IV, Gedichte und Sprüche 3, Buch der Sprüche und Bedenken, Seite 11

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3. Buch der Sprneche und Bedenken
ACT
#0
Dr. Max Goldschmidt
Büro für Zeitungsausschnitte
BERLIN N4
Teleion: Norden 3051
Ausschnitt aus:
Prager Tagblatt
2
20. Apri 1097
Pemerkungen.
Von Arthur Schefeufer:
Aus dem unveröffentlichten „Buch der Sprüche und
Bedenken“.
Wenn dir ein Unglück widerfährt, so wird die
Wie unklar doch die Menschen oft über sich
erste Regung deines Freundes nicht etwa Mit¬
selber sind! Einer liebt den Duft der Blumen
gefühl sein oder gar das Bedürfnis, dir zu
und hält sich darum für einen Botaniker, ein
helfen, sondern die Befriedigung darüber, daß
anderer zählt Steubfäden und hält sich für
er für seinen Teil das Unglück längst kommen
einen Naturschwärmer.
sah, und die Ueberzeugung, daß du selber daran
schuld bist.
Wie oft halten wir für Unversöhnlichkeit der
Ansichten, was nichts anderes ist als Verschie¬
denheit der Temperamente.
Ein Gemisch von Aufrichtigkeit und Lüge
wird immer nur Lüge, von Stärke und
Es ist schade, daß die meisten Rationalisten
Schwäche immer nur Schwäche, von Güte und
so wenig Verstand und die meisten Mystiker bei¬
Bosheit immer nur Bosheit ergeben. Denn nur
nahe gar keine Phantasie haben. Sonst könnten
das negative Vorzeichen ist entscheidend, und
der Unterschied zwischen Algebra und Psycho¬
sie sich vortrefflich miteinander verstehen und
würden vielleicht manchmal merken, daß sie der¬
logie besteht nur darin, daß im letzteren Falle
selben Ansicht sind und nur in verschiedenen
zwei negative Vorzeichen niemals ein positives
Sprachen reden.
Resultat ergeben.
Wie oft — bei uns noch öfter als bei anderen
Menschliche Beziehungen, die auf großem
halten wir für Stärke des Charakters, was
Fuße eingerichtet waren, lassen sich nur unter
am Ende doch nichts änderes war als Schwäche
schmerzlichen und beschämenden Opfern in
des Gesühls.
kleinem Stile weiterführen, und klüger ist der
Entschluß, einen gemeinsamen seelischen Haus¬
Eine sogenannte Halbwahrheit, sie mag sich
halt einfach aufzulösen als der Versuch ihn
aufspielen wie sie will, wird niemals eine ganze
mühselig zu beschränken.
Wahrheit werden. Ja. wenn wir ihr nur scharf
genug ins Auge sehen, so ist sie immer eine
Die sogenannten impulsiven Menschen sind
ganze Lüge gewesen.
meistens nicht Verschwender, sonder nur Un¬
geduldige ihres Gefühls.
Ich glaube dir deine Weisheit nur, wenn sie
dir aus dem Herzen, deine Güte nur, wenn sie
dir aus dem Verstande kommt.
Mit dem Ohr der Menschheit ist es so be¬
schaffen, daß es den Schall zu verschlafen und
Du sprichst von deiner Mission? Das klingt
erst vom Echo zu erwachen pflegt.
etwas pathetisch. Oder sollte es nicht am Ende
nur der Vorwand sein, unter dem du dich deiner
So oft sich der Glaube emporzuschwingen ver¬
Pflicht zu entziehen gedenkst? Denn dies ist der
— und
meint, an der Unendlichkeit gemessen
ernstere, schwerere und verantwortungsvollere
ist er gerade
Begriff; und was du deine Mission nennst, das
hier gibt es kein anderes Maß —
so weit von Gott entfernt als der Zweifel.
muß notwendig in deiner Pflicht enthalten sein;
oder du bist deiner Mission niemals wert ge¬
wesen.
Wenn man mit einem Politiker von guten
Manieren und einiger Klugheit in eine Unter¬
Daß du ihn völlig durchschautest, das hat dir
haltung gerät, macht man meistens die über¬
noch keiner verziehen, er mag noch so gut dabe:
raschende, aber sympathische Entdeckung, daß er
weggekommen sein.
eigentlich gar nicht zu seiner Partei gehört.
Wenn einer sagi, daß er die Menschen liebe,
so spricht er das kaum jemals ohne Rührung
über seine Herzensgüte aus; behauptet ein
anderer, er verachte sie, so erklärt er das selten
ohne Stolz auf seine Weisheit. Wie immer einer
sich zu den Menschen stelle, es werden manchmal
die Menschen — aber die eigene Eitelkeit wird
niemals dabei zu kurz kommen.
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