2. Benerkungen box 35/2
Auch der ehrlichste Denker wird es ohne Humor
niemals zum Philosophen, sondern immer nur zum
Pedanten bringen.
Dies ist die schmerzlichste Sehnsucht: die nach
einem Menschen, der dir völlig zu gehören meint
und den du nach deinem eigenen Gefühl doch nicht
voll besitzest; und dies die schmerzlichste Trauer:
die um einen Menschen, der lebendig in deiner Nähe
wandelt und dir schon lange gestorben ist, ohne daß
er es weiß.
In der Betrachtung träumt der menschliche
Geist, in der Erkenntnis oder dem, was er dafür hält,
schwärmt er und erst im Willen wird er wach.
Begriffe wie: schmarotzen, bestechen, erpressen wer¬
den meist nur im materiellen Sinne verstanden. Aber
gibt es nicht Schmarotzer an unserem Wesen, die
gefährlicher sind als solche an irdischem Gut? Wer¬
den nicht listigere, ja heimtückischere Bestechun¬
gen verübt als solche durch Geld und Geldeswert?
Und sind die schlimmsten Erpressungen nicht
solche, die an unseren Gefühlen versucht oder be¬
gangen werden?
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∆55
S
1
Was immer du glaubst — sei es die Existenz eines
höchsten Wesens, eine Vorsehung, ein Gewissen, ein
Wille, ein Schicksal, eine himmlische Gerechtigkeit
- oder nichts von all dem, sondern nur die völlige
Sinnlosigkeit der Welt und des Daseins: — du hast
immer nur Gott gemeint.
Zu einem echten Gefühl der Verantwortlich¬
keit und damit zum Bewußtwerden der Verpflich¬
tung, einen begangenen Fehler so weit als mög¬
lich wieder gut zu machen, bis dahin gelangen nur
wenige Menschen. Die meisten lassen es sich an dem
Bewußtsein genügen, daß sie ihren Fehler einsehen,
am schlechten Gewissen also, das unter Um¬
ständen ein ebenso treffliches Ruhekissen bedeutet als
nach dem Sprichwort das gute.
Wie oft ist äußere Korrektheit nur der Versuch,
den übeln Zustand der seelischen Innenräume durch
eine wohlgehaltene äußere Fassade zu maskieren.
Wer genötigt ist, ins Haus zu treten, wird manch¬
mal staunen, wie wenig von der sogenannten An¬
ständigkeit er vorfindet, auf die er doch gefaßt sein
mußte; freilich wird er meist bemerken, wenn er
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W
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Auch der ehrlichste Denker wird es ohne Humor
niemals zum Philosophen, sondern immer nur zum
Pedanten bringen.
Dies ist die schmerzlichste Sehnsucht: die nach
einem Menschen, der dir völlig zu gehören meint
und den du nach deinem eigenen Gefühl doch nicht
voll besitzest; und dies die schmerzlichste Trauer:
die um einen Menschen, der lebendig in deiner Nähe
wandelt und dir schon lange gestorben ist, ohne daß
er es weiß.
In der Betrachtung träumt der menschliche
Geist, in der Erkenntnis oder dem, was er dafür hält,
schwärmt er und erst im Willen wird er wach.
Begriffe wie: schmarotzen, bestechen, erpressen wer¬
den meist nur im materiellen Sinne verstanden. Aber
gibt es nicht Schmarotzer an unserem Wesen, die
gefährlicher sind als solche an irdischem Gut? Wer¬
den nicht listigere, ja heimtückischere Bestechun¬
gen verübt als solche durch Geld und Geldeswert?
Und sind die schlimmsten Erpressungen nicht
solche, die an unseren Gefühlen versucht oder be¬
gangen werden?
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Was immer du glaubst — sei es die Existenz eines
höchsten Wesens, eine Vorsehung, ein Gewissen, ein
Wille, ein Schicksal, eine himmlische Gerechtigkeit
- oder nichts von all dem, sondern nur die völlige
Sinnlosigkeit der Welt und des Daseins: — du hast
immer nur Gott gemeint.
Zu einem echten Gefühl der Verantwortlich¬
keit und damit zum Bewußtwerden der Verpflich¬
tung, einen begangenen Fehler so weit als mög¬
lich wieder gut zu machen, bis dahin gelangen nur
wenige Menschen. Die meisten lassen es sich an dem
Bewußtsein genügen, daß sie ihren Fehler einsehen,
am schlechten Gewissen also, das unter Um¬
ständen ein ebenso treffliches Ruhekissen bedeutet als
nach dem Sprichwort das gute.
Wie oft ist äußere Korrektheit nur der Versuch,
den übeln Zustand der seelischen Innenräume durch
eine wohlgehaltene äußere Fassade zu maskieren.
Wer genötigt ist, ins Haus zu treten, wird manch¬
mal staunen, wie wenig von der sogenannten An¬
ständigkeit er vorfindet, auf die er doch gefaßt sein
mußte; freilich wird er meist bemerken, wenn er
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