II, Theaterstücke 4, (Anatol, 8), Anatol, Seite 401

4.9. Anatol - Zyklus
Wellenangabe ohne Gewinn
Ausschnitt aus:
resurger Tagblatt
vom 18 1. 1913
Theater, Musik und Kunst.
„Anatol." Lustspiel in 5 Bildern von Ar¬
thur Schnitzler, übersetzt von L. Biro und
E. Goldr. Dieses Werk, welches vor eini¬
gen Jahren in den meisten großen Städten
mit ziemlichen Erfolg gegeben wurde, besteht
eigentlich aus fünf inhaltlich lose zusammen¬
hängenden dramatischen Bildern, eine Art
dramatisiert: Novellen, wie man sie derzeit
häufig als Einakter in Orpheums und Kaba¬
retts zu sehen bekommt. Diesen fünf Geschich¬
ten verleiht die Einheit des Helden und eine
gewisse Auffassung der Liebe den Zusammen¬
hang Als Drama kann dieses Werk daher
nicht in Betracht kommen. Auch sonst ist an den
einzelnen Bildern, was die dramatisch-techni¬
sche Seite derselben anbelangt, nichts Besonde¬
res. Mit etwas gutem Willen könnte man so
manchen Feuilleton auf dieser Weise „dramati¬
sieren“. Der Erfolg wird aber durch den schlag¬
fertigen Dialog und die geschickt zugespitzte
Pointe gesichert. Was nun den gewissen Grund¬
gedanken anbelangt, welcher durch die fünf
Bilder hindurchzieht, müssen wir leider konsta¬
tieren, daß derselbe der Ausfluß der modernen
von den Franzosen importierten Moral=Phi¬
losophie ist, deren Alfa und Omega der Ehe¬
bruch ist. Das Werk zeigt uns das großstädti¬
sche Liebesleben mit seiner laxen Auffassung
der Moral, mit all seiner Leichtsinnigkeit und
Oberflächlichkeit. Daß Schnitzler dieser Le¬
bensauffassung nahe treten und in ihre Tiefen
dringen will, daß wäre anerkennenswert,
denn die Erkenntnis der Erscheinungen bahnt
die Möglichkeit einer Heilung. Doch dieses Le¬
ben hat keine Niefe; es besitzt nur die Dimen¬
sionen der trostlosen Oberflächlichkeit, die in den
Sumpf des Lebens führt. So bewegt sich der
Geist und der Witz des Verfassers sehr auf der
Oberfläche, und wenn man das Theater verlas¬
sen hat, so bleibt als geistiger Gewinn Null.
Die Vorstellung war sorgfältig vorbereitet und
trug zum Erfolg des Stückes seinen Teil be¬
Die Titelrolle lag in den Händen des Herrn
Gözon, der total verkühlt war, welchem Um¬
stande wir die etwas monotone Ausarbeitung
der Rolle zuschreiben wollen Herr Ladenyi
als Neo-Mephisto bemeistert seine Rolle mit
der von ihm gewohnten Routine. Von den
Tamen hatte besonders Frau Harmath
einen schönen Erfolg. Auch die Damen Ne¬
mes, Sandor und Gergely bemühten
sich erfolgreich). — Die Regie war tadellos.
Manchmal ließ sich der Soufleur unangenehm
vernehmen. Das Haus war mäßig besetzt.
E.
box 9/
(quenenangabe ohne Gewahr.
:
Ausschnitt
Pressburger Zeitung
vor:
18 u. 1913.
healer.
„Anatol".
Spät aber doch! Das Stück ist schon mehr als
zwanzig Jahre alt, das Erstlingswerk des nun so be¬
rühmten Dichters und erst jetzt seit zwei Jahren hat
es eine Rmaissance vollständig wieder in den Vor¬
dergrund gebracht. Hie und da erschienen wohl ein¬
zelne der für sich vollständig abgeschlossenen Szenen
auf der Bühne, so besonders unvergeßlich für uns
die Glöckner im „Abschiedssouper", aber den voll¬
kommenen, reizenden Gedanken geben uns erst alle
fünf Akte. Im Mittelpunkte Anatol, dessen Name
bereits Sinnbild des entsprechenden Charakters ge¬
worden ist; der liebe, flatterhafte, genießende Gro߬
stadtjüngling, dem die Wiener Note: eine leise Me¬
lancholie und ein subtiles Aesthetentum das Lokal¬
kolorit gibt. Neben ihm sein Freund, der skeptische
Räsonneur und um sie herum schwebt der eigen der
„süßen Mädel" schlank und blond, lieb und flatter¬
haft! Während die Freunde den Celloton des Wie¬
ner Gemüts ansetzen, tanzen die bunten und beschei¬
denen Schmetterlinge vorüber; ein jeder fesselt Blick
und Herz für eine Sekunde, um dann im großen
Traumlande des Andenkens oder der Vergessenheit
zu entschwinden. Diese kleinen Bilder sind vielleicht
mehr oder minder wahr, aber sie haben eine satte,
warme Farbe, sie sind hübsch! Zur Vervollständig¬
ung gehört dann noch die „Liebelei", wie sie uns
Karoline Medelsky vorspielte: das tändelnde Spiel
greift oft zu tief in die Saite, daß sie springt!
Das Schnitzler'sche Stück wurde gestern in
einer ungemein liebevollen, sauberen Inszenierung
gegeben: das intime Milieu war in den meisten Fäl¬
len bereits durch die Dekoration gegeben. Herrn
Gozon lag die still meditierende, melancholische
Rolle des Anatol vorzüglich; er hat hier eine seiner
schönsten Leistungen geboten. Auch die Damen wa¬
ren nicht nur als Bilder hübsch, sondern schwatzten
und kicherten so süß, wie sie eben sein sollten! Dey
größte Teil des Publikums nahm den Leckerbissen
sehr dankbar auf, ein — kleiner Teil schien nur die
derbere Hausmannskost vorzuziehen.
— hm. L.