II, Theaterstücke 4, (Anatol, 8), Anatol, Seite 684


4.9. Anato
box 9/5
y
1
größten Freuden im Leben des Dichters, als es ihn
zu sagen: „Lieber Freund, absolut talentlos
Aber es dauerte nicht lange und das Drama
vergönnt war, kurz vor seinem fünfzigsten Geburts¬
Selbstverständlich hieß es nun für den jungen Herrn des Wiener Mädels war aus dem Burgtheater ver
tage für seine Familie und sich dieses Heim zu er¬ Artur bei der Medizin bleiben und brav weiter
schwunden. Eine hohe Dame vom Hofe verbannt
werben. Ein Stück Boden, und wäre es noch so klein
rackern. Kürzlich zeigte uns übrigens ein Arzt ein¬
es, nicht wegen der wienerischen Heldin — gefallen
sein eigen zu nennen, war seit jeher ihm ein lieber kleine Schrift, die in jener Zeit entstanden ist und Mädchen gibt es ja in so vielen klassischen Dramen,
Traum gewesen. Im Frühling und Sommer im von deren Existenz die Schnitzlerliteratur wohl kann
von „Faust" angefangen — sondern wegen dieses
Freien sein Abendbrot zu nehmen, bereitete ihm ein Kenntnis genommen hat. Sie betitelt sich: „Ueber die verworfenen Vaters. In dem Burgtheater jener
Wohlbehagen ganz besonderer Art. Als er sich noch Behandlung von Stimmbandlähmungen mittels Hyp. halbvergangenen, unseren Augen aber heute wie
nicht „zu den Hausherren“ zählen durfte, ging der nose." Als Verfasser zeichnet „Dr. Artur Schnitzler, tot daliegenden Zeit konnte man nur Väter dulden
Dichter oft und oft in irgendeinen der vielen vor= Assistent an der Poliklinik. Es wäre übrigens nicht wie jener edle Odoardo Galotti, der sein Töchterchen
ortlichen Gasthofgärten, um dort zu Füßen alte
uninteressant zu erfahren, ob Dr. Schnitzler auch erdolcht, bevor der Sturm diese Rose noch ent¬
Bäume nach wienerischer Art zu schwelgen". Ein tatsächlich eine derartige Heilung bei einem Patienten blättert hat.
Culyas, ein Stück Emmentaler, zwei aufge¬ versucht hat. Mit hypnotischen Mitteln hat er übrigens
sprungene Riesenwecken dazu, und etwas Vier und
vor unseren Augen schon gearbeitet, aber als
einen Gespritzten — welchen Hochgenuß bereitete Dichter, nicht als Arzt. Es geschah dies im reizender
Vor Jahren saß ich einmal bei Schnitzler, als
dieses volkstümliche Men dem Dichter!
Einakter „Die Frage an das Schicksal“. Der Held das Stubenmädchen mit einer Visitkarte eintrat,
Und wenn in diesem Gasthausgarten zufällig versetzt sein Liebchen in hypnotischen Zustand, um „Haben Sie was dagegen, daß der Herr jetzt ein¬
Volkssänger eine „Soiree", gaben,
hatte
ganz wahrhaftig zu erfahren, ob ihm das Mädchen trete?" fragte mich der Dichter und reichte mir die
Schnitzler auch nichts dagegen. Er hörte in heiterer
jemals untreu gewesen. Doch bevor es noch die ganze Karte. Ich las „Salom Asch“. Es war der russisch¬
Beobachtung zu und wurde solcherart ein Kenner
Wahrheit aus dem Halbschlaf ausplandern kann, ge¬
jüdische Dichter, dessen Drama „Gott der Rache“ die
dieser heute verschwundenen Welt des ungehobelten
rade in dem Augenblick, in dem das entscheidende Ja deutsche Bühne sich erobert hatte. Ein junger Mann,
Brettels, in der Unbildung und Talent zu wildem oder Nein fallen könnte — erwacht das Fräulein! Und dunkles englisches Schnurrbärtchen, elegant, stellte
Reigen sich ketteten. Wie urdrollig hat er die Gestalten ist ängstlich, ob sie sich nicht doch verraten habe...
der fremde Dichter sich vor. Er drückte zunächst seine
der Wiener Volksängerei in der Novelle „Das neu¬
Schluß: „Er weiß nach wie vor nichts Gewisse
Freude aus, Schnitzler seine Bewunderung bekennen
Wied geschildert: den „Kapellmeister" (eigentlich
zu dürfen. Er wolle ihm aber auch einen kollegialen
Klavierspieler), der die „Nr. 1" spielt, die „Ouver¬
Wie gesagt, von Sonnenthal aus war Artur
Rat geben: „Sie verstehen," meinte Dr. Asch
üre", den Komiker Wiegel=Wagel, der im grünen
Schnitzler „absolut talentlos". Niemand ist jemals
lächelnd, „leider gar nicht, den Dieben das Handwerk
Frack „direkt aus Afrika auf die Bühne kommt, den ob eines Irrtums so verlacht worden wie Sonnen zu legen, die Sie bestehlen!" — „Da haben Sie
Musiklon" Jodek, der auf Glaständern konzertiert, ha¬
von sich selbst. Er hatte Schnitzler schon recht," meinte Schnitzler. — „In Rußland." fuhr
Die „Ungarin“ Ilka, die wienerisch magyarembert usw. als Kind gekannt und vielleicht gerade deshalb an Dr. Asch fort, „werden Sie in hunderten Theatern
Man hat diese Gestalten in Saltens „Der ihn nicht geglaubt. Er hatte auch kein Auge gehabt gespielt, ohne daß die Direktoren Ihnen auch nur
Gemeine“ wiedergesehen, als wären sie aus Schnitz
für die eigentümliche, halb leichtlebige, halb ver¬ einen Kreuzer bezahlen.
