IV, Gedichte und Sprüche 3, Buch der Sprüche und Bedenken, Seite 46

3. Buch der Sprueche und Bedenken
Etastum seu dert „o. —t:
Besserung sein.
verzeihen ohne zu vergessen. . ..“ Um solche kurzen, bis an
den Nerv des Menschlichen dringenden Worte sagen zu
können, muß man ein großer Denker sein. Nein. Ein großer
Mensch.
Als philosophischer Denker, der beweist, daß der
zünftige Dichter und der zünftige Philosowh nur Ver¬
sind, dokumentiert
wandlungen derselben Urform
Schnitzler sich in dem „Schicksal und Wille" über¬
schriebenen Abschnitt. Hier gelingt es ihm, jenen windigen
Begriff „Zufall“, mit dem unsere Bequemlichkeit sich aller
Orten behilft, wenn uns die Zusammenhänge fehlen, als das
zu entlarven, was er ist: als den banalen Namen für
„Schicksal“. Schicksal und Zufall, dahin gelangt seine von
Kant ausgehende, mit Beispielen schlagend unterstützte
Schlußfolgerung, sind im logischen Sinne niemals Gegen¬
sätze, sondern identisch... davon könnte, wenn man die
handgreiflichen Nutzanwendungen zöge, nicht nur die Lehre,
sondern auch das Leben prositieren! Nicht minder wäre dies
bei den Erkenntnissen über Politik der Fall, die, scharf und
gegnerisch, der Unehre die Wahrheit geben: „Politik,“ sagt
Schnitzler (und erklärt damit, warum er sich ihr grundsätzlich
fernhält), „das ist die Freistatt, wo Verbrechen, die sonst Ge¬
fängnis oder Tod zur Folge hätten, wo Verrätereien, die
sonst zu flammender Empörung aufriefen, no Lügen, die sonst
im allgemeinen Hohngelächter untergingen, nicht nur vor
diesen sonst natürlichen Konsequenzen bewahrt zu bleiben
pflegen, sondern wo all diese Verbrechen, Verrätereien und
Lügen als durchaus natürliche, wenn nicht gar rühmenswerte
Betätigungen der menschlichen Natur angesehen werden.“ Mit
dieser Lapidaranklage steht wohl nicht so sehr die Politik als
Idee denn der Terrorismus der Politik am Pranger, der,
man wende es wie man wolle, das Reaktionärste unseres
demokratischen Zeitalters bleibt
Angriffe nicht minder vehementer Art richtet Schnitzler
gegen einen Lieblingsprügelknaben seiner Ungnade: Gegen
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den Feuilletonismus. Bereits in seiner Schrift! „Der
Geist im Wort und der Geist in der Tat“, mit der
manche Bemerkungen des vorliegenden Buches überein¬
stimmen, hat er sich über all das, was er „Feuilletonismus“
nennt (und verabscheut) bündig ausgesprochen. Ich fühle
mich nicht getroffen und bin daher in der Lage, an Ort und
Feulletonstelle in die Diskussion einzutreten. Worin man
Arthur Schnitzler unstreitig beizupflichten hat, das ist; in der
Verachtung gegen alle Schreiberei, die nicht ausschließlich um
der Sache, sondern um irgendeines Nebenbei willen geschieht.
Das Nebenbei heiße: Opportunismus, Witz, Sympathie,
Antipathie oder wie immer. Nicht minder wahr ist es, daß
ers
das, was man „Feuilletonismus“ nennt, sich insofern über¬
lebt hat, als das Zu=Schreiben=, aber nichts Zu=Sagen=Haben,
vis-
nennen wir es meinethalben mit einem sanften Wort:
nig
das Plaudern, zu Recht oder Unrecht, in Mißkredit
tef
kam. Das Feuilleton als breitgetretene, schale Plauderei,
sein
und das Feuilleton als Mittel zum privaten Selbstzweck
Des
sind beide kompromittierend. Doch wodurch rechtfertigt sich
daß
die Vermutung, daß eine Rubrik die Rubrizierten geistig
ders
infiziere? Wodurch die Annahme, daß die schlimmsten
eine
Feuilletons in den Zeitungen, und nicht (wie es wahr ist) im
schre
Leben erscheinen? Der Unterschied ist nur der: Die Oppor¬
es
tunisten und Schwätzer unter den Feuilletonisten brandmarken

sich, da sie ja öffentlich Feuilletons schreiben, selbst; die

Opportunisten und Schwätzer in den übrigen Berufs¬
kategorien aber bleiben verborgen, da sie bloß tadelnd lesen,
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was sie selbst nicht besser geschrieben hätten. Uebrigens fehlt
unter den abschätzigen Bemerkungen Schnitzlers ein sachliches


Zugeständnis: jenes, welches das Feuilleton als Kunst= ja
kom
vermöge seiner leichten Zulänglichkeit als Lehrform gelten
für
ließe, doch eben das Feuilleton als Kunstform ist Arthur
gliet
Schnitzler so viel schuldig geworden, daß er zum Ausgleich
Sok¬
auch einmal Arthur Schnitzler als seinen Schuldner
Stack¬
buchen darf.
Ernst Lothar. wähn#
n
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