ene De 1050 10.0.
Der Dichter verstand es, den Hörer durch einen
kurzen Dialog, scheinbar eine anspruchslose Plau¬
derei, für drei Menschenschicksale zu interessieren.
Auch im Vortrage wirkte die Szene sehr. Als zwei¬
tes Vortragsstück brachte der Dichter die einaktige
Tragödie „Letzte Masken“ aus den „Lebendigen
Stunden. Ein Intelligenzproletarier und Zeilen¬
schinder, Rademacher, liegt sterbend im Krankenhause.
Sein Stubengenosse Jackwert, ein Komödiant, teilt
ihm seinen Zeitvertreib mit: sich auszufluchen über
die Personen seines Hasses, die Maske ihnen vom
Gesichte zu reißen — aber natürlich nur im eigenen
Innern, in wollüstiger Phantasie. Aber Rademacher
wirnnn von der Gier gepäckt, dem Menschen, #en
er mit seinem tiefsten Hasse haßt, seinem Jugend¬
freunde Weihgast Aug' ins Auge seine brutale
Meinung zu sagen. Dann wird er ruhig sterben.
Weihgast hat die ersten Sprossen der literarischen
Stufenleiter mit ihm gemeinsam erklommen. Aber
dann klomm Weihgast, gestützt und getragen von der
Gunst der Menge, um die er buhlte, ugs in die Höhe.
Rademacher blieb unten, hungernd, ringend und
ehrlich. Aber ihm offenbarte sich die Lächerlichkeit
des literarischen Clowns, sie offenbarte sich ihm in
der Meinung der ehrlichen Kritiker, in dem Ekel der
eigenen Gattin, die den gefeierten Gatten mit ihm,
dem Bettler, betrog. Und nuns in seiner Sterbe¬
stunde will er ihm alles enthüllen, die Maske ihm
herabreißen, ihn herabstürzen von der schwindeln¬
den Höhe. Und Weihgast wird gerufen, atemles
empfangen vom sterbenden „Freunde“. Mit der gan¬
zen nichtigen Eleganz seiner wohlfrisierten Ober¬
flächlichkeit begrüßt er den Freund, den er so un¬
erwartet im Elend findet. Er drückt seine affektierte
Teilnahme aus, er erzählt, in der Pose des Mär¬
tyrers, von den Leiden der eigenen Häuslichkeit, der
eigenen Seele. Rademacher hört das alles. Nie ist
ihm die Erbärmlichkeit des Freundes, die Wert¬
und Sinnlosigkeit seines Ruhmeslebens deutlicher
zum Bewußtsein gekommen, wie jetzt. Und sein gan¬
zer Haß, die aufgesammelte Wut der Vernichtung
fällt von ihm ab, um eine grenzenlose stumme
Verachtung zurückzulassen. In diesem Augenblicke
fühlt er sich ganz schon dem Leben entrückt, auf das er
herabsieht, wie von hohem Turme. Sein eigenes
Elend gehört ihm nicht mehr, es brodelt mit de
unten in dem Meer von Erbärmlichkeit, in dem der
Ruhm seines Freundes schaumige Blasen treibt.
„Was geht er mich noch an! Was ist er mir! Was
habe ich Toter noch mit den Lebendigen zu tun?!“
Mit diesen Worten des sterbenden Rademacher
schließt das erschütternde Stücks Von dem Dichter
mit guter Nuancierung der Stimmen und Charak¬
tere vorgetragen, wirkte es wie eine Premiere und
es war auch eine Premiere. Denn das Teplitzer
Publikum, dem die neuesten Cochonnerien der Henne¬
quin und Veber nie lange vorenthalten werden, has
die „Lebendigen Stunden“ noch nicht von der Bühne
aus kennen gelernt. Und dieser Dramenzyklus be¬
darf doch weder besonderen Aufwands an Personal
noch an Ausstattung. Wir hoffen, daß der große
Erfolg des Dramas im Lesesaale die Direktion zur
Aufführung des Dramenzyklus veranlassen wird. Den
Schluß des Abends bildete „Excentrik“ eine geist¬
funkelnde Kaffeehausnovelle, in der mehr Witz steckt
als in manchem dicken Jahrgange der „Fliegenden
Blätter.“ Das Publikum zollte dem Dichter mit
rauschendem Beifalle Dank. Und Schnitzler kann
auch nicht stark genug gefeiert werden. Ji seiner
weichen anmutigen Art birgt sich eine derartige Fülle
an Kraft und Leidenschaft, daß wir das Höchste noch
von ihm zu erwarten haben. In den Jahr für
Jahr erscheinenden Werken der Sudermann, Haupt¬
mann, Halbe 2c. spürt man deutlich das Versiegen
eines einst sprudelnden Quelles, bei Schnitzler em¬
pfinden wir das Rinnen und Rieseln unverbrauchter
Kräfte. Mögen sie nicht verkümm
auf den weichgepolsterten Divan
Telephon 12801.
