II, Theaterstücke 4, (Anatol, 8), Anatol, Seite 376

4.9. Anatol - Zyklu-
.
box 9/1
ancisco, Stockholm, St. Petersburg.
(Quellenangabe eine Comte).
Ausschnitt aus:
K. M. 1912
vom
Klagenfurter Zeitung
Theater, Kunst und Musik.
(Jubiläums=Stadttheater.) Vor zwei Jahr¬
zehnten etwa hat Artur Schnitzler sein erstes
Buch, einen Band dialogisierter Novellen unter
dem Titel „Anatol“, erscheinen lassen, das
ihn mit einem Schlage berühmt machte. Was
an diesen reizenden Dramoletten so verblüffte
und einnahm, war die Originalität des Ein¬
falles und die liebenswürdige Anmut der Be¬
handlung. Den Mittelpunkt all der Dialoge
bildet der elegante, etwas müde Lebemann Ana¬
tol, der sich von seinen Berufskollegen dadurch
unterscheidet, daß er auch über eine ansehnliche
Portion Geist und Gemüt verfügt. Ihm zur
Seite steht der heitere Lebenspraktikus Max als
Helfershelfer und Räsoneur. Die Frauen
wechseln; denn das ist das Eigentümliche bei
diesen Menschen, daß sie aufs zärtlichste und auf¬
richtigste lieben können, ohne treu zu sein.
Schnitzler hat seit der Zeit Ernsteres und Be¬
deutenderes geschaffen und doch sieht man den
losen Erstling hie und da wieder gern. — Das
Gastspiel Josef Victoras brachte uns drei der
sieben Einakter. Den Anfang machte:
Die
Frage an das Schicksal“. Anatol hat seine Ge¬
liebte in hypnotischen Schlaf versenkt, um von
ihr in diesem Zustande zu erfahren, ob sie ihm
treu ist. Aber er fürchtet sich vor der Antwort
und weckt sie, ohne die Frage gestellt zu haben.
„Das Abschiedssouper dürfte das bekannteste
Stück des Zyklus sein und wurde auch bei uns
bereits mit Schramm und Leonore Ehn gegeben.
Es verdankt seine Beliebtheit der witzigen
Schlußpointe. Als drittes wurde „Am Hochzeits¬
morgen gewählt. Anatol ist von seinem Polter¬
abende weg auf die Redoute gegangen und hat
am Morgen seiner Hochzeit alle Mühe, von
seiner Geliebten loszukommen. Wieder gelingt
es Max, diesem überlegenen Kenner der Frauen¬
seelle, seinen Freund aus der Patsche zu helfen.
Der Anatol wird von Bonvivants gern ge¬
spielt. Sie nehmen die Sache gewöhnlich nicht
schwer und stellen mit Aufwendung aller äuße¬
ren Mittel, die sie für ihr Fach parat haben
müssen, einen leichtsinnigen, liebenswürdigen
Lebemann auf die Bühne. Unser prächtiger
Gast, Josef Victora vom Ronachertheater in
Wien, ließ es dabei nicht bewenden. Er hat mit
sicherem Blicke das Tiefere der Gestalt erkannt,
das in dem Gegensatze zwischen Handeln und
Denken zum Ausdrucke kommt. Anatols Han¬
deln ist Leichtsinn, sein Denken aber ist echte
Wiener Schwermut. Das verleiht ihm einen ge¬
wissen müden, hilflosen Zug. Und die ganze Un¬
moral dieses skrupellosen Genießers entspringt
einer so kindlichen Naivität, einer so selbstver¬
ständlichen Verantwortungslosigkeit, daß man
dem Bösewichte nicht gram sein kann. Die be¬
rühmtesten Darsteller haben sich um den Anatol
bemüht, wir können uns keinen besseren vor¬
stellen, als wir ihn gestern zu sehen bekamen.
Namentlich im dritten Stücke zeigte der
Gast sein großes Können. Hier war Irene
voll
Partnerin,
Brion eine gleichwertige