box 35/3
3. Buch der Sprnecheund Bedenken
„Buch der Sprüche und
Bedenken.“
Es war eine harte Krisis, als ich diesem Buche zum
erstenmal begegnete: nach einer Krankheit, die mich bis
in die letzte Tiefe des Lebens hinabgetaucht hatte, bis
auf jenen Grund, wo die schwarzen Gewässer der
Unendlichkeit lautlos warten. Nun war ich wie durch
an Wunder wieder ans Licht zurückgekehrt. Aber es war
schwer, sehr schwer, sich wieder zurechtzufinden; fremd
war ich auf der großen, dunklen Reise geworden,
nirgends zugehörig, der Angst und dem Zwiespalt
preisgegeben, und das Gesicht der Welt ringsum er¬
schien mir noch mehr erloschen, noch mehr verworren
und schreckhaft als vorher, verloren jede leuchtende
Spur.
Voll von Widersprüchen, Unruhe und Zweifeln
kam ich zu dem „Buch der Sprüche und Bedenken“.
R-Uur
Und seither bin ich immer wieder zu ihm zurück¬
geflüchtet.
W
Immer wieder sooft sich die Frage aufdrängte:
7
War das, was wir Geist, Seele, Gewissen, was wir schön
und heilig nannten, war das vielleicht nur ein
Phantom gewesen? Waren wir, die wir es für echt und
e, lügen buch ist und die Aufgabe des Theaters, das Zweig mit allen
unverrückbar hielten, waren wir nicht lebensfremde
nach Fasern seines Herzens liebt, in lebendig sinnvoller Er¬
A
ie acht
Narren? Hatten nicht vielleicht jene andern recht, für
neuefung des Menschen sieht.
1e Zie!
die sich die ganze fragwürdige Problematik des Lebens
ffangen
auf eine mehr oder minder einträgliche Mechanik des
te von
Daseins beschränkt? Jene andern, jene Geschickten und
Schnitzler's Lebensweisheit.
Chri-
Sachlichen und Tüchtigen, die erst mit so viel und schon
dn do
Go. Buch der Sprüche und Bedenken heisst das neue
mit so wenig zufrieden sind: die keinen Wert kennen,
bittert
FreunWerk Arthur Schnitzler's (Phaidon Verlag, Wien). Aphoris¬
nur Geld, kein Schaffen, nur Betrieb, keinen Auf¬
n verEman und Fragmente hat der Dichter hier zu einem Band
schwung, nur Streberei, keine Ueberzeugungen, nur
Kindgvereinigt, den man nur in Abstünden in sich aufnehmen
Parteien, keinen Geist, nur Schlagworte, keine Ziele,
kann. Schnitzler bemerkt selbst im Vörwort: dieses Buch
rzwei¬
wolle keine Systeme, keine Weltanschauungen, keine Erledi¬
ntwort
nur Konjunkturen.
gungen bringen. Einer der Gründe, der ihn zur Herausgabe
ie nun
W
dieses Buches bestimmt habe, sei der Wunsch. Irrtümer zu
n die
Auf alle diese Fragen gibt das „Buch der Sprüche
beseitigen, z. B Sätze, die er irgend einer erdichteten Figurjai
Tren¬
und Bedenken" Antwort. Es entlarvt unsre verstecktesten
S
in den Mund gelegt habe, als Ausdruck seiner persönlichen
Frau
Häßlichkeiten, unsre heimlichsten Verrätereien und
Ueberzeugung zu betrachten, und auf der letzten Seite seineljm
unsre undurchsichtigsten Verlogenheiten; aber es liest
Aphorismen, die Apercues über das Aphorisma an sich enthält,jd.
ver¬
heisst es: „Es gibt keine neuen Wahrheiten auf Erden;
uns auch unsre leifesten Fluchtgedanken vor uns selbst
des
und gerade in diesen kleinen Sätzen dachtest du sie zu lin¬
und unsre schattenhaftesten Träume vom Gesicht ab. mit
sün¬
den?“ Dieser Satz scheint mir gerade wesentlich auch für die
einer unendlichen Weisheit, deren still schwebendes
liese
Betrachtungsweise von Scimitzler's letztem Werk. Wir wissen
Lächeln eindringlicher ist als die lauteste Heftigkeit.
