IV, Gedichte und Sprüche 3, Buch der Sprüche und Bedenken, Seite 5

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nebenbei, als hätte der Dichter das Recht nicht, die
haben offenbar mit seiner Person, mit Mängeln
Gestalten einer versunkenen. auch einer eben erst
seines Charakters, seines Talents oder seiner Ur¬
daß es
versunkenen Welt heraufzubeschwören —),
teilskraft kaum etwas zu schaffen. Es drückt sich in
nicht lange dauern wird bis zu dem Augenblick, da
diesen Schwächen oft nur der immanente Geist der
wieder dieselben Leute das neue Schlagwort als
Kritik aus, ihre Erbsünde könnte man sagen. der
lächerlich verhöhnen werden, die heute noch ihre
jeder, der nun einmal diesen Beruf ausübt, un¬
geistige Ueberlegenheit zum großen Teil davon zu
weigerlich verfallen ist. Für die Richtiakeit dieser
bestreiten suchen.
Annahme scheint mir ein Beweis zu sein, daß auch
Aber wir dürfen ruhig sein: bis dahin wird
Autoren (ia auch besonders solche), die sich über
diesen Wortschlägern schon wieder ein anderes, noch
erlittene Anariffe nicht heftig genug entrüsten
dümmeres eingefallen sein.
konnten, sohald sie selbst in die Gelegenheit kommen,
an dem Werke eines anderen Autors Kritik zu
üben, die gleichen und oft noch viel üblere Rezen¬
Des Kritikers erste Frage müßte sein: Was hast
sentenmanieren anzunehmen pflegen als die, die
du mir zu sagen. Werk —? Aber das kümmert ihn
ihnen höchst verwerflich dünkten, da sie sie am eigenen
im allgemeinen wenig. Seine erste Regung ist viel¬
Leibe zu verspüren hatten.
mehr: Nun, Werk, gib acht, was ich dir zu sagen
habe!
Eines der stärksten, jedenfalls aber das konti¬
Sittliche Entrüstung —? Gegenüber von Kunst¬
nuierliche Element in der Beziehung von Mensch zu
Was man so zu
werken gibt es überhaupt keine.
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Mensch ist die Schadenfrende, soweit sie nicht durch
nennen pflegt. ist ein durchaus jutiver Begriff.

versönliche Sympathie, besser noch durch das Vor¬
Es gibt allerdings Menschen. die ihre Unfäbig¬
handensein eines mit dem (vermeintlich oder wirk¬
keit oder ihre Abneigung, ein Kunstwerk rein als
lich) Geschädigten gemeinsamen und somit gleich¬
solches zu betrachten. bewußt oder unbewußt in sitt¬
falls gefährdeten Interesses gebändigt scheint.
liche Entrüstung umdeuten. Das sind nicht immer
Und ihr verlangt im Ernst. daß der Rezensent
sehr kluge, aber oft ganz ehrliche Leute.
um der Wahrheit willen einen boshaften Witz eine
Es gibt ferner Menschen, die aus recht verschie¬
amüsante Entstellung, ein heuchlerisches Wort des
denen, sehr häufig aus sogenannten politischen
Bedauerns unterdrücke, da er doch in jedem Falle
Gründen sich einem Kunstwerk gegenüber als sitt¬
der Schadenfreude als einer so mächtigen, niemals
lich Entrüstete gebärden, ohne es innerlich zu sein.
versagenden Verbündeten sicher sein darf. durch deren
Es wäre unhöflich, diese Leute einfach als Heuchler
Beifall und Vergnügen er sich immer wieder erkul¬
zu bezeichnen, da sich ihre Entrüstungsgeste inner¬
viert. bestatigt und für die Zukunft ermutigt finden
halb unserer Zivilisation geradezu automatisch und
wird?
oft ohne feindselige Absicht einzustellen pflegt.
