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2. Die griechische-enzerin
Jahrg. 1906
Das Wissen für Hlle
276
—
saal „Frl. stud. med.“ (S. 48), in dem Gedicht an
Otto Brills Verse sind völlig talentlos und zum
Häckel (S. 54 f.). Brill und Glogan sind Dilettanten.
Teil geeignet, trübe Stunden durch nicht beabsichtigte
Grabowsky hat Talent; er vermag aber aus Mangel
Heiterkeit zu verklären. Er schildert z. B. (S. 33) die
an künstlerischer Selbstzucht vorerst lyrische Gebilde noch
Rache der Locken, die ein Don Juan als Siegeszeichen
nicht zu formen. Sein Buch ist voller Lärm und Auf¬
gesammelt hat.
geregtheit. Vor Geräusch gelangt der Leser nicht zur
„Doch Wunder! Alle Locken bald
Ruhe des klaren Hörens und vor wirren Gesten nicht
Zu wachsen fingen an,
Und rot und blond und schwarz und braun
zur Rast des sicheren Schauens.
Entquolls des Schubfachs Bann,
Ein Buch mag noch so sehr voller Zerrissenheit, Zwie¬
Es wuchs und rann und floß zur Flut —
spalt, Kampf und Chaos sein, es bedarf, auch um die
Das Haar füllt das Gemach.
Unrast zu gestalten, jener (künstlerischen) Ruhe des
Erstickend schlang sichs um den Hals,
Schaffens, zu welcher noch sich alle Echten durchgerungen
Ihm, bis sein Auge brach. —
haben. In Grabowskys Buch kämpfen ein Romantiker
Während man in Büchern von Dilettanten häufig
und ein Mensch von 1900. Er ist voller Liebe zur
ernsten, innerlich bemühten Menschen begegnet, ist dies
Maschine und Arbeit und voller Sehnsucht nach ästheti¬
Buch voller Oberflächlichkeit und Unreinheit (S. 25 ff.,
zistisch zarten, zärtlich gehegten Stimmungen. Ichsucht
S. 52, S. 144, S. 152 u. s. w.) und man legt es
und Liebe zu den Anderen streiten in ihm, ohne daß
mit Widerwillen aus der Hand. Zeit, Arbeit, Material,
ein Sieg erkennbar wird. Den letzten künstlerischen Aus¬
die an dies Machwerk verwandt wurden, sind vergendet.
druck für dieses Ringen hat er noch nicht gefunden.
Solche Bücher aber, wenn auch nicht immer menschlich
Gute Motive und Zeilen sind vorhanden. Allein der
von gleichem Unwert, so doch künstlerisch ohne alle Be¬
Kampf und das Chaos, die er in sich spürt, vermag er
deutung, derlei Dilettantenarbeiten erscheinen in einem
nicht uns anderen spüren zu machen. Diese nicht arme An¬
Jahre zu tausend. Wie der Verlag Pierson in Dresden,
lage wird Gebilde schaffen, wenn sie durch eine Zeit
so verschafft neuerdings das sogenannte „Moderne Ver¬
rastloser Unzufriedenheit mit sich und strenger Selbst¬
lagsbureau“ in Berlin, offenbar gegen Entgelt, zahl¬
erziehung zu Klarheit, Konzentration und Anschaulichkeit
reichen Stümpern den Genuß, ihre lächerlichen Verse in
hindurchgegangen ist. Vorläufig sehe ich nur Trümmer
Druck zu sehen. Durch solche Büchermacherei entsteht
und Fetzen, die verworrenen Halles und in verworrenen
die gewaltige Ueberproduktion an Büchern und ins¬
Kontouren vor Aug' und Ohr hin und her und für
besondere die Sache der Lyrik wird geschädigt. An ein
immer vorüberschwirren.