A
wohl, dass es keine neuen Wahrheiten auf Erden gibt, aber
Unter der wunderbaren Berührung dieser
chen
wir suchen immer die uns adaequateste Form für die alten
Was
Erkenntnisse erblüht alles Echte, alles was jenseits von
Wahrheiten. In dieser Haltung liegt zugleich ein Bekennmnis
Augenblick und Schein liegt, zu neuer Dauer, zu neuem,
der zum Rolativismus. Es geht nur um Klarheit und Ehrlichkeit!
und gegen die Prätention einer falschen Haltung. Relativi¬
erlösendem Leben, und alles Unechte, alles Falsche zer¬
1an
stisch, um nicht zu sagen pessimistisch, ist auch die Grund¬
fällt zu Asche. Diese Weisheit ist bei aller Güte
haltung von Schnitzler's Sprüchen und Bedenken. Man he.
unbestechlich und unbeirrbar: ihr Wissen kommt aus
gegnet darin eigenen Gedanken in Schnitzler’s unvergleicht
Erlittenem, doch aus Liebe, aus Entsagung, doch aus
licher Fassung, darüber hinaus wesentlichen neuen Erkennt¬
ungebrochenem Kampf, aus schöpferischem Kraftgesüh',
nissen, aus denen man Bereicherung schöpft. Unverkennbar
k.
doch aus gläubiger Demut vor dem Göttlichen. Diese
bleibt aber stets Schnitzler's tiefes Ethos, das sein ganzes
Sei¬
Weisheit kommt aus dem Herzen eines großen, reinen
der
Schrift:
Werk durchzicht, und bereits
amt
Der Geist im Wort und der Geist in der Tat.
Menschen und aus dem Genius eines großen, reinen
inen
Vorläufige Bemerkungen zu zwei Diagrammen in so eigen¬
künstlers, dessen Einsamkeit nichts ist als stolze
ern¬
artiger Weise gesondert vom Dichter herausgestellt worden
man
ist. Nichts wäre billiger, als hier Parallelen etwa zu Scho¬
des
penhauer, Wilde, oder grossen Franzosen zu ziehen. Das
Der
Bedeutendste scheint mir Sehnitzler in dem Abschnitte Be¬
eis¬
ziehungen und Einsamkeiten zu geben. Was hler
ele
über Liebe, Freundschaft, das Wesen der Frank
6a4 U. Jre 4
gesagt ist, das ist so iftuitiv und wahrhaft weise, meisterlich,
i
reif und bezaubernd zugleich, dass einem auch dieser!
2
Schnitzler unverlierbar köstlicher Besitz wird.
Wien, Dienstag 70
70
Unabhängigkeit von dieser Gegenwart: aber dessen Zeit
ist und immer sein wird, solange Spiel und Leben,
Faim und Schuld unterwegs sein werden in dem
rätsethaften, weiten Land der Seele.
Dieses Buch der Weisheit, in dem jeder, der suchen
will, sein tiefstes Ich finden wird, mag er ihm noch so
entreu geworden sein, dieses „Buch der Sprüche und
Bedenken“ konnte nur einer geschrieben haben: Artur
Moriz Scheyer.
Schnitzler.
3. Buch der Sprnecheund Bedenken
„Buch der Sprüche und
Bedenken.“
Es war eine harte Krisis, als ich diesem Buche zum
erstenmal begegnete: nach einer Krankheit, die mich bis
in die letzte Tiefe des Lebens hinabgetaucht hatte, bis
auf jenen Grund, wo die schwarzen Gewässer der
Unendlichkeit lautlos warten. Nun war ich wie durch
an Wunder wieder ans Licht zurückgekehrt. Aber es war
schwer, sehr schwer, sich wieder zurechtzufinden; fremd
war ich auf der großen, dunklen Reise geworden,
nirgends zugehörig, der Angst und dem Zwiespalt
preisgegeben, und das Gesicht der Welt ringsum er¬
schien mir noch mehr erloschen, noch mehr verworren
und schreckhaft als vorher, verloren jede leuchtende
Spur.
Voll von Widersprüchen, Unruhe und Zweifeln
kam ich zu dem „Buch der Sprüche und Bedenken“.
R-Uur
Und seither bin ich immer wieder zu ihm zurück¬
geflüchtet.
W
Immer wieder sooft sich die Frage aufdrängte:
7
War das, was wir Geist, Seele, Gewissen, was wir schön
und heilig nannten, war das vielleicht nur ein
Phantom gewesen? Waren wir, die wir es für echt und
e, lügen buch ist und die Aufgabe des Theaters, das Zweig mit allen
unverrückbar hielten, waren wir nicht lebensfremde
nach Fasern seines Herzens liebt, in lebendig sinnvoller Er¬
A
ie acht
Narren? Hatten nicht vielleicht jene andern recht, für
neuefung des Menschen sieht.
1e Zie!
die sich die ganze fragwürdige Problematik des Lebens
ffangen
auf eine mehr oder minder einträgliche Mechanik des
te von
Daseins beschränkt? Jene andern, jene Geschickten und
Schnitzler's Lebensweisheit.