Dann gibt es Menschen, die, ob nun für ihren
Dem Kritiker ist es so leicht gemacht, eine Ab¬
eigenen Teil entrüstet oder nicht, die eingebildeten.
neigung, die er etwa gegen einen Autor, dessen Per¬
die gespielten, die geheuchelten Entrüstungen der
sönlichkeit, dessen Werk empfindet, in einer völlig
Anderen vollkommen ernst nehmen. Das sind die
gefahrlosen Weise zum Ausdruck zu bringen, daß
Naiven oder die rettungslos einfältigen Leute.
er schon einer ganz besonderen Charakterstärke und
Und endlich gibt es Menschen, die all das ge¬
h
Selbstüberwindung bedarf, um dieser Verführung
radeso gut wissen, wie ich und selbstverständlich auch
der verehrte Leser, aber dabei so tun, als wenn sie
nicht zu unterliegen.
selbst an all die eingebildeten. gesvielten und ge¬
Es ist kaum der Mühe wert. in diesem Zusammen¬
heuchelten Entrüstungen im Innersten glaubten: —
hange von der Schar talentloser oder bösartiger
das sind die Kritiker.
Individuen zu reden, die, wie in jedem anderen
Berufe auch in dem der Kritiker, die Mehrzahl
bilden; aber es gibt zu jeder Zeit auch recht begabte
Autaren stellen bekanntlich eine höchst empfind¬
Schriftsteller, denen, um durchzudringen, weiter nichts
liche Menschenforte vor.
Mer möchte dem wider¬
mangelt, als jenes geheimnisvolle Element, das ein
sprechen? Ich kenne tatsächlich nur eine, die
Künstler besitzen muß. damit seinen Erfolgen Inten¬
empfindlicher wäre —
die der Kritiker. Denn
sität und Dauer beschieden sei: Persönlichkeit —. ein
meiner Erfahrung nach kommt auf ein Dutzend
Mangel, den der Betroffene selbst zu fühlen oder
Antoren, die es dem Kritiker nicht allin übel ver¬
gar sich selber einzugestehen nur selten imstande
merken, daß er an ihrem Werk gemäkelt, es ver¬
höhnt oder verdammt hat, die es auch leidlich ruhig
sein wird.
Muß es sosche Leute, die als „Schaffende“ immer¬
hinnahmen, wenn es ihm beliebt, ihre künstlerische
hin ihr Bestes und damit oft genug Gutes, ja
Ehrlichkeit oder die Sauberkeit ihres Charakters zu
Wertvolles geben, und die doch niemals über die
nicht ein
verdächtigen, noch
Kritiker.
Anerkennung eines kleinen Kreises hinausgelangen:
einen Widerspruch gegenüber der Unfehlbarkeit seiner
die überdies in jenen Seelentiefen, wo auch die
Urteile oder gar den gelindesten Zweifel an seiner
kritischen Unbefangenheit gefallen ließe — ohne mit
Möglichkeit eines Selbstbetruges nicht mehr besteht,
Syatt oder mit Entrüstung den Autor. der sich so weit
ahnen mögen, daß auch die Nachwelt sie für die
erkühnte, für — nun mindestens eben für — empfind¬
Trübnis ihres Erdenwallens kaum entschädigen
dürfte — muß es diese Leute nicht mit Groll erfüllen,
lich zu erklären.
10.
wenn sie sehen. daß irgendein Berufsgenosse. der
ihnen an eigentlicher Begabung vielleicht nicht ein¬
In den besten Momenten ihres Schaffens sind
mal sonderlich überlegen ist und der eben nur durch
Künstler zweiten Ranges von den wahrhaft großen
jenes geheimnisvolle Element der Persönlichkeit
kaum zu unterscheiden. Doch was ihnen in jedem
stärkere Wirkungen ausstrahlt, ideelle und materielle
Falle mangelt, ist die Fähigkeit, sich genügend lange
Vorteile genießt, die ihnen im allgemeinen versagt
auf der erforderlichen Höhe zu halten: und ihr Ver¬
bleiben? Und wenn nun einem von diesen Leuten
hängnis ist es gerade in den Augenblicken, wo die
Gelegenheit gegeben ist, seinem gevreßten Herzen
außerordentlichste und letzte Ansvannung aller Kräfte
Luft zu machen, eine kurze Frist — so lange er eben
notwendig wäre, ins Dürftige. Triviale oder Absurde
hinabzusinken.
die Feder in der Hand hält, sich dem glücklicheren
11.
