II, Theaterstücke 4, (Anatol, 5), Abschiedssouper, Seite 63

4.5. Abschiedssouper
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Ausschnitt aus: „Osideufsche Rundschau“
vom 3/799
Kunst und Wissenschaft.
Raimundtheater. Mitglieder des Deutschen
Theaters in Berlin eröffneten gestern im Raimundtheater
ein Gastspiel. Als Eröffnungsvorstellung wählten sie
„Das Lumpengesindel“ eine in Wien noch
unbekannte Tragikomödie von Ernst v. Wolzogen.
Die Wiener hätten guten Grund, mit dem Eröffnungs¬
stücke unzufrieden zu sein, dnn in dem Berliner Bohème,
das da mit Lanne geschildett wird, treibt sich ein Wiener
Bildhauer herum der die Existenz eines Wiener Witzes
bedenklich in Frage stellt. Offenbar wollte Wolzogen den
jungen Wiener in seiner Lebensfreude sympathisch ge¬
stalten, die Vertheidigung seines Leichtsinnes aber,
die er ihm in einer heiklen Situation in
den Mund legt,
albern stilisirt, daß
gestern einige Wiener darüber mit Recht ungehalten
waren. Im Uebrigen trägt indeß auch diese Arbeit die
sympathische Physiognomie Wolzogen's, besonders dort,
wo die Durchführung der eigentlichen Handlung hinter
die episodisch-epische Gesellschaftssatire zurücktritt. Wo
Wolzogen Charakterstudien bietet, da wachsen ihm die
Schwingen, da findet er den alten deutsch=romantischen
Humor, der auch die heikelsten und peinlichsten Dinge
mit dem goldigen Schimmer innerer Liebenswürdigkeit
umspinnt. Das Unglück bei allen dramatischen Arbeiten
Wolzogen's sind seine letzten Akte. Auch im „Lumpen¬
Für
50 Z gefindel“ schwächt der letzte Akt den verdienten freund- elusive
100
lichen Erfolg. Daß der Regisseur Woldemar Runge dennoch orto.
200
auch nach dem verunglückten letzten Akt für den Autor danken ahlbar
konnte, muß entschieden der wirklich sehenswürdigen Voraus
1000
*
Darstellung zugute geschrieben werden. Ich nenne heute
Im grundsätzlich keine Namen, da ich mir eine eingehendere ist das
ht es den
Abonnemer Würdigung des Darstellungsstiles sowie der neuen
Abonnente dramatischen Darbietungen des Berliner Deutschen
Theaters vorbehalte. Den Schluß der gestrigen Vor¬
stellung bildete eine Aufführung des Schnitzler'schen
Einakters „Abschiedssouper“ worin Gisela
Schneider das süße Wiener Mädel mit dem ganzen
lachenden Uebermuth einer wienerischen Eigenart erfüllte.
Ausschnitt aus: Deuische Lenung
vom 3/27)
Theater, Kunst und Literatur.
Berliner Gastspiel am Raimund=Theater. Die
Mitglieder des Berliner Deutschen Theaters, die gestern an
unserem Raimund=Theater ein Gastspiel begannen, eine kleine
Schaar von wohlgeschulten und eirigen, aber nicht durch¬
wegs berühmtesten Kräften ihrer Bühne, haben gestern sowohl
mit ihrem Debutstück, Ernst v. Wolzogens Tragi¬
komödie „Lumpengesindel“, wie mit ihrer ehrlichen, un¬
verschnörkelten Kunst einen starken, wohlverdienten Erfolg
errungen. Der Regisseur Woldemar Runge dankte für den
reichen, aus echter Empfindung entstandenen Beifall namens
des Dichters und die Darsteller mußten nach den Actschlüssen
immer wieder auf der Bühne erscheinen. Der energische,
scharfblickende und kerndeutsche Wolzogen ist den Wienern
nicht mehr fremd; nebst seinen „Kindern der Excellenz“
wurde hier ein Lustspiel von ihm „Ein unbeschriebenes Blatt“,
am Deutschen Volkstheater aufgeführt, das aber nach einem
glänzenden ersten Act abfiel und sich nicht halten konnte.
Umsomehr ist dem erfindungsreichen, unerschrockenen Künstler,
der in dem „Lumpengesindel“ neben einer Reihe herzhaft
deutscher Gestalten auch eine scharfe Satire auf die Ver¬
bindung jüdischer Großfinanz und jüdische Literatur¬
verzapfung vorführt, der gestrige Erfolg zu gönnen, den ein
paar Juden durch kleinlautes Zischen nur noch steigerten.
Für
Ueber die Einzelheiten des Stückes, das ein Lebensbild aussve
0.
„ 1 der Berliner Literatenboheme mit Modelen wackererhar
Menschen gibt und darin das Thema von der nachträglichen raus.
„ 5
. 10 Entdeckung des Fehltrittes einer jungen Frau durch den
Gatten in freundlich versöhnender Weise behandelt, ist das
es den
Abon und ebenso über die Darstellung wird noch zu
Abon sprechen sein. Den lautesten Beifall hatten diesmal
Nissen, der Berliner Baumeister, als bärbeißiger
aber herzensguter Wachtmeister und Reinhardt als
Commerzienrath Dessoir, recte Dessauer; aber alle anderen,
voran Eduard v. Winterstein und Fritz Kayßler
in den Rollen der Brüder Kern, und Anna Trenner,
erwiesen, daß sie vorzügliche Darsteller sind. Die Hauptsache
liegt aber in dem Leitgedanken des von den Berlinern
propagirten Stils: absolute Unterordnung der einzelnen
Persönlichkeit unter die Idee des Stückes und Wahrheit der
Gestaltung. Da kann unser ganzes Burgtheater zu den
— Am Schlusse gab man
Berlinern in die Schule gehen.
Schnitzlers „Abschiedssouper“, dessen Cynismus und Freude
am Erbärmlichen sich recht unangenehm von der heiteren
Sittlichkeit Wolzogens abhob. Gisela Schneider spielte
darin die kecke Annie mit wirksamen aber hinsichtlich des
Aesthetischen wahllosen Mitteln, die sie bis hart an die
A. L—ch.
Grenze des Erlaubten ausheutete.