II, Theaterstücke 4, (Anatol, 8), Anatol, Seite 486

Eine Szene aus den Einakter „Weihnachts¬
einkäufe Gustav Waan (Anatol.
Herta Hagen-Waldau (Gabriele)
blüte, die da in der Figur des „Anatol“ ver¬
ewigt sind — wer kann sie, ihr Idiom (worin
aristokratisches Spilwasser die mosaische
Kehle glättet, ihre Erotik (worin die Be¬
griffe Schubert und Maupassant ein
schmieriges Tete-a-tetscherl miteinander ein¬
gehen) noch vertragen? Was sie Anno Anatol
erlebt haben, das wird heut in Adolf Bretts
Pavillon sehr leicht abreagiert!
Es tut mir um Schnitzlers willen leid, so zu
sprechen. Wie gerne hätte ich bei anderem
Anlaß diesem noblen, tagabgewandten Mann,
der mir, seit ihn in Berlin die jungdeutsche
Diebsgeneration der Brust und Brechte ange¬
blasen hat, immer wärmer ans Herz wuchs.
ein Loblied angestimmt!
Die Aufführung im Theater der Schauspieler
(unter Paul Kalbecks Regie) war gleichsam
in Lackbraun gehalten. Patrizisch, stimmungs¬
breit und wie von Wiener Sommerabendluft
beklommen. Weniger wienerisch freilich mute
ten die Gestalten an. Oder sollte die Ge¬
zwungenheit, mit der sie (Gustav Waldau und
Herta Hagen ausgenommen) den Dialekt
sprachen und ein intellektueller Unterton ihres
Gehabens die erwähnte Gemischtheit der Cot¬
tage-Welt widerspiegeln?
Gustav Waldaus-Anatol — der „Schwie¬
rige als Buberl. Scharmant, ewig-gedämpft
vom Stimmungswind geschaukelt und all¬
fälligen Taktlosigkeiten der Vorsehung gotter¬
geben entgegenharrend; dabei von einer Heiter¬
keit, die den geladenen Browning in der Tasche
trägt. Ein Anatol kurzgesagt, der damit sein
Auslangen fand, den Gustav Waldau zu ko-
pieren.
Herrn Rainers Max war freundlich-frostig,
aber wenig heiter, Fräulein Geßner von
schnippischem und kabarettscharfer Humor,
Maria Fein ein distinguiertes Luder, Fräulein
Urban-Kneidinger unerheblich blond. Hingegen
Herta von Hagen (in den „Weihnachts¬
einkäufen") eine vollendete Dame. Die Hilf¬
losigkeit, mit der sich die Mondänität gegen
das Weichwerden zur Wehr setzt und wie dann
die inneren Wärmestrahlen durch den Seal¬
bisam-Panzer brechen, das hatte bei ihr adelige
Grazie.
Aber was hilft das alles? Das Erträgnis
blieb doch nur: pikante Kulturgeschichte —
ein vergilbter Zeitungsband, in Saffian gebun¬
den. Anatols Land ist uns fern wie Anatolien.
Anton Kuh.
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4.9. Anatol
Zyklus
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Selle
Wien. Donnerstag
— 8 Uhr: Abendprogramm. 5. Radio=Volks¬
liederabend des Deutschen Volkslieder¬
Gesangvereines. 1. Kleiner gemischter Chor: 2) Die
Königskinder, b) Ade, o Frau; 2. Herr Josef Volk: a) Wach
auf, mein Herzensschöne, b) Gut Nacht, Vom Mittelhein am
Flügel Frau Elsa Richar): 3. Instrumentalmusik: Zwei
Geigen Fräulein Marie Jägerschmied, Herr Karl
Kabat) und Gitarre Herr Dr. Edmund Neusser);
4. Gemischter Chor: a) Schein uns, du liebe Sonne, b) Lie¬
bezweifel und Liebestrost; 5. Herr Josef Bölk: a) Gedenke
mein, b) Landsknechtlied (am Flügel Frau Elsa Richar)
6. Instrumentalmusik. — 9 Uhr: Liederabend bunter
Teil). Mitwirkend: Anton Arnold (Staatsoper), Edith van
Aust (Liedersängerin), Quartett Klein (Staats¬
oper).
Bühne und Kunst.
„Anatol.
Zum ersten Male bei Reinhardt.
Man soll Vergangenem, unwiederbringlich Verlorenem
keine Träne nachweinen. Und doch kann man den Typ „Ana¬
tel" nur mit einer Träne im Auge genießen. Welke Blätter,
dustlose Blumen, vergilbte Locken, der ganze Firlefanz der
Liebe hüllt dich in den Zauber verschollener Jugend, die Träne
quillt, die illusionsarme Gegenwart hat dich wieder Wer ist alt
geworden, wir oder Anatol? Und wer kann diese Frage beant¬
worten? Paul Kalbeck, der Regisseur, ließ sie offen. Er
schleppte Anatol und Max und die „füßen Mädeln" hinein in
unsere Zeit und ließ sie darin schuldig werden. Nein, kehrt zu¬
rück in das alte liebe Wien, speiset bei Sacher, bummelt durch
die stillen Gassen und Gärten der Vorstadt, ade Anatol! Un¬
sere Anatols sind Bankbeamte, Fußballer, Eintänzer und
Kokainschieber geworden. Der gute Waldau legte der Sen¬
timentalität und Melancholie eine Dosis komischer Beschränkt¬
heit zu und Herr Rainer hatte wenig Lust, durch seine sep¬
tische Weltanschauung der Ueberlegene zu sein. Die Zeiten sind
flau, lau, welke Blätter. Und kein süßes Mädel auf der Bühne.
Frau Hagen eine noble, sich selbst verstehende, fast schon un¬
verstandene Dame, ein Lichtblick. Vielleicht hätte das Kostüm
der Neunzigerjahre einen Stil vorgetäuscht, die modern ge¬
schnittenen Röcke brachten zum Bewußtsein, daß sich um Ana¬
tols Lippen Falten eingeritzt haben.
Und jetzt die Antwort: Anatol ist alt geworden. 0. r.
„Fräulein Heute unsere Geliebte!"