„Da geschieht mir ein
ers Novelle gekommen — ähnlich wie der Mann im
sonnene Gesellschaftsschichte, der dieser nachdenklich¬
Unrecht," meinte Schnitzler in seiner geradezu naiven
grünen Frack aus Afrika, nur nicht ganz so direkt.
Lebemann Anatol entstammt. Das war eine gan
Weltfremdheit. — „Sie sind aber schuld," fuhr der
andere Klasse als die Bourgoisie Bauernfelds, in
fremde Dichter fort, „weil Sie Ihre Werke zuerst
Wer hätte je geglaubt, als das erste Büchlein dessen Lustspielwelt Sonnenthal aufgewachsen war. drucken lassen, ehe Sie sich in Rußland Ihr geistiges
on „Anatol“ vorlag, daß diese Gestalt über die ganze
Als dann Burckhard dem jungen Schnitzler di¬
Eigentum gesichert haben. Machen Sie's in Zukunft
Deutsche Bühnenwelt ihren Siegeslauf nehmen werde. Pforte des Burgtheaters öffnete und trotz des umgekehrt, und die russischen Direktoren werden
Artur Schnitzler hatte das Werk noch als Student wilden Widerstandes hochadeliger Funktionäre das
Ihnen dann Tantiemen zahlen müssen!"
der Medizin geschrieben. Sein Vater, der geschätzt
Proletarierstück „Liebelei“ aufführte, da sprang Schnitzler dankte seinem Besucher für den kostbaren Rat.
Laryngologe Professor Dr. Johann Schnitzler, lebt
Sonnenthal gleich mit beiden Füßen ins Lager der
Ich ging dann mit dem russischen Schriftsteller
och in der Hoffnung, sein Sohn Artur werde ein be¬
Jungen. Sein Musikus rührte ganz Wien zu fond. In einem Ecksalon erkannten wir beide fast
rühmter Kehlkopfoperateur werden. Während er darauf Tränen. Nur des Künstlers liebste Freundin und gleichzeitig unter Glas und Rahmen die Schriftzüge
schwor, sein jüngerer Sohn werde zu einem großen
Kollegin Charlotte Wolter konnte sich nicht be¬
Goethes. Wir traten näher, und richtig: Es war
Dramatiker sich entwickeln. Nichtig ist dieser jüngere ruhigen. Die Gestalt dieses Vaters — meinte sie
die Originalhandschrift des Unsterblichen
zwei
Sohn just der heutige bekannte — Operateur Pro¬
sei einfach eine Ohrfeige fürs Burgtheater. Ein
Zeilen mit wundervoll deutlicher Unterschrift, in
fessor Dr. Julius Schnitzler geworden!
Vater, der da wisse, daß seine Tochter Beziehungen Karlsbad niedergeschrieben.
Fränkte sich der alte Professor, daß sein Sohn Artur zu einem jungen Mann unterhalte, die nie zur
„Es ist mein kostbarster Hausschatz
Die Medizin weniger liebte als verschiedentliche Aus¬
sagte
Ehe führen können, der diese Tochter darob nicht
Dr. Schnitzler. „Ihn für Geld zu erwerben — so reich
lüge in höhere Regionen, aus denen nur Lorbeerduft niederschlägt und zum mindesten aus dem Haus¬
zu holen ist.
bin ich nicht. Aber mein Freund und Kollege Stephan
jagt, das sei kein Held, das sei eine abscheu¬
Zweig hat mir diesen Reichtum beschert. Ich schenkte
Die Sache mußte aber endlich entschieden werden: erregende Erscheinung. Und doch hatte der Dichter
Entweder Laryngologie oder Schreiberei fürs Theater
ihm einst die Urschrift meiner „Liebelei" und er
gerade in diesem alten Mann reinste Liebe und
erwiderte diese meine Aufmerksamkeit mit zwei
Fest entschlossen nahm eines Tages Professor edelste Lebensweisheit verkörpern wollen. Der
Schnitzler das Anatol-Manuskript seines Sohnes und greise Musikus will das junge Glück seiner armer
Zeilen Goethes. Hat je ein Freund an einem anderen
solche Großmut get?" schloß Schnitzler. Und wir
ing damit zu Adolf Sonnenthal, seinem alten Tochter nicht ertoten, er weiß ja, er ahnt, es
Freund. Der las die Anatol-Einakter mit Hingebung
beglückwünschen ihn zu seinem Besitz.
der erste und der letzte Sonnenstrahl, der in ihr
und kam auch einigen Tagen zum Professor, um ihm junges Leben fällt,
as a