II, Theaterstücke 4, (Anatol, 8), Anatol, Seite 102

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4.9. Anatol - Zyklus
„OB
ter
kon¬
für 7.
4
Konkord
Berliner Börsen Zeitung,
Morgenausgabe
Kunst und Wissenschaft.
Das Lessing=Theater kam gestern mit
Arthur Schnitzlers Einakterzyklus „Anatol
heraus. Es brachte natürlich nicht den ganzen
Zyklus, der aus ungefähr zehn Stücken besteht
sondern nur die fünf: „Frage an das Schicksa
„Weihnachtseinkäufe", „Abschiedssouper", „Episode
und „Anatols Hochzeitsmorgen“. Und das war
eine gute Auswahl, die es zu einem schönen, starken
Erfolge brachte.
Drei dieser Einakter, „Episode", „Weihnachts¬
einkäufe" und „Hochzeitsmorgen", sind in Berlin
noch nicht gegeben worden, waren also gestern so
etwas wie Novitäten. Aber sehr neu muteten sie
nicht an und aufregendes ist nicht über sie zu ver¬
melden, denn genauer besehen, ist ja einer dieser
Schnitzlerschen Einakter immer genau so wie der
andere.
Der gute Anatol hat ein Rendezvous oder eine
Begegnung oder er plaudert mit seinem klugen
Freunde Max über die Liebe mit wehmütiger Ironie.
Oder mit ironischer Wehmut, je nachdem und
wie's treft.
Die Stücke sind alle meisterhaft leicht und heiter
hingestellt mit jener an Heine erinnernden Selbstver¬
ständlichkeit, hinter der sich doch feinster künstlerischer
Bedacht und eine erstaunlich vorsichtig abge¬
wo de Oekonomie verbirgt. Unaufdringlich und
vornem lässig wird im Dämmer eleganter
Herrenzimmer geplandert: von jener Passion, für die
das Wort Liebe viel zu ernst und schwer ist; von
der Treue, die keiner hat, vom Vergessen, und wie
heiter das Leben ist und wie traurig trotzdem immer
unser Herz.
Ein bißchen viel Wienertum. Uns, die wir nicht in
Capua geboren sind, geht's doch auf die Nerven,
wenn da die beiden eleganten jungen Herrchen
immer um das Kanapee stehen und von ihren
schwächlichen Abenteuern seufzen und witzeln. Da
draußen braust die Welt, da brechen die Speere in
größten Geisterschlachten. Habt ihr Waschlappen
nichts als eure Coras im Kopfe?
Aber ein feinster Künstler hat das mit leisen Händen
gemeistert und wir haben uns seinem Willen zu
fügen. Außerdem wird im Lessing=Theater stark der
Akzent auf das Lustspielhafte der Werke gelegt, sodaß
die etwas verdrießliche Stimmung, die sich bei der
Lektüre meldet, auszukommen nie Zeit findet.
Den schauspielerischen Ehrenpreis des Abends holte
sich zu allgemeiner Ueberraschung Mathilde
Sussin. Sie war im „Abschiedssouper“ von
einem Uebermut und in all ihrer tollen Laune von
einem Charme, den man der strengen Meisterin
Ibsenscher Frauen nicht zugetraut hätte. Die anderen
Darstellerinnen der durch Schnitzlers Stücke huschenden
süßen Mädels traten hinter dieser starken Wirkung
zurück. Auch Irene Triesch, die als Ilona sich
die Komik ihrer Rolle durch eine herausfordernd über¬
moderne Toilette verdarb.
Den Anatol gab Heinz Moissard mit einer
Glatze, die von Stück zu Stück wuchs wie der Mond
in seinen ersten Vierteln. Er war ganz vortrefflich
sehr drollig und es schadete nicht viel, daß er sich
durch den Beifall des Publikums in den letzten
Stücken verleiten ließ, seine Drolligkeit etwas allzu
sehr zu unterstreichen.
