II, Theaterstücke 4, (Anatol, 8), Anatol, Seite 417

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Zyklus
4.9. Anatol
Ausschnitt aus:
Arbeiter-Zeitung,
31.
vom
Sauberdenton einer klerikalen Kritien der
Salzburger Chronik wird unter „Anatolgender¬
maßen kritisiert":
So gern wir unser unnenmitgliedern noch zwei
Monate Spielzeit gegönnt hätten — aber dieses freche
Geschmuse eines sexuellen Hochstaplers
paßt in die ernste Kriegszeit wie das Grunzen eines
Ebers in den Konzertsaal. Es ist unglaublich, daß in
unserer doch immer noch deutschen Stadt ein so seichtes,
chamlos schmutziges Dirnenstück ge¬
spielt werden darf; es ist unverantwortlich, daß deutsche
Mütter der Stadt und Umgebung ihre Töchter zu solchen
Verherrlichungen der gemeinsten Sinn¬
lichkeit führen; es ist geradezu ein Skandal,
daß sich in allen zuständigen Stellen auch nicht ein deutscher
Mann findet, der solchen nicht einmal graziösen, sondern
orientalisch=gemeinen Unzuchtsszenen
ein kräftiges Veto entgegensetzt. Von dem Intendanten
des Theaters solch eine deutsche Mannestat zu erwarten
wird man ganz besonders nach den Erfahrungen der
heurigen Spielzeit wohl unterlassen, obwohl hier sein Wort
am Platze gewesen wäre: „Das Stück ist zu roh und zu
gemein und paßt in die Kriegszeit nicht hinein.“ Die Spiel¬
zeit hat also einen Schluß erhalten, der Widerwillen
und Ekel bei gesund fühlenden und vernünftig denkenden
Menschen erwecken muß. Welche deutsche Mutter möchte wohl
eine Schnitzlersche Ilona zur Tochter oder den Lumpen
Anatol zum Sohne haben? Sie stehe auf! Aber ich wette:
es meldet sich keine. Gelacht haben manche über die Schnitzlerei,
aber in ihrer Familie möchten sie niemanden von dem Ge¬
sindel haben, das sich da zweieinhalb Stunden auf unserer
Bühne breitmachen durfte...
Der Verfasser dieser Kritik ist jener Herr Ehrhardt,
den wir unseren Lesern während der Verleumdungskampagne
wider den verunglückten Genossen Franz Silberer wiederholt
und ausreichend vorgestellt haben.
A
von der Salzburger Wacht Salzburg
e
auherdenton einer klerikalen Kritik. Die gestrige
„Arbeiter=Zeitung" schreibt: In der „Salzburger Chro¬
nik wird Schnitzlers „Anatol“ folgendermaßen kritisiert
So gern wir unseren Bühnenmitgliedern noch zwei
Monate Spielzeit gegönnt hätten — aber dieses freche
Geschmuse eines sexuellen Hochstaplers paßt in die ernste
Kriegszeit wie das Grunzen eines Ebers in den Kon¬
zertsaal. Es ist unglaublich, daß in unserer doch immer
noch deutschen Stadt ein so seichtes, so schamlos schmut¬
ziges Dirnenstück gespielt werden darf; es ist unverant¬
wortlich, daß deutsche Mütter der Stadt und Umgebung
ihrer Töchter zu solchen Verherrlichungen der gemein¬
sten Sinnlichkeit führen; es ist geradezu ein Skandal,
daß sich in allen zuständigen Stellen auch nicht ein
deutscher Mann findet, der solchen nicht einmal graziö¬
sen, sondern orientalisch=gemeinen Unzuchtsszenen ein
kräftiges Veto entgegensetzt. Von dem Intendanten des
Theaters solch eine deutsche Mannestat zu erwarten
wird man ganz besonders nach den Erfahrungen der
heurigen Spielzeit wohl unterlassen, obwohl hier sein
Wort am Platze gewesen wäre: „Das Stück ist zu roh
und zu gemein und paßt in die Kriegszeit nicht hin¬
ein.“ Die Spielzeit hat also einen Schluß erhalten, der
Widerwillen und Ekel bei gesund fühlenden und ver¬
nünftig denkenden Menschen erwecken muß. Welche
deutsche Mutter möchte wohl eine Schnitzlersche Ilona
zur Tochter oder den Lumpen Anatol zum Sohne ha¬
ben? Gelacht haben manche über die Schnitzlerei, aber
in ihrer Familie möchten sie niemanden von dem Ge¬
findel haben, das sich da zweieinhalb Stunden auf un¬
serer Bühne breitmachen durfte...
