II, Theaterstücke 4, (Anatol, 8), Anatol, Seite 427


im Tone, nicht behäbig und weitspurig in der Satz¬
anlage. Schnitzler ist eine Sache für sich, also will er
auch eine Darstellung für sich, eine Interpretation,
4.9.
atol Zyklus
durch die er verstanden werden kann. Schnitzler ist
weder Pose noch Posse. Schnitzler ist Geist. Man
muß, will man ihn wirklich herauskriegen, ganz
radikal brechen mit der üblichen Lustspiel- oder
Possen=Schablone. Es ist bei Schnitzler unmöglich,
daß sich — (nur einige Beispiele!) — zwei Freunde
vom Schlage des Anatol und des Max, zwei Menschen
also von stilisierten Salonmanieren und raffinierter
Großstadtkultur, umarmen, indem sie sich dabei laut
hörbar gegenseitig auf die Rücken klopfen und sich, wie
tanzend, einmal rund herum drehen, wie es Operet¬
tenmenschen nun mögen, wenn sie sich umarmen. Es ist
bei Schnitzler unmöglich, daß man irgend etwas über¬
haupt, geschweige denn die Schlußworte des Max in
der „Frage an das Schicksal", mit schalthaftem Augen¬
zwinkern ins Publikum hineinspricht, als handle es
sich da mehr um eine populäre Fußnote, die der
Dichter an sich selber anfügt, um allenfalls auf der

lösen trachten. Wenn ein Mensch einen defekten An¬
Galerie deutlichen verstanden zu werden. Es ist
zug, zerrissene Schuhe und keinen reinen Halskragen
bei Schnitzler unmöglich, daß irgend jemand irgend
hat, und er zieht dann noch zwei funkelnd mit Benzin
etwas so unsein belacht, daß er sich ausdrücklich vor
Lachen biegt und dabei immer aus zusammengepreßten geputzte Handschuhe an, dann sieht eben dieser merk¬
würdige Mensch — noch viel schäbiger aus. „Dieses
Lippen das obligate „Pff hören läßt. Das könnte
den selbstverständlich unbeabsichtigten Eindruck er¬eich Euch zum Gleichnis.“ Wenn man in die
Wiener Kärntnerstraße zwei Beleuchtungskandelaber
wecken, als gälte dieses Lachen einer eben vorgebrach¬
hineinstellt, die Mähr.=Neustadt zurückgewiesen hätte
ten Zote, ein Eindruck, der natürlicherweise noch be¬
zu einer Zeit, da es noch mit Petroleum beleuchtet
deutend dadurch erhöht werden müßte, daß sich der
war, dann macht man diese Kandelaber eben zu jener
wie dies vorgestern Herr
betreffende Darsteller
Heine'schen Lampe, die nur da ist, um die Dunkelheit
Alexander Spalke tat — einigemale quietschver¬
gnügt auf die Oberschenkel schlüge, wie er sich so voor recht zu zeigen“. Erst in dieser Beleuchtung sahen
wir die trostlose Dürftigkeit dieser Kärntnerstraße.
Lachen biegt . . . Nein, hier gibt es keine Looten!
Es ist bei Schnitzler unmöglich, daß sich die Anni aus Ohne sie wären wir wie mit einer Blindheit geschlagen
gewesen, in der wir von Innen heraus das Werk
dem „Abschiedsforper als eine Art von fescher Förster¬
besser gesehen hätten.
Christl gibt, die jeden stärkeren Seelen=Affekt dadurch
pointiert, daß sie dabei mit der flachen Hand klatschig
auf die Tischplatte schlägt, während der Max sein
Letzte Nachrichten.
zotenhaftes „Pflacht und der Anatol wildver¬
ärgert das Mädel mehr anbrüllt als anschreit.
Zugegeben, daß dieses Mädchen aus der Vorstadt
kommt, daß es nicht sehr gebildet, daß es aufgebracht
und temperamentvoll und dazu ein wenig trunken ist!
So der ist dieses Mädchen auf keinen Fall. Denn es
handelt sich hier nicht um eines, das nur die Anlagen
hat, nach einigen zehn oder zwanzig Jahren eine
Xantippe zu werden Diese Anni hat auch ihre Tiefen
Sie hat nicht nur Ungebundenheit und Aerger zu
zeigen, sondern auch tiefste Verletztsein und Wehmut
und — Schmerzen. Und gerade, weil der Alkohol ihre
Hemmungen hinweggeräumt hat, muß sie aus dem
frei gewordenen Unterbewußtsein heraus trotz aller
Betrunkenheit das eifersüchtige, blutende, gequälte
Herz aufleuchten lassen. Ihr Lachen muß jene schrille
Höhe erträllern, von der aus es leicht in Tränen um¬
schlagen könnte, und es würde der Figur nur zustatten
kommen, würde sie mit einem zarten Anfluge leich¬
tester Hysterie ausgestattet sein. Ich würde mich mit
dem Fräulein Holstein nicht so viel beschäftigen,
wenn ich nicht von ihrem Talente überzeugt wäre.
Und jedem echten Talente wünsche ich aus ganzem
Herzen, daß es zu seiner Zukunft lieber durch das
peinigende Feuer der Kritik schlackenbefreit hervor¬
käme, als daß es, verirrt und verwirrt durch unkom¬
petente Applausstürme, den Weg verlieren sollte aus
der künstlerischen Niederung zur Höhe. Das dem
Talente. Dem Schnitzler'schen Genie jedoch den zweiten
Wunsch er, der zur Kunst nicht erst erhoben zu werden
braucht, möge nirgendwo zur Posse herabgedrückt wer¬
den! — Seitdem ich die Olmützer Bühne und ihren
kärglichen Ausstattungs=Apparat kenne, predige ich in
einem fort, ein Prediger in der Wüste, den Regisseu¬
ren, sie möchten doch die gewiß äußerst schwierigen
szenischen Probleme mit äußerster Schlichtheit zu
box 9/2