraussetzungen, um ein an enttäuschter Liebe
hinsterbendes Mädchen spielen zu können. Man hört und sieht
es, mit welchem Unbehagen sie die Rolle herunterspielt. Jeder
Ton sitzt falsch, jede Geste ist verkrampft und die dramatischen
Akzente sind immer an die unrichtige Stelle verlegt. Ganz
allgemein ist zu dem Fall Pitoeff zu bemerken, daß sich diese
beiden verdienstvollen Theaterleute, die einmal mit neuen
Formeln des Theaterspielens begannen, in den letzten Jahren
immer mehr von ihrer Linie entfernt haben, woran der Wunsch,
alles zu spielen, hauptsächlich Schuld tragen dürfte. So zehren
sie heute und vielleicht noch für einige Zeit von altem Ruhm,
auf den man ihnen aber schwerlich noch lange Kredit geben
wird. Die Uiebertragung von Suzanne Clausner ist wie die
Aufführung farblos, Dichterisches banalisierend und boulevardhaft.
Es ist bedauerlich, daß trotz allem unverkennbaren guten
Willen Schnitzler zum zweitenmal in Paris schlecht behandelt
wurde. Daß dennoch das Publikum der Premiere überraschend
lebhaft applaudierte, ist nur ein Beweis für die Unzerstörbarkeit
des Schnitzlerschen Werkes.
Liebele
box 13/5
„
5 0KT. 1933
BY IRVING SCHWERKE
LIEBELEI, play in three acts, by Arthur
Schniteler. Freuch translation by Su¬
zanne Clauser. At the Vieur-Colom¬
bier.
The Pitoeffs opened their season
Thursday afternoon stthe Vieux-Colom¬
vier, giving an excellent presentation of
Arthur Schnitzler’s Liebelei. The play,
already well knöwn to Parisians through
he film version shown about town last
eason, was warmly received. Notwith¬
tanding the fact that Mme. Clauser had
nade an excellent adaptation of the
vork, and that the costuming and stag¬
ng were clever, I feel that the suceess
f the enterprise was due principally to
ludmilla Pitoeff, charmingly appealing
s Christine Weiring, and her efficient
onfrères Mmnes. Agnes Capri (Mitzie
chlager), Nora Sylvère (Catherine
linder), MM. Balpetre (Weiring), Mar¬
el Herrand (Fritz Lobheimer), Louis
alou (Theodore Kaiser), Raymond Da¬
and (Un Monsieur) and little Fvette
aillon (Lina). As everybody saw Liebe¬
1 in the cinema, everybody knows its
ory—that it gives a glimpse of life and
ve In pre-War Vienna. If at times the
tion seemed a trifle slow or strained,
ie must remember that Schnitzler’s
iblic was sentimentally inelined, free
krom the rush and worry of what peo¬
ple call our modern times, that the en¬
joyment they got out of an evening in
the theatre. did not depend upon menus
of depravity and sex gone rampant.
Those were apparently the good old
days when the theatre was content to
relax and amzuse its customers, at times
give them a vision of tragic nobility and
grandeur.
The Pitoeffs opened their seance with
a öne act drama, also by Schnitzler and
translated by Mme. Clauser, entitled Des
Derniers Masques, It was acted by Bal¬
petre (Charles Rademacher), Henrz
Gaultier (Florian Jackwerth) Louis
Salon (Alexandre Weihgast), Raymond
Dagand (Dr. Halmschloger), Serge de
Sawely (Dr. Thann) and Mme. Nora
Sylvere (Nurse Paschanda). The gist of
the action is the passing of a journalist
who dies because of discouragement—
they don't do it that way nowl—and
frankly, it was tiresome and overdone,
and I forbid anyone to believe that
journalists are or can be killed off by
discouragement. In fact, most reporters
will tell you they thrive on it and take
it every morning with their coffee.
unschimte
WIEN, I., WOLLZEILE 11
TELEPHON R-23-0-43
A#.rschnitt aus:
Nenes Eiener Joul se5.
vom: 5.0KT.
Schnitzlers „Liebelei“ in Paris.
Von
H. J. (Paris).
Paris, Anfang Oktober.
Im Théätre du Vieux Colombier brachte die Compagnies
Pitoeff „Liebelei“ von Artur Schnitzler zur französischen Ur¬
aufführung. Etwas spät, wenn man bedenkt, daß die Wiener
Erstaufführung im Jahre 1895 im Burgtheater stattfand. Was
die Veranlassung dazu gab, das Verspätete heute nachzuholen,
ist vielleicht eine Art von schlechtem literavischem Gewissen,
jahrzehntelang an dem großen Wiener Dichter vorbeigegangen
zu sein. Pitoeff hatte schon im vergangenen Jahr Schnitzlers
„Reigen“ hervorgeholt. Er näherte sich mit dieser Wahl sicher¬
lich sehr dem Geschmack der Pariser Boulevardbühne an, aber
er hat kaum damit dem Dichter gedient. Daß er sich diesmal
für die „Liebelei“ entschied, veranlaßte sicherlich der ganz
außergewöhnliche Erfolg, den der „Liebelei"=Film seit Monaten
in deutscher Sprache auf der Leinwand eines ambitonierten
Pariser Kinotheaters erzielt.
Der Julzenierung, für die Georges Pitoeff selbst zeichnete,
ist zu allererst der Vorwurf zu machen, daß sie sich nicht die
geringste Mühe gibt, die stimmungsmäßigen und gesellschaft¬
lichenssetzungen, aus denen sich Schnitzlers Tragödie
entwickelt, herausenarheiten Wo bleibt der Duft, der leichte
Rausch, die Hingegebenhei und Naivität, die über den Dialogen
Schnitzlers unvergänglich sche
Was der Pariser Zuschauer
zu sehen bekommt, ist
die im letzten Augenblel
an der Wirklichkeit zerbricht,
##n eine banale Liebesaffäre.
Daß sie obendrein noch in einem empfindungslosen, schluder¬
haften Sachlichkeitstempo abgewickel
macht sie dem
heutigen Zuschauerm die tragischen Konfli##e von 1890 schon
etwas zu fern sind, vollends unverständlich. Nur manchmal
schwebte etwas von der mung auf, aus der das Stück
erblüht: das ist, wenn ei Takte Wiener Musik auf dem
Klavier angeschlagen
Publikum und sichtlich auch
die Schauspieler augenblicklich in den Bann der vergangenen
Jahre ziehen.
Die Rolle der Christine Ludmilla Pitoeff anzu¬
vertrauen, war eine ausgesprochene Fehlbesetzung. Diese sonst
vorzügliche Schauspielerin besitzt weder die äußerlichen noch
die innerlichen Voraussetzungen, um ein an enttäuschter Liebe
hinsterbendes Mädchen spielen zu können. Man hört und sieht
es, mit welchem Unbehagen sie die Rolle herunterspielt. Jeder
Ton sitzt falsch, jede Geste ist verkrampft und die dramatischen
Akzente sind immer an die unrichtige Stelle verlegt. Ganz
allgemein ist zu dem Fall Pitoeff zu bemerken, daß sich diese
beiden verdienstvollen Theaterleute, die einmal mit neuen
Formeln des Theaterspielens begannen, in den letzten Jahren
immer mehr von ihrer Linie entfernt haben, woran der Wunsch,
alles zu spielen, hauptsächlich Schuld tragen dürfte. So zehren
sie heute und vielleicht noch für einige Zeit von altem Ruhm,
auf den man ihnen aber schwerlich noch lange Kredit geben
wird. Die Uiebertragung von Suzanne Clausner ist wie die
Aufführung farblos, Dichterisches banalisierend und boulevardhaft.
Es ist bedauerlich, daß trotz allem unverkennbaren guten
Willen Schnitzler zum zweitenmal in Paris schlecht behandelt
wurde. Daß dennoch das Publikum der Premiere überraschend
lebhaft applaudierte, ist nur ein Beweis für die Unzerstörbarkeit
des Schnitzlerschen Werkes.