Drama, einen Roman, eine Novelle wagt sich der
Grabowsky hat noch verhältnismäßig wenig Verse
Stumper nicht so leicht heran. Ein Gedicht zu machen,
veröffentlicht. „Das Zeugende“ ist wohl sein zweites
scheint ihm eine leichte Mühe, und er ahnt nicht im
Gedichtbuch, er ist noch ein Suchender, und diese
geringsten, welche Müh', Zeit und Kraft in ein Keller¬
Mahnung bedeutet bei ihm nicht allzuviel. Bedenklicher
sches oder Stornsches Lied verarbeitet worden sind.
muß es erscheinen, wenn die gleiche Mahnung not¬
Wie der Dilettant, muß auch der Künstler in den weit¬
wendig ist gegenüber Dichtern, die einen weitklingenden
aus meisten Fällen den Druck seiner Verse selbst be¬
Namen tragen und schon eine größere Zahl von Dicht¬
zahlen.
ungen veröffentlicht haben.
Die Uebermenge verwirrt das Publikum. Der lyrische
Dies ist der Fall bei Hugo Salus und bei Georg
Stümper wird typisch für den „Lyrischen Dichter“, der
Busse=Palma.
langgelockt, schäbig, ungedruckt und ungelesen durch die
Salus ist in Gefahr, seine ursprünglich reiche An¬
Jahrgänge der „Fliegenden Blätter“ wandelt. Nachsicht
lage zu zerstören. Sein letzter lyrischer Band, „Neue
gegen wohlmeinende Dilettanten und lässige Künstler ist
Garben“, seit 1897 sein sechstes Gedichtbuch, läßt
immer Vergehen wider die Kunst. Glogau=Nickols¬
mit Deutlichkeit Verfall und Verflachung erkennen. Salus
burgs Gedichtbuch ist von E. M. Lilien mit einer
besitzt eine reiche Phantasie; wenigen ward eine gleiche
Umschlagszeichnung versehen worden, die seines bedeu¬
Fülle der Motive und Ideen zuteil. Allein es ist dem
tenden Könnens durchaus unwürdig ist. Glogau=Nickols¬
Dichter nicht bewußt, daß Reichtum auch in den Künsten
burg hat eine ziemlich freie unkonventionelle Stellung
Pflicht und Lasten auferlegt. Der Künstler muß, was
zum Leben gewonnen. Während Brill den Typus des
ihm von irgendwoher als Geschenk wundersam zufällt,
bourgeoisen philiströsen „flotten“ Studenten darstellt, ist
was ihm als Erbe von der Hand künstlerischer Ahnen
Glogau=Nikolsburg von der Art jener Studenten, die
dargeboten wird, er muß es erwerben, um es zu be¬
sich auf der Hochschule mit tausend Problemen des indi¬
sitzen. Dies vermag er nur, indem er jedes einzelne
viduellen und sozialen Lebens herumschlagen. Glogau¬
Werk oder Werklein von innen heraus sucht und mit
Nickolsburg ist Verehrer Darwins und Häckels. Er scheint
Sorgfalt bildet. Salus' Gedichte sind meist außen ge¬
Zionist zu sein. Manche Gedichte, wie die an eine Prosti¬
formt, nicht gewachsen und gereift, sondern die Stoffe
tuierte gerichteten, berühren in ihrem geläuterten Ver¬
sind vorzeitig ergriffen und gemacht. Die Gedichte sind
stehen menschlich sympathisch: „Wer selbst den Dolch im
fast durchweg in einem Stadium vor der Vollendung
Herzen trägt, verurteilt nie das fremde Leben“. (S. 93.)
belassen. Strophen können, ohne den Eindruck zu mindern,
Allein, der Verfasser kann seine Empfindungen und Ge¬
herausgenommen werden. Der Reim ist ohne Sorgfalt
danken nicht künstlerisch überzeugend und in eigenen
behandelt und oft nur ein Wort, das die Not einge¬
Bildern und Klängen gestalten. Seine Verse sind auch
geben hat. Es fehlt an Kürze und Konzentration und
da unoriginell, wo der originelle Stoff ein echtes Talent
daher an Eindringlichkeit und Dauerhaftigkeit der Wirkung.
