II, Theaterstücke 4, (Anatol, 8), Anatol, Seite 1

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Zyklus
4.9. Anatol
Telephon 12801.

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(Quellenangabe ohne Gewähr.
Ausschnitt aus: Leipziger Tagblatt
9.
vom
Prager Theater. Aus Prag wird uns geschrieben: Schnitzlers
„Anatol, von dem bisher an Deutschen Bühnen nur die eine
Szene aufgeführt worden ist, hat nunmehr an unserem Deutschen Landestheater
eine vollständige Belebung erfähren. Es wurden gestern als volkstümliche
Sonntags=Vorstellung vor vollem Hause fünf Szenen „Die Frage an das Schick¬
sal", „Episode", „Denksteine“, „Abschiedssouper" und „Anatols Hochzeitsmorgen
gegeben; die zwei letzten sollen bald folgen. Das Publikum war förmlich über¬
rascht von dem sprühenden Humor, dem scharfen Blick und satyrischen Laune,
die sich in diesem Erstlingswerke Arthur Schnitzlers ausdrückt und nahm die
sämtlichen Szenen mit großem Beifalle auf. — Leo Falls Operette „Der
fidele Bauer errang Sonntag bei seiner Erstaufführung im Neuen Deutschen
Theater in Prag einen ehrlichen Erfolg, den sowohl der volktümlichen Einfachheit
der Handlung als auch der Grazie und Ehrlichkeit der Musik zuzuschreiben ist.
Die Königl. Preußische Kammersängerin Emmy Destinn gastiert gegenwärtig am
tschechischen Nationaltheater. Selbst wenn sie keine große Künstlerin wäre
würde sie doch enormen Zulauf haben, weil sie sich als fanatische Tschechin
brüstet, die hier nicht deutsch kann. Als Königl. Preußische Kammersängerin sollte
sie keinen Tschechisierungsverein unterstützen. Von Theaterdirektoren, insbesondere
von Hoftheaterleitungen könnte man doch verlangen, daß sie nicht nach inter¬
nationaler Kaufmannsart das Gute nehmen, woher sie es bekommen. Schlie߬
lich ist es Hauptaufgabe eines deutschen und gar eines kgl. preußischen Theaters,
deutsche Kunst durch deutsche Künstler darzustellen oder wenigstens durch solche
Künstler, die bereit sind, sich dem deutschen Wesen zu assimilieren.

1908.
.
an die Expedition der „Bohemia" senden.

nalwirtshaus an der Lahn. Schon wie
der eins! Offenbar schwebte ein Geheimnis über
diesem Ort, und ich schwur mir, der Teufel sollte
mich holen, wenn ich nicht herauskriegte, welches
das richtige war.
Das nächste war das „Einzigste Wirtshaus
an der Lahn" — offenbar eine etwas kühne Be¬
hauptung. Dann kam ein „Vegetarisches
Wirtshaus an der Lahn, eins, das vor Nach¬
ahmungen warnte, und schließlich noch sechs oder
sieben andere, deren Titel ich vergessen habe.
Wären noch mehr Häuser in Dausenau gewesen,
dann hätte es auch noch mehr Wirtshäuser an der
Bahn gegeben.
Aber da stand noch ein einziges Häuslein
etwas abseits im Gebüsch. Es war ganz mit
Reblaub überwachsen und blitzte nur so vor
Sauberkeit. „Es wird kein Wirtshaus sein!"
dachte ich. „Es sieht zu hübsch und zu nied¬
lich aus. Doch als ich näher kam, da bemerkte
ich ein blankes Schild: „Zum neuen Wirtshaus
an der Lahn“. Und am Fenster hing ein Plakat:
Soeben eröffnet. Zum Besuch ladet ein die
junge Wirtin
Und hier kehrte ich fröhlich ein und vergaß
bei der jungen Wirtin das alte, das echte, das
historische und das Originalwirtshaus. Ich weiß
jetzt, auf welche Wirtschaft das Lied gedichtet
worden ist, aber es war doch ein Stück Arbeit es
herauszufinden.
Theater und Musik.
Anatol.
Deutsches Landestheater.)
Es hat oft etwas Wehmütiges, auf die ge¬
lungenen Erstlinge eines Dichters zurückzugreifen.
Es ist darin das unausgesprochene Geständnis
enthalten: Ja, damals, als wir von ihm noch
ganz anderes erwarteten! Man muß nicht immer
auf das typische Beispiel von Halbe hinweisen.
Einen ähnlichen „Jugend“=Erfolg hatte mancher
Zeitgenössische und die Fortsetzung war ein müh¬
sames Tasten in Unzulänglichkeiten. Philipp Lang¬
mann und Georg Hirschfeld haben ein ähnliches
Schicksal. Aber Artur Schnitzler ist kein solches
Haupttreffergenie mit einmaliger Glückshand. Als
ihn seine feinfühlige, in ureigener Anschauung
wurzelnde Tragödie „Liebelei", auf der deutschen
Bühne populär machte, war er bereits ein reifer
Dichter mit dramatischen Voraussetzungen. Er
hatte seine famose Dialogstudie „Anatol ab¬
solviert, die ihn als Psychologen einer melan¬
cholisch-heiteren Dämmerwelt und als scharfgei¬
stigen Dialogkünstler beglaubigte. Und was nach
der „Liebele" folgte, war ein Steigern der ge¬
wonnenen Fähigkeiten, ein Fortwühlen in den
Geheimnissen, an welchen sein forschender Geist
gerührt hatte. Selbst das scharfe Nordlicht des
großen Skandinaviers Ibsen, in welches Schnitzler
zu lange hineingestarrt hat, schädigte nicht den
Blick des Wiener Gefühlsproblematikers und man
darf trotz seines „Einsamen Weges" hoffen, daß
er das Augenflimmern fremder Lichtstrahlen längst
überwunden hat. Eine szenische Realisierung der
dramatischen Anatol-Skizzen hat für uns heute
geradezu ein dokumentarisches Interesse für den
Werdegang eines Künstlers und wir empfinden
seine dialogisierten Proben bei aller Eintönig¬
keit der Form als die wertvolle Kleinplastik eines
für große Entwürfe heranreifenden Bildners.
Es sind die Vorläufer Schnitzlerschen Geistes
und heute, wo wir die Reversicht über das Ge¬
samtwerk des Dichters haben, macht uns die
Entdeckung seiner Eigenart gerade in der ver¬
kürzten Experimentierform besondere Freude.
Wir wissen: manche Andeutung, manches lächelnde
Spiel mit ernsten Dingen, hat der Dichter in
sich fortwirken lassen, Stimmungen, die anklin¬
gen, schwollen zu erschütterndem Lebensakkorden