Chri-
Sachlichen und Tüchtigen, die erst mit so viel und schon
dn do
Go. Buch der Sprüche und Bedenken heisst das neue
mit so wenig zufrieden sind: die keinen Wert kennen,
bittert
FreunWerk Arthur Schnitzler's (Phaidon Verlag, Wien). Aphoris¬
nur Geld, kein Schaffen, nur Betrieb, keinen Auf¬
n verEman und Fragmente hat der Dichter hier zu einem Band
schwung, nur Streberei, keine Ueberzeugungen, nur
Kindgvereinigt, den man nur in Abstünden in sich aufnehmen
Parteien, keinen Geist, nur Schlagworte, keine Ziele,
kann. Schnitzler bemerkt selbst im Vörwort: dieses Buch
rzwei¬
wolle keine Systeme, keine Weltanschauungen, keine Erledi¬
ntwort
nur Konjunkturen.
gungen bringen. Einer der Gründe, der ihn zur Herausgabe
ie nun
W
dieses Buches bestimmt habe, sei der Wunsch. Irrtümer zu
n die
Auf alle diese Fragen gibt das „Buch der Sprüche
beseitigen, z. B Sätze, die er irgend einer erdichteten Figurjai
Tren¬
und Bedenken" Antwort. Es entlarvt unsre verstecktesten
S
in den Mund gelegt habe, als Ausdruck seiner persönlichen
Frau
Häßlichkeiten, unsre heimlichsten Verrätereien und
Ueberzeugung zu betrachten, und auf der letzten Seite seineljm
unsre undurchsichtigsten Verlogenheiten; aber es liest
Aphorismen, die Apercues über das Aphorisma an sich enthält,jd.
ver¬
heisst es: „Es gibt keine neuen Wahrheiten auf Erden;
uns auch unsre leifesten Fluchtgedanken vor uns selbst
des
und gerade in diesen kleinen Sätzen dachtest du sie zu lin¬
und unsre schattenhaftesten Träume vom Gesicht ab. mit
sün¬
den?“ Dieser Satz scheint mir gerade wesentlich auch für die
einer unendlichen Weisheit, deren still schwebendes
liese
Betrachtungsweise von Scimitzler's letztem Werk. Wir wissen
Lächeln eindringlicher ist als die lauteste Heftigkeit.
A
wohl, dass es keine neuen Wahrheiten auf Erden gibt, aber
Unter der wunderbaren Berührung dieser
chen
wir suchen immer die uns adaequateste Form für die alten
Was
Erkenntnisse erblüht alles Echte, alles was jenseits von
Wahrheiten. In dieser Haltung liegt zugleich ein Bekennmnis
Augenblick und Schein liegt, zu neuer Dauer, zu neuem,
der zum Rolativismus. Es geht nur um Klarheit und Ehrlichkeit!
und gegen die Prätention einer falschen Haltung. Relativi¬
erlösendem Leben, und alles Unechte, alles Falsche zer¬
1an
stisch, um nicht zu sagen pessimistisch, ist auch die Grund¬
fällt zu Asche. Diese Weisheit ist bei aller Güte
haltung von Schnitzler's Sprüchen und Bedenken. Man he.
unbestechlich und unbeirrbar: ihr Wissen kommt aus
gegnet darin eigenen Gedanken in Schnitzler’s unvergleicht
Erlittenem, doch aus Liebe, aus Entsagung, doch aus
licher Fassung, darüber hinaus wesentlichen neuen Erkennt¬
ungebrochenem Kampf, aus schöpferischem Kraftgesüh',
nissen, aus denen man Bereicherung schöpft. Unverkennbar
k.
doch aus gläubiger Demut vor dem Göttlichen. Diese
bleibt aber stets Schnitzler's tiefes Ethos, das sein ganzes
Sei¬
Weisheit kommt aus dem Herzen eines großen, reinen
der
Schrift:
Werk durchzicht, und bereits
amt
Der Geist im Wort und der Geist in der Tat.
Menschen und aus dem Genius eines großen, reinen
inen
Vorläufige Bemerkungen zu zwei Diagrammen in so eigen¬
künstlers, dessen Einsamkeit nichts ist als stolze
ern¬
artiger Weise gesondert vom Dichter herausgestellt worden
man
ist. Nichts wäre billiger, als hier Parallelen etwa zu Scho¬
des
penhauer, Wilde, oder grossen Franzosen zu ziehen. Das
Der
Bedeutendste scheint mir Sehnitzler in dem Abschnitte Be¬
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ziehungen und Einsamkeiten zu geben. Was hler
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über Liebe, Freundschaft, das Wesen der Frank
6a4 U. Jre 4
gesagt ist, das ist so iftuitiv und wahrhaft weise, meisterlich,
i
reif und bezaubernd zugleich, dass einem auch dieser!
2
Schnitzler unverlierbar köstlicher Besitz wird.
Wien, Dienstag 70
70
Unabhängigkeit von dieser Gegenwart: aber dessen Zeit
ist und immer sein wird, solange Spiel und Leben,
Faim und Schuld unterwegs sein werden in dem
rätsethaften, weiten Land der Seele.
Dieses Buch der Weisheit, in dem jeder, der suchen
will, sein tiefstes Ich finden wird, mag er ihm noch so
entreu geworden sein, dieses „Buch der Sprüche und
Bedenken“ konnte nur einer geschrieben haben: Artur
Moriz Scheyer.
Schnitzler.