15
„UBSEAVER
I. österr. behördl. konz. Unternehmen für Zeltungs-Ausschnitte
Wien, I., Concordiaplatz 4.
Vertretungen
in Berlin, Budapest, Chicago, Christiania, Genf, Kopenhagen,
London, Madrid, Mailand, Minneapolis, New-York, Paris, Rom,
San Francisco, Stockholm, St. Petersburg.
(Quellenapgabe ohne Gewähr.)
deseheickt vne Gddeet See
vom:
W
r
(Arthur Schnitzler) offenbarte sich am letzten
Montag dem Teplitz=Schönauer Publikum als Vor¬
leser. Der Leseklub hätte seine Saison nicht schöner
und würdiger eröffnen können, als durch diesen
Abend, für den ein vornehmes und dankbares Publi=E.
kum den großen Vereinshaussaal bis auf das letzteg
4
Plätzchen gefüllt hatte. Den Hauptreiz des Abendsg
bildete nicht so sehr der Stoff des Programmes, —
die Voraussetzung, daß das Leseprogramm dem lite=B
rarisch interessierten Gros der Besucher durch Lektüre!
bekannt war, ist wohl selbstverständlich, — als viel¬
mehr die Persönlichkeit des Dichters selbst, die man
da während eines flüchtigen Stündchens behaglich auf
sich einwirken lassen konnte. Die „Weihnachtsein¬
käufe“ aus dem „Anatol“=Zyklus, die „letzten Mas¬
ken“, diese packende, wie mit kräftigen Kreidestrichen
hingeworfen, dramatische Skizze, und endlich die witz¬
sprühende Charakterstudie „Excentric“ die erst vor
kurzem wieder in der vom „Wiener Verlag“ edier¬
ten Bibliothek moderner Autoren erschienen ist,
das war ein Leseprogramm, knapp, charakteristisch, an¬
ziehend und fesselnd. Wenn auch das Organ Schnitz¬
lers nur für intimere Wirkungen geschaffen ist und
den weiten Saal nicht ganz erfüllen konnte, so bot
doch die liebenswürdige Art des Vorlesers, die auch
die latentesten Reize der drei zarten Dichtungen fein¬
sinnig herausholte, einen selienen Genuß, dem man
sich germ andächtig und aufmerksam hingab. Das
Publikum geriet in enthusiastische Stimmung und be¬
reitete dem Vorleser herzliche Beifallsovationen, die
schließlich auch in einer formvollendeten Rede des
Herrn Dr. Richard Pollak einen beredten Aus¬
druck fanden.
—ch.
*
7. J.tt C—
Der Dichter verstand es, den Hörer durch einen
kurzen Dialog, scheinbar eine anspruchslose Plau¬
derei, für drei Menschenschicksale zu interessieren.
Auch im Vortrage wirkte die Szene sehr. Als zwei¬
tes Vortragsstück brachte der Dichter die einaktige
Tragödie „Letzte Masken“ aus den „Lebendigen
Stunden. Ein Intelligenzproletarier und Zeilen¬
schinder, Rademacher, liegt sterbend im Krankenhause.
Sein Stubengenosse Jackwert, ein Komödiant, teilt
ihm seinen Zeitvertreib mit: sich auszufluchen über
die Personen seines Hasses, die Maske ihnen vom
Gesichte zu reißen — aber natürlich nur im eigenen
Innern, in wollüstiger Phantasie. Aber Rademacher
wirnnn von der Gier gepäckt, dem Menschen, #en
er mit seinem tiefsten Hasse haßt, seinem Jugend¬
freunde Weihgast Aug' ins Auge seine brutale
Meinung zu sagen. Dann wird er ruhig sterben.
Weihgast hat die ersten Sprossen der literarischen
Stufenleiter mit ihm gemeinsam erklommen. Aber
dann klomm Weihgast, gestützt und getragen von der
Gunst der Menge, um die er buhlte, ugs in die Höhe.
Rademacher blieb unten, hungernd, ringend und
ehrlich. Aber ihm offenbarte sich die Lächerlichkeit
des literarischen Clowns, sie offenbarte sich ihm in
der Meinung der ehrlichen Kritiker, in dem Ekel der
eigenen Gattin, die den gefeierten Gatten mit ihm,
dem Bettler, betrog. Und nuns in seiner Sterbe¬
stunde will er ihm alles enthüllen, die Maske ihm
herabreißen, ihn herabstürzen von der schwindeln¬
den Höhe. Und Weihgast wird gerufen, atemles
empfangen vom sterbenden „Freunde“. Mit der gan¬
zen nichtigen Eleganz seiner wohlfrisierten Ober¬
flächlichkeit begrüßt er den Freund, den er so un¬
erwartet im Elend findet. Er drückt seine affektierte
Teilnahme aus, er erzählt, in der Pose des Mär¬
tyrers, von den Leiden der eigenen Häuslichkeit, der
eigenen Seele. Rademacher hört das alles. Nie ist
ihm die Erbärmlichkeit des Freundes, die Wert¬
und Sinnlosigkeit seines Ruhmeslebens deutlicher
zum Bewußtsein gekommen, wie jetzt. Und sein gan¬
zer Haß, die aufgesammelte Wut der Vernichtung
fällt von ihm ab, um eine grenzenlose stumme
Verachtung zurückzulassen. In diesem Augenblicke
fühlt er sich ganz schon dem Leben entrückt, auf das er
herabsieht, wie von hohem Turme. Sein eigenes
Elend gehört ihm nicht mehr, es brodelt mit de
unten in dem Meer von Erbärmlichkeit, in dem der
Ruhm seines Freundes schaumige Blasen treibt.
