V, Textsammlungen 1, Die Frau des Weisen. Novelletten, Seite 3

box 35/6
des Nei
D
isen
1 Frau—


Telefon 12801.
N 105
Unternehmen für Zeitungs-Ausschnitte
Ausschnitt
u. 30
„OBSERVER
österr. behördl. concess. Bureau für Zeitungsberichte und Personalnachric“:
Wien, IX/1 Türkenstrasse 17.
— Filiale in Budapest: „Figyelö“, VIII. Josefsring 31a. —
Ausschnitt aus: „Illustr. Wiener Extrablail“
2 7 MAl1898
vom
—* Von Arthur Schnitzler ist bei S. Fischer,
dem Verleger der jungen Schriftsteller=Generation, ein
neuer Novellenband erschienen. „Die Frau der.
Weisen“ heißt das Buch nach einer der fünf stark und
geheimnißvoll duftenden Blüten, die hier zu einem kost¬
baren Strauß gebunden sind. Man braucht heute Schnitzler
nicht mehr zu entdecken, den Erzähler in ihm ebensowenig,
als den Dramatiker. Seitdem zum ersten Male — und es
mag nebenbei erwähnt werden, daß es in diesen Blättern
geschah — das Lob dieses starken und eigenartigen
Talentes gesungen wurde, hat der Erfolg des lärmenden
Marktes der kleinen Gemeinde literarischer Feinschmecker
unumwunden Recht gegeben. Sein jüngster Band enthält
namentlich eine Novellette, die unumwunden als ein
Meisterstück bezeichnet werden darf. „Die Todten schwei¬
gen“, eine Geschichte, in der wenig, sehr wenig
vorgeht. Die verheiratete Frau und ihr Geliebter
unternehmen an einem stürmischen Herbstabend eine
Wagenfahrt. In der Allee, die zur Reichsbrücke führt.
Dort ist sie sicher, nicht gesehen zu werden. Der Wagen
verunglückt, ihr Begleiter fällt auf einen Schotterhaufen, so
furchtbar, daß er nach wenigen Minuten stirbt. Während
der Kutscher um Hilfe eilt, übermannt sie die Feigheit, die
Lust am Leben. Sie fürchtet, daß man sie hier finden,
daß man sie fragen wird: „Wer sind Sie? . . .“ Daß sie
mit auf die Polizei muß, daß alle Menschen es erfahren
werden, daß ihr Mann — daß ihr Kind ... Und sie
flieht, sie läßt die Leiche des Geliebten allein. Eine
Stunde später sitzt sie am Theetisch, ihrem Manne gegen¬
50 Zeitu
über. Und während er sie umarmt, denkt sie: Er wird
Für
üsive
100
es Niemandem sagen, wird sich nie rächen, nie ... er ist
to.
200
todt ... er ist ganz gewiß todt ... und die Todten albar
500
schweigen. „Warum sagst Du das?“ hörte sie plötzlich (ora¬
„ 1000
die Stimme ihres Mannes. „Die Todten schweigen“
Im Geg
hat sie laut gesagt. Lange sehen sich die Beiden ist
es
Abonnement
an und Sie weiß, daß sie diesem Manne, den
n.
Abonnenten kr
sie durch Jahre betrogen hat, im nächsten Augenblicke die
ganze Wahrheit sagen wird. Auch der Leser weiß es, es
kerscheint ihm so natürlich, so unabwendbar, die dichterische
Mraft des Autors drängt sein ganzes Denken und Fühlen
auf die vorgezeichnete Bahn. Oder „Ein Abschied“, die
Geschichte des Liebhabers, der weiß, daß Sie im Sterben
liegt, und zu ihr, der verheirateten Frau, nicht gehen darf,
bis ihm bei dem Todtenbett der Geliebten deren Mann
mit verweinten Augen die Hand drückt, wie dem nächst¬
besten Leidtragenden, den die Convention hergebracht hat.
