II, Theaterstücke 4, (Anatol, 8), Anatol, Seite 682

4.9. Anat
1 Zyk
THEATER.
Das Gastspiel der Philharmoniker in
Berlin hat einen geradezu stürmischen
Erfolg gehabt und die Kunst kann sich an
diesem bundesbrüderlichen Enthusiasmus
herzlich erfreuen.
Die Wiener Künstler haben ihre bekannte
Wärme und den sinnlichen Glanz ihrer In¬
strumente zur Wirkung gebracht — hoffentlich
bringen sie aus der norddeutschen
Atmosphäre auch Elemente der straffen Or¬
ganisation, der eisernen Disziplin und des
unbegrenzten Strebens nach Österreich
zurück.
Unsere Heimat lechzt mehr als je nach
Befruchtung jenes Geistes, der in Kant und
Fichte, sowie in Bismarck und in¬
denburg geleuchtet und gewirkt hat.
Wir sind stets in Gefahr, zu weich zu
werden, ja zu zerfließen und unsre eignen
Reichtümer zu verlieren.
Männlichkeit aber ist das letzte um und
auf aller Volksgröße und die österreichische
Kunst ist oft in Gefahr, das Männliche ganz
zu verlieren.
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Aus der (0
Man mustere zum Beispiel unsere Drama¬
tiker von Grillparzer an bis zum heutigen
Modepoeten Artur Schnitzler.
Werden wir je ernstlich wünschen, daß
Männer unsere Geschicke leiten, die den
Typen unserer heimischen Dramatiker ent¬
sprechen?
Lauter Zwielichtgestalten, teils vergrämt,
teils in schwüle Sinnlichkeit versunken, geist¬
reichelnde Schwächlinge oder ewige Raunzer.
Oder gar die Figuren des Herrn Rudolf
Bartsch oder die buntgemalten Karten¬
„könige des Herrn Hans Müller.
Man begreift vieles, was bei uns geschieht,
wenn man unsre heimische Literatur studiert.
Man denke sich Herrn Anatol oder die
Zwölf aus der Steiermark Völker mit
Brot versorgend oder ihr Eisenbahnwesen
organisierend.
Man versuche aus dem konfusen Quatsch
der „Zwölf aus der Steiermark oder aus
dem Ringstraßenkaffeegewitzel Schnitzlers
etwas Heilsames, Ordnendes, Hoffnungsfrohes
für Österreich herauszudestillieren.
Der einzige Schönher hat noch Män¬
liches in sich, aber er beginnt in Manier zu
erstarren.
Und Peter Rosegger, der letzte wirkliche
Könner, ist soeben gestorben.
Der Himmel erbarme sich unsrer Literatur.
in einem allerdings sind wir groß, im
Anstrudeln des eigenen Wesens, im senti¬
mentalen Schwelgen in den Herrlichkeiten
früherer Epochen.
Man denke nur an den üppigen, noch
immer schwellenden Kultus von Alt-Wien,
den wir charakteristischer Weise in unserem
literarischen Lieblingsprodukt in der Operette
betreiben.
„Dreimäderlhaus"
„Hannel" und
womöglich noch eine ganze Trilogie über
das Thema: patzwache Gemütlichkeit bei
Schubertscher Musik.
Natürlich unterhalten sich auch andre
Volksstämme bei diesen Operetten aber sie
machen sich eigene Gedanken dabei.
Wäre es nicht besser, statt schwächlich
in Alt-Wien reminiscenzen zu schweigen,
am Aufbau eines geordneten, lebenskräftigen
Neu-Wien zu arbeiten?
Bartsch und Schnitzlerhelden,
können es nicht.