„Was geht er mich noch an! Was ist er mir! Was
habe ich Toter noch mit den Lebendigen zu tun?!“
Mit diesen Worten des sterbenden Rademacher
schließt das erschütternde Stücks Von dem Dichter
mit guter Nuancierung der Stimmen und Charak¬
tere vorgetragen, wirkte es wie eine Premiere und
es war auch eine Premiere. Denn das Teplitzer
Publikum, dem die neuesten Cochonnerien der Henne¬
quin und Veber nie lange vorenthalten werden, has
die „Lebendigen Stunden“ noch nicht von der Bühne
aus kennen gelernt. Und dieser Dramenzyklus be¬
darf doch weder besonderen Aufwands an Personal
noch an Ausstattung. Wir hoffen, daß der große
Erfolg des Dramas im Lesesaale die Direktion zur
Aufführung des Dramenzyklus veranlassen wird. Den
Schluß des Abends bildete „Excentrik“ eine geist¬
funkelnde Kaffeehausnovelle, in der mehr Witz steckt
als in manchem dicken Jahrgange der „Fliegenden
Blätter.“ Das Publikum zollte dem Dichter mit
rauschendem Beifalle Dank. Und Schnitzler kann
auch nicht stark genug gefeiert werden. Ji seiner
weichen anmutigen Art birgt sich eine derartige Fülle
an Kraft und Leidenschaft, daß wir das Höchste noch
von ihm zu erwarten haben. In den Jahr für
Jahr erscheinenden Werken der Sudermann, Haupt¬
mann, Halbe 2c. spürt man deutlich das Versiegen
eines einst sprudelnden Quelles, bei Schnitzler em¬
pfinden wir das Rinnen und Rieseln unverbrauchter
Kräfte. Mögen sie nicht verkümm
auf den weichgepolsterten Divan
Telephon 12801.
15
„UBSEAVER
I. österr. behördl. konz. Unternehmen für Zeltungs-Ausschnitte
Wien, I., Concordiaplatz 4.
Vertretungen
in Berlin, Budapest, Chicago, Christiania, Genf, Kopenhagen,
London, Madrid, Mailand, Minneapolis, New-York, Paris, Rom,
San Francisco, Stockholm, St. Petersburg.
(Quellenapgabe ohne Gewähr.)
deseheickt vne Gddeet See
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(Arthur Schnitzler) offenbarte sich am letzten
Montag dem Teplitz=Schönauer Publikum als Vor¬
leser. Der Leseklub hätte seine Saison nicht schöner
und würdiger eröffnen können, als durch diesen
Abend, für den ein vornehmes und dankbares Publi=E.
kum den großen Vereinshaussaal bis auf das letzteg
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Plätzchen gefüllt hatte. Den Hauptreiz des Abendsg
bildete nicht so sehr der Stoff des Programmes, —
die Voraussetzung, daß das Leseprogramm dem lite=B
rarisch interessierten Gros der Besucher durch Lektüre!
bekannt war, ist wohl selbstverständlich, — als viel¬
mehr die Persönlichkeit des Dichters selbst, die man
da während eines flüchtigen Stündchens behaglich auf
sich einwirken lassen konnte. Die „Weihnachtsein¬
käufe“ aus dem „Anatol“=Zyklus, die „letzten Mas¬
ken“, diese packende, wie mit kräftigen Kreidestrichen
hingeworfen, dramatische Skizze, und endlich die witz¬
sprühende Charakterstudie „Excentric“ die erst vor
kurzem wieder in der vom „Wiener Verlag“ edier¬
ten Bibliothek moderner Autoren erschienen ist,
das war ein Leseprogramm, knapp, charakteristisch, an¬
ziehend und fesselnd. Wenn auch das Organ Schnitz¬
lers nur für intimere Wirkungen geschaffen ist und
den weiten Saal nicht ganz erfüllen konnte, so bot
doch die liebenswürdige Art des Vorlesers, die auch
die latentesten Reize der drei zarten Dichtungen fein¬
sinnig herausholte, einen selienen Genuß, dem man
sich germ andächtig und aufmerksam hingab. Das
Publikum geriet in enthusiastische Stimmung und be¬
reitete dem Vorleser herzliche Beifallsovationen, die
schließlich auch in einer formvollendeten Rede des
Herrn Dr. Richard Pollak einen beredten Aus¬
druck fanden.
—ch.
*
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