„Und es trieb ihn aus der Nähe des Hauses, und er eilte
tief beschämt durch die Straßen; denn ihm war, als
dürfe er nicht trauern, wie die Anderen, als hätte ihn
seine todte Geliebte davongejagt, weil er sie verleugnet —“
Das Meisterwerk eines Dichters hat uns Arthur
Schnitzler bescheert, es bedeutet einen Peit nhieb
gegen alle Jene, die noch immer die Autorei. der
„Schule“ numeriren und classificiren und über die pr. tive
Leistungsfähigkeit der „Moderne“ so vernichtende Urtheile
st—g.
zum Besten geben.
terau Jumnd¬
#e 446
2.48 18
Von Arthur Schnitzler ist bei S. Fischer, dem Ver¬
legereder jungen Schriftsteller=Generation, ein neuer Novellenband
ienen. „Die Frau der Weisen“ heißt das Buch nach
#fler der fünf stark und geheimnißvoll duftenden Blüthen, die hier
zu einem kostbaren Strauß gebunden sind. Man braucht heute
Schnitzler nicht mehr zu entdecken, den Erzähler in ihm ebenso
wenig wie den Dramatiker. Seitdem zum ersten Male das Lob
dieses starken und eigenartigen Talents gesungen wurde, hat der
Erfolg des lärmenden Marktes der kleinen Gemeinde literarischer Fein¬
schmecker unumwunden Recht gegeben. Sein jüngster Band enthält
nameutlich eine Novelette, die unumwunden als ein Meisterstück
bezeichnet werden darf. „Die Todten schweigen“, eine Geschichte,
in der wenig, sehr wenig vorgeht. Die verheirathete Frau und
ihr Geliebter unternehmen an einem stürmischen Herbstabend eine
Wagenjahrt. In der Allee, die zur Reichsbrücke führt. Dort ist
sie sicher, nicht gesehen zu werden. Der Wagen verunglückt, ihr
Begleiter fällt auf einen Schotterhaufen, so furchtbar, daß er nach
wenigen Minuten stirbt. Während der Kutscher um Hilfe eilt,
übermannt sie die Feigheit, die Lust am Leben. Sie fürchtet, daß
man sie hier finden, daß man sie fragen wird: „Wer sind Sie?...“
Daß sie mit auf die Polizei muß, daß alle Menschen es erfahren
Und sie flieht, sie
werden, daß ihr Mann — daß ihr Kind ...
läßt die Leiche des Geliebten allein. Eine Stunde später sitzt sie
am Theetisch, ihrem Manne gegenüber. Und während er sie
umarmt, denkt sie: Er wird es Niemandem sagen, wird sich nie
rächen, nie . . . er ist todt . . . er ist ganz gewiß todt . . . und
die Todten schweigen. „Warum sagst Du das?“ hört sie plötzlich
die Stimme ihres Mannes. „Die Todten schweigen“ hat sie laut
gesagt. Lange sehen sich die Beiden an und sie weiß, daß sie
diesem Manne, den sie durch Jahre betrogen hat, im nächsten
Augenblicke die ganze Wahrheit sagen wird. Auch der Leser
weiß es, es erscheint ihm so natürlich, so unabwendbar, die
dichterische Kraft des Autors drängt sein ganzes Denken und Fühlen
auf die vorgezeichnete Bahn. Oder „Ein Abschied“, die Geschichte
des Liebhabers, der weiß, daß Sie im Sterben liegt, und zu ihr,
der verheiratheten Frau, nicht gehen darf, bis ihm bei dem Todten¬
bett der Geliebten deren Mann mit verweinten Augen die Hand
drückt wie dem nächstbesten Leidtragenden, den die Konvention
hergebracht hat. „Und es trieb ihn aus der Nähe des Hauses
und er eilte tief beschämt durch die Straßen; denn ihm war, als
dürfe er nicht trauern wie die Anderen, als hätte ihn seine todte
Das Meister¬
Geliebte davongejagt, weil er sie verleugnet —
werk eines Dichters hat uns Arthur Schnitzler bescheert,
es bedeutet einen Peitschenhieb gegen alle Jene, die noch immer
die Autoren nach der „Schule" numeriren und klassifiziren und
über die positive Leistungsfähigkeit der „Moderne“ so vernichtende
Urtheile zum Besten geben.