2. Benerkungen
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Eines der stärksten, jedenfalls aber das kontinuierliche Ele¬
ment in der Beziehung von Mensch zu Mensch ist die Schaden¬
Treude, soweit sie nicht durch persönliche Sympathie, besser noch
durch das Vorhandensein eines mit dem (vermeintlich oder wirk¬
lich) Geschädigten Gemeinsam und semit gleichfalls gefährdeten
Interesses gebändigt scheint.
Und ihr verlangt im Ernst, daß der Rezensent um der Wahrheit
willen einen boshaften Witz, eine amüsante Entstellung, ein
heuchlerisches Wort des Bedauerns unterdrücke, da er doch in
jedem Falle der Schadenfreude als einer so mächtigen, niemals
versagenden Verbündeten sicher sein darf, durch deren Beifall
und Vergnügen, er sich immer wieder exkulpiert, bestätigt und
für die Zukunft ermutigt finden wird?
Sobald ein Kunstwerk, in die Offentlichkeit entlassen, seinen
Weg beginnt, bietet sich manchmal ein seltsames Schauspiel dar:
wie ein boshafter Affe auf dem Rücken eines edlen Renners
springt irgend ein Schlagwort auf das Werk los. setzt sich dort fest
und schneidet seine Grimassen; und wenn es bei dem rasenden
Ritte allmählich die Laune und mit der Zeit Atem und Leben ver¬
liert —: es hat sich immerhin so fest in das edle Tier eingekrallt.
daß geraume Zeit hindurch auch noch der verdorbene Leichnam,
ein lächerlich gespenstischer Anblick, auf dem Rücken des galop¬
pierenden Renners hocken bleibt, ehe er herunterstürzt, um am
Wegrand zu verwesen.
Sittliche Entrüstung —? Gegenüber von Kunstwerken gibt es
überhaupt keine. Was man so zu nennen pflegt, ist ein durchaus
fiktiver Begriff.
Es gibt allerdings Menschen, die ihre Unfähigkeit oder ihre
Abneigung, ein Kunstwerk rein als solches zu betrachten, bewußt
oder unbewußt in sittliche Entrüstung umdeuten. Das sind nicht
immer sehr kluge, aber oft ganz ehrliche Leute.
Es gibt ferner Menschen, die aus recht verschiedenen, sehr
häufig aus sogenannten politischen Gründen sich einem Kunst¬
werkgegenüber als sittlich Entrüstete gebärden. ohne es innerlich
zu sein. Es wäre unhöflich, diese Leute einfach als Heuchler zu be¬
zeichnen, da sich ihre Entrüstungsgeste innerhalb unserer Zivili¬
sation geradezu automatisch und oft ohne feindselige Absicht ein¬
zustellen pflegt.
Dann gibt es Menschen, die, ob nun für ihren eigenen Teilent¬
rüstet oder nicht, die eingebildeten „ die gespielten, die geheuchel¬
ten Entrüstungen der andern vollkommen ernst nehmen. Das sind
die Naiven oder die rettungsles einfältigen Leute.
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Eines der stärksten, jedenfalls aber das kontinuierliche Ele¬
ment in der Beziehung von Mensch zu Mensch ist die Schaden¬
Treude, soweit sie nicht durch persönliche Sympathie, besser noch
durch das Vorhandensein eines mit dem (vermeintlich oder wirk¬
lich) Geschädigten Gemeinsam und semit gleichfalls gefährdeten
Interesses gebändigt scheint.
Und ihr verlangt im Ernst, daß der Rezensent um der Wahrheit
willen einen boshaften Witz, eine amüsante Entstellung, ein
heuchlerisches Wort des Bedauerns unterdrücke, da er doch in
jedem Falle der Schadenfreude als einer so mächtigen, niemals
versagenden Verbündeten sicher sein darf, durch deren Beifall
und Vergnügen, er sich immer wieder exkulpiert, bestätigt und
für die Zukunft ermutigt finden wird?
Sobald ein Kunstwerk, in die Offentlichkeit entlassen, seinen
Weg beginnt, bietet sich manchmal ein seltsames Schauspiel dar:
wie ein boshafter Affe auf dem Rücken eines edlen Renners
springt irgend ein Schlagwort auf das Werk los. setzt sich dort fest
und schneidet seine Grimassen; und wenn es bei dem rasenden
Ritte allmählich die Laune und mit der Zeit Atem und Leben ver¬
liert —: es hat sich immerhin so fest in das edle Tier eingekrallt.
daß geraume Zeit hindurch auch noch der verdorbene Leichnam,
ein lächerlich gespenstischer Anblick, auf dem Rücken des galop¬
pierenden Renners hocken bleibt, ehe er herunterstürzt, um am
Wegrand zu verwesen.
Sittliche Entrüstung —? Gegenüber von Kunstwerken gibt es
überhaupt keine. Was man so zu nennen pflegt, ist ein durchaus
fiktiver Begriff.
Es gibt allerdings Menschen, die ihre Unfähigkeit oder ihre
Abneigung, ein Kunstwerk rein als solches zu betrachten, bewußt
oder unbewußt in sittliche Entrüstung umdeuten. Das sind nicht
immer sehr kluge, aber oft ganz ehrliche Leute.
Es gibt ferner Menschen, die aus recht verschiedenen, sehr
häufig aus sogenannten politischen Gründen sich einem Kunst¬
werkgegenüber als sittlich Entrüstete gebärden. ohne es innerlich
zu sein. Es wäre unhöflich, diese Leute einfach als Heuchler zu be¬
zeichnen, da sich ihre Entrüstungsgeste innerhalb unserer Zivili¬
sation geradezu automatisch und oft ohne feindselige Absicht ein¬
zustellen pflegt.
Dann gibt es Menschen, die, ob nun für ihren eigenen Teilent¬
rüstet oder nicht, die eingebildeten „ die gespielten, die geheuchel¬
ten Entrüstungen der andern vollkommen ernst nehmen. Das sind
die Naiven oder die rettungsles einfältigen Leute.
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