In der brillanten Rolle des Max fiel Reicher
ziemlich ab; schon weil er sich eine herzlich unbedeutende
und unvornehme Maske zurecht gemacht hatte.
V. A.
in Berlin, Brüssel, Budapest,
Genf, Kopenhagen, London, Madrid, Mailand, Minneapols,
New-York, Paris, Rom, San Francisco, Stockholm, St. Peters¬
burg. Toronto.
lange des doute
Aunehat auch
vom
4
Aus dem Kunstleben.
Lessing-Theater.
Schnitzlera „Anatol.
Wir waren bedeutend jünger, als Artur Schnitzlers
elegant melancholische Szenenreihe aus dem abenteuerreichen
Dasein eines Wiener Don Juanito erschien. Aber grade darum
dachten wir heut abend recht vergnügt die nachdenklichen
Witze und heiteren Problemchen des fein unterhaltenden
Buches im Theater zu genießen — zumal es noch immer
eine Ausnahme ist, wenn Brahm die moderne Dramatik
auf die leichte Achsel nimmt.
Es war auch zunächst sehr vergnüglich, den
wegnerischen Lebenskünstler und Selbstbetrüger, seinen
trockenen Freund und Szenenfüller Max und das eine oder
andere Weiner Madl beisammen zu sehen und plauschen
zu hören. Doch ließ die Freude bald nach, da die Geschichte
im wesentlichen sich nur um sich selbst drehte, statt sich vor¬
wärts zu bewegen. Der Horizont ist zu eng, das psycho¬
logisch Fesselnde zu zersplitternd fein für eine regelrechte
Abendfüllung.
Dazu kommt wohl auch, daß die zwei bühnenwirksamsten
der fünf Stücklein („Die Frage an das Schicksal" und „Das
Abschiedssouper") längst, zusammen oder getrennt, über
viele Bühnen gegangen sind. „Weihnachtseinkäufe und
„Episode sind doch gar zu dünn und handlungs¬
los, um als dramatische Werke noch
so kleinen
Stils betrachtet werden zu können. Und zu Ehren
des Dichters muß festgestellt werden, daß er das offenbar
auch gar nicht beabsichtigte, als er in lyrisch-humoristisch¬
sentimentalen Stunden der sachte schwindenden Jugend diese
zarten Skizzen hinwarf. Im selben Maße, in dem sie dem
derberen Wesen des Dramas oder dem lauten des Theaters
sich nähern, im selben Maße müssen sie an ihrem eigensten
Reiz Einbuße erleiden.
Trotzdem eines ins andere gerechnet, ein recht unter¬
haltsamer Abend ward es doch noch. An drolligen
Situationen und witzigen „Prägungen" blieb genug, um
über matte Stellen immer wieder hinwegzukommen.
Das Lessing=Theater hatte auch keine künstlerischen
Kosten gescheut, um den „Anatol“ für die Bühne
zu gewinnen. Die Regie Emil Lessings half tunlichst
nach, allzu Schmächtiges durch Mimenkünste kräftiger
erscheinen zu lassen. Heinz Monnard war im Wieneri¬
schen wie im Selbstironischen des Lebemanns gelegent¬
lich ein bißchen zu besorgt, um deutliche Kund¬
gebung der künstlerischen Absichten, hatte aber viele
köstliche Momente und war der Verlebendigung
des blassen Buch=Anatols im ganzen äußerst nützlich. Aus
Max, dem Mann im Schatten, machte Emil Reichers
launige Mimik erstaunlich viel. Und die Damen
Somary, Lossen, Sussin, Herterich
und Triesch waren jede auf ihrem Posten ebenso reizend
wie vortrefflich. Die beste Gelegenheit, sich auszuzeichnen,
hatten dabei Mathilde Sussin und Irene Triesch, beide
nutzten die Gelegenheit mit glücklicher Mischung von Können
und Laune.
Willy Rath.