Der Verfasser dieser Kritik ist jener Herr Eckhardt,
den wir unseren Lesern während der Verleumdungs¬
kampagne wider den verunglückten Genossen Franz Sil¬
berer wiederholt und ausreichend vorgestellt haben.
Bug, PG.
(Quellenangabe ohne Gewähr.)
Reichspost
Ausschnitt aus:
Nachmittagsausgabe
vom
Wien
Die „Tragische". Ein „häufiger Leser schreibt uns:
Das mit dem „tragischen Konflikte", von dem gestern die „A.=Z."
redete, hat seine Richtigkeit. Beweis sogleich. In der gleichen
Nummer, Seite 5, Spalte 1, warnte sie mit berechtigter sitt¬
licher und literarischer Entrüstung vor dem Machwerk eines
Romans „Tönender Schall"), den der Verlag auf dem Wasch¬
zettel in eindeutiger Weise allen Liebhabern sexuell Stoffe
mit folgendem Satze: „Gegen diese Berpestung
der Gehirne mit Lesedreck gibt es nur ein Mittel: den
Selbstschutz. Wer ernstlich an sich und seiner Klasse arbeitet,
wie es der Proletarier, der klassenbewußte Arbeiter soll und
muß (nur der ?), der wird solche Romane weiden, indem er¬
eine Presse verjagt, die den Geist solcher Romane
pflegt. Bravissimo! rief ich aus, wie ein begeisterter Zuhörer
Dr. Battistis, als ich das gelesen hatte. Bravissimo!
Und noch einmal: Bravissimo! Aber da stört mich
etwas mitten im Applaus. Mein Blick schweift über die zweite
Spalte derselben Seite und stößt an eine Notiz, die überschrieben
ist mit „Sauherdenton einer klerikalen Kritik". Warum das?
Ich lese. Das Urteil der Ueberschrift gilt einem Provinzblatt,
das sich in ähnlich scharfer Weise (wenn auch nicht ganz so
scharf) wie die „Arbeiter=Zeitung" gegen den erwähnten Roman,
über die Aufführung des Schnitzlerschen Anatol" auf der
dortigen Stadtbühne geäußert hatte. Denn „Anatol“ ist noch
viel eindeutiger und greller und, weil in dramatischer Form,
unvergleichlich, wie sage ich nur, pädagogisch wirksamer
als der „Lesedreck", von dem die „Arbeiter=Zeitung
selber eben männiglich gewarnt hat. Wieso dieser
Zwiespalt zwischen der Moral der Spalte 1 und jener
der Spalte 2? Will er vielleicht bedeuten, daß das
Theaterpublikum in der betreffenden Provinzstadt zu wenig
„klassenbewußt sei, als daß es verdiente, vor der „Verpestung
der Gehirne“ geschützt zu werden? Schon wollte ich das Blatt,
getreu seiner Mahnung in Spalte 1 „verjagen", da es in
Spalte 2 „den Geist solcher Romane pflegt, wenn er nur von
Schnitzler in eine Szene gegossen ist. Aber da siel mir jäh des
Rätsels Lösung ein. Mir ging das Wort vom „tragischen
Konflikte durch den Sinn, das ich vorher aus dem Leitartikel
geschöpft. Also daher bläst auch dieser Wind! Der Zwiespalt
rast über alle Spalten und spaltet sie in Spalten. Zwei Seelen
wohnen, ach, in ihrer Brust. Wohin ihr blickt, es ist Konflikt.
Und das alles ist tragisch. Indem daß ich pflichtschuldigst weine,
zeichne ich ergebenst usw. (Name und Adresse des Einsender¬
sind uns gänzlich unbekannt. D. R.)
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