IV, Gedichte und Sprüche 2, Bemerkungen, Seite 17

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2. Benerkungen
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Bemerkungen zu dem Thema
Kunst und Kritik.
Von Arthur Schnitzler.
Aus dem noch nicht erschienenen Buche der „Sprüche und Bedenken“
mit persönlicher Erlaubnis des Dichters zur Veröffentlichung gebracht.
Autoren stellen bekanntlich eine höchst empfindliche
Menschensorte vor. Wer möchte dem widersprechen? Ich kenne
tatsächlich nur eine, die empfindlicher wäre —: die der Kritiker.
Denn meiner Erfahrung nach kommt auf ein Dutzend Autoren,
die es dem Kritiker nicht allzuübel vermerken, daß er an ihrem
Werk gemäkelt, es verhöhnt oder verdammt hat, die es auch leid¬
lich ruhig hinnahmen, wenn es ihm beliebt, ihre künstlerische
Ehrlichkeit oder die Sauberkeit ihres Charakters zu verdäch¬
#tigen. kommt noch nicht ein Kritiker, der sich einen Wider¬
spruch gegenüber der Unfehlbarkeit seiner Urteile oder gar den
gelindesten Zweifel an seiner kritischen Unbefangenheit gefallen
ließe — ohne mit Spott oder mit Entrüstung den Autor, der sich so
weit erkühnte, für — nun mindestens eben für — empfindlich zu
erklären.
In den besten Momenten ihres Schaffens sind Künstler zweiten
Ranges von den wahrhaft großen kaum zu unterscheiden. Doch
was ihnen in jedem Falle mangelt, ist die Fähigkeit, sich genügend
lange auf der erforderlichen Höhe zu halten; und ihr Verhängnis
ist es, gerade in den Augenblicken, wo die außerordentlichste und
letzte Anspannung aller Kräfte notwendig wäre, ins Dürftige,
Triviale oder Absurde hinabzusinken. —
0 Meister, wäre dein Genie doch aromatisch genug, um den
penetranten Duft deiner jünger zu überduften!
Was den Dilettanten früher — und in jedem Fall untrüglicher
verrät als die Schwächen seines Talents, das ist die Problematik
seines Menschentums.

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