zu prägnantem Ausdruck mit Macht gezwungen hätte,
Nur das Gedicht „Verlosung“ ist eine Ausnahme. Sonst
in dem „Gebet russischer Juden vor der Schlacht“
(S. 59 f.), in einer Szene aus dem medizinischen Hör=, weiß ich kein Gedicht, so schön manche in Gedanken und
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2. Die griechische-enzerin
Jahrg. 1906
Das Wissen für Hlle
276
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saal „Frl. stud. med.“ (S. 48), in dem Gedicht an
Otto Brills Verse sind völlig talentlos und zum
Häckel (S. 54 f.). Brill und Glogan sind Dilettanten.
Teil geeignet, trübe Stunden durch nicht beabsichtigte
Grabowsky hat Talent; er vermag aber aus Mangel
Heiterkeit zu verklären. Er schildert z. B. (S. 33) die
an künstlerischer Selbstzucht vorerst lyrische Gebilde noch
Rache der Locken, die ein Don Juan als Siegeszeichen
nicht zu formen. Sein Buch ist voller Lärm und Auf¬
gesammelt hat.
geregtheit. Vor Geräusch gelangt der Leser nicht zur
„Doch Wunder! Alle Locken bald
Ruhe des klaren Hörens und vor wirren Gesten nicht
Zu wachsen fingen an,
Und rot und blond und schwarz und braun
zur Rast des sicheren Schauens.
Entquolls des Schubfachs Bann,
Ein Buch mag noch so sehr voller Zerrissenheit, Zwie¬
Es wuchs und rann und floß zur Flut —
spalt, Kampf und Chaos sein, es bedarf, auch um die
Das Haar füllt das Gemach.
Unrast zu gestalten, jener (künstlerischen) Ruhe des
Erstickend schlang sichs um den Hals,
Schaffens, zu welcher noch sich alle Echten durchgerungen
Ihm, bis sein Auge brach. —
haben. In Grabowskys Buch kämpfen ein Romantiker
Während man in Büchern von Dilettanten häufig
und ein Mensch von 1900. Er ist voller Liebe zur
ernsten, innerlich bemühten Menschen begegnet, ist dies
Maschine und Arbeit und voller Sehnsucht nach ästheti¬
Buch voller Oberflächlichkeit und Unreinheit (S. 25 ff.,
zistisch zarten, zärtlich gehegten Stimmungen. Ichsucht
S. 52, S. 144, S. 152 u. s. w.) und man legt es
und Liebe zu den Anderen streiten in ihm, ohne daß
mit Widerwillen aus der Hand. Zeit, Arbeit, Material,
ein Sieg erkennbar wird. Den letzten künstlerischen Aus¬
die an dies Machwerk verwandt wurden, sind vergendet.
druck für dieses Ringen hat er noch nicht gefunden.
Solche Bücher aber, wenn auch nicht immer menschlich
Gute Motive und Zeilen sind vorhanden. Allein der
von gleichem Unwert, so doch künstlerisch ohne alle Be¬
Kampf und das Chaos, die er in sich spürt, vermag er
deutung, derlei Dilettantenarbeiten erscheinen in einem
nicht uns anderen spüren zu machen. Diese nicht arme An¬
Jahre zu tausend. Wie der Verlag Pierson in Dresden,
lage wird Gebilde schaffen, wenn sie durch eine Zeit
so verschafft neuerdings das sogenannte „Moderne Ver¬
rastloser Unzufriedenheit mit sich und strenger Selbst¬
lagsbureau“ in Berlin, offenbar gegen Entgelt, zahl¬
erziehung zu Klarheit, Konzentration und Anschaulichkeit
reichen Stümpern den Genuß, ihre lächerlichen Verse in
hindurchgegangen ist. Vorläufig sehe ich nur Trümmer
Druck zu sehen. Durch