Berufsgenossen überlegen zu fühlen — wenn er sich
einbilden darf, daß er dessen Schicksal für eine
O Meister. wäre dein Genie doch aromatisch ge¬
Weile in der Hand hält. oder daß er ihm wenigstens
nug, um den venetranten Duft deiner Jünger zu
durch ein bißchen Spott und Verachtung für eine
überduften!
man sich
darf
Stunde die Laune verderben kann: —
12.
wundern, daß er eine solche Gelegenheit nicht un¬
Was den Dilettanten früher — und in jedem Fall
genützt verstreichen lassen will?
untrüglicher verrät als die Schwächen seines Talents,
Es wäre töricht, den Seelenzustand dieser Un¬
das ist die Problematik seines Menschentums.
glücklichen mit dem Worte Neid abzutun. Sie
13.
benützen einfach, ohne böse Absicht, automatisch ge¬
Woher nur dein Drang, o Dichter, von den köst¬
wissermaßen, den Anlaß — ach. er kommt so selten:
— sich für ihr eigenes in gewissem Sinn oft genug
lichen Stunden deiner Einsamkeit der aufhorchenden
Welt zu erzählen? Solltest du im Grunde nicht eine
ungerechtes Schicksal, so gut es geht. eine Weile
höchst gesellige Natur sein und ein wenig Geck dazu?
hindurch schadlos zu halten, indem sie ihre Er¬
bitteruna abzureagieren versuchen. Und da es in
der Kunst, wie in allen menschlichen Dinaen, nichts
Künstler sein. das heißt: verstehen, die rauhen
absolut Vollendetes gibt, und jedes. auch das ge¬
Flächen der Wirklichkeit so glattzuschleifen, daß sie die
lungene, das bedeutende, das große Werk der
Kritik von irgendeinem freigewählten Stande aus
ganze Unendlichkeit von den Höhen des Himmels bis
zu den Tiefen der Hölle widerzuspiegeln vermag.
genügend viel Angriffspunkte bietet, da ferner das
Verschweigen von Vorzügen als durchaus erlaubt
15.
aber auch Entstellungen, Leichtfertigkeiten. Bos¬
heiten auf diesem Gebiete keineswegs als unan¬
In jeder Evoche bildet sich eine literarische Manier
ständig angesehen werden; — ja. da solche Leute in
aus. mit der auch die geringeren Talente mehr oder
ihrem verdüsterten Gemüt sich auch gegen die guten
weniger gewandt zu wirtschaften verstehen und die
Seiten eines gehaßten Autors blind zu machen ver¬
den Stil dieser Evoche unfreiwillig varodiert. Und
stehen — dürfen sie vor sich und vor anderen auch
es gibt wahre Genies der Manier unter diesen naiven
weiterhin als ehrliche Kritiker gelten — auch wenn
oder hochstavlerischen Parodisten, die nicht nur das
sie diesen Anspruch in einem höheren Sinn durchaus
Publikum, sondern auch die Kritik zu tauschen ver¬
ikt
stehen. — Der klassische Stil ist es der sich zu solch
verwiret hätten.
5.
manieristischer Behandlung am wenigsten eignet, weil
hier ohne einige Bildung. Fleiß und Geduld doch
Sobald ein Kunstwerk. in die Oeffentlichkeit ent¬
nichts auszurichten oder vorzusviegeln ist: der natura¬

lassen, seinen Weg beginnt, bietet sich manchmal ein
listische und der expressionistische Stil bieten sich ma¬
seltsames Schausviel dar: wie ein boshafter Affe
nieristischer Behandlung am bequemsten dar. Auch
auf den Rücken eines edlen Renners sprinat irgend
echte Talente aber verfallen in ihren schwächeren
ein Schlagwort auf das Werk, los. setzt sich dort
Perioden in Manierismus. manchmal sogar solche, die
fest und schneidet seine Grimassen: und wenn es
in ihrer besseren Zeit den neuen Stil selbst geschaffen
bei dem rasenden Ritte allmählich die Laune und
mit der Zeit Atem und Leben verliert —: es hat und ausgebildet haben.
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