II, Theaterstücke 4, (Anatol, 0), Anatol, Seite 25

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4. Anato
ertere enetere eten e
Zimmer der Ermordeten schlafen, streitsüchtig geschildert.
Lärm und Spektakel sind übrigens in dem Hause
and getrennt, deren Quartierleute,
n. Diese behaupten, trotzdem sie] Odeongasse Nr. 1 sehr häufig und es vergeht keine Nacht,
weisen, einen offenen Sinn für die modernen Bestrebungen
fläche. Daß im Gemüthe seiner
auf theatralischem Gebiete. Müller war sogar einer der
d einfältig sie auch sein mag, ein
Ersten, die in Wien für Ibsen Propaganda machten. So
ß, das läßt er uns nicht einmal
hoch er jedoch auch den nordischen Dramatiker schätzt, s#
er dieses tiefe und schmerzliche Ge¬
ist er gleichwohl kein unbedingter Bewunderer seiner Werke.
age gefördert hätte, erst dann
Er sieht in Ibsen nur einen Bahnbrecher und er wagt
nd voll, erst dann hätte uns Bahr
sogar die kühne Behauptung, daß Gerhard Hauptmann
er nicht nur ein geistreicher,
bereits über Ibsen hinausgedrungen sei, und daß er ihn in
Anempfindungsfähigkeit aus¬
n
den „Einsamen Menschen“ an Gestaltungskraft übertroffen
sondern auch ein Dichter ist. Diesen
habe. Seltsamerweise besitzt Müller, der ja einen scharfen
ch erbringen.
theaterpraktischen Blick hat, für die mudernen französischen
Hermann Bahr's ist Arthur
Dramatiker gar kein Verständniß. Er preist unter den
nas die schillernde Beweglichkeit des
Meistern der französischen Bühne nur Augier, der jetzt schon
ffehlt. In seinem Buche „Anatol“
in Frankreich als antiquirt gilt, und er geräth in einen
des Bibliographischen Bureaus)
heiligen Zorn beim Gedanken, das Wilbrandt als Burg¬
tler in sieben reizenden Einaktern
theaterdirektor die Pariser Dramatiker auf der ersten Bühne
und als geistvollen und scharfen
Deutschlands eingebürgert. Das ist eine deutschthümelnde
deutigen Gesellschaftsschichte kennen.
Schrulle, von der den zukünftigen Direktor des Raimund¬
us demselben Holze geschnitzt, wie
Theaters die harte Zucht der Nothwendigkeit gar bald heilen
aber er hat mehr Gemüth, mehr
dürfte.
gende Körperlichkeit, als der Held
Von demselben Autor ist dieser Tage erst ein neues
Ehebruchsgeschichte. Und obendrein
Buch „Im Jahrhundert Grillparzer's“ (Wien, Verlag von
Maivetät der Empfindung inmitten
Kirchner und Schmidt 1893) erschienen.
tion. Durch diesen Zug gewinut
In diesem Werke liefert der Verfasser durch eine ein¬
hie. Anatol richtet vorderhand sein
gehende und an psychologischen Tiefblicken reiche Charakte¬
skünstlerinnen, Balletdamen und
ristik der hervorragendsten österreichischen Dichtergestalten
da ihn der Verfasser als ver¬
ein lebendiges Bild jenes literarischen Jahrhunderts in
fißt, so werden wir hoffentlich in
Oesterreich, das mit dem 15. Jänner 1891, dem hundertsten
seinen externen Liebesdrang auf
Geburtstage Grillparzer's, seinen Abschluß gefunden. Es ist
r tieferen Perspektive sich bethätigen
dies eine sehr verdienstliche Arbeit, die jedoch eine viel
tiefere Perspektive dadurch gewonnen hätte, wenn der Autor
[Guttenbrunn ist kein Jünger der
nicht leichthin, sondern in eindringlicher Weise die Dichter,
besitzt trotzdem, wie seine „Drama¬
esden, E. Pierson's Verlag 1892) be= deren Entwicklung er vorführt, mit den geistigen Strö¬
2 Betit umrO
Scnade
Riemens hing über die Brust hinab.
Am Haise waren von links nach rechts
mungen unserer Zeit in Zusammenhang gebracht und da¬
nach gedeutet hätte.
Der Privatdozent an der hiesigen Universität, Herr
Dr. Emil Reich, sonst ein friedlicher, theoretisirender
Aesthetiker, ist in seinem Buche „Die bürgerliche Kunst
und die besitzlosen Klassen" (Leipzig 1892, Verlag von
Wilhelm Friedrich) jählings als geharnischter Fürsprecher
der modernen Kunst und der Forderung: Panem et
circenses (Brot und Spiele) auf die Arena des künstleri¬
schen und politischen Parteikampfes hinausgestürmt. Er
übersieht jedoch in seinem Feuereiser, daß viele Wege in
den Tempel der Kunst führen.
Von einem Künstler zu verlangen, daß er ausschlie߬
lich soziale Stoffe behandeln soll, ist ein einseitiges, unge¬
rechtes Begehren. Seinem beredten Plaidoyer hingegen,
dafür, daß man die soziale Frage nicht blos als Magen¬
frage betrachten dürfe, sondern dem arbeitenden Proletariat
auch sein Recht auf geistigen Genuß mittelst Antheil an der
Kunst sichern müsse, Zimmen wir aus ganzem Herzin bei.
Und nun wollen wir zum Schluß noch die Arbeit
eines jungen Schriftstellers, Herrn B. Stern, her¬
vorheben, der durch zwei gediegene kulturgeschichtliche We#e
über Rußland bereits die Anerkennung fachwissenschaftlicher
Kreise errungen hat. Seine jüngste Arbeit: „Die Roma¬
now's“ (Berlin 1893, Verlag S. Cronbach), behandelt auf
Grund eines reichen Quellenmaterials intime, zumeist
erotische Episoden aus dem russischen Hofleben. Bei der
Lektüre dieses Werkes finden nicht nur der Historiker, son¬
dern auch der gewöhnliche Leser seine Rechnung. Es ist
interessant, pikant, liest sich fast wie ein Roman und wird
baber sichtrlch bald sein Publikum finden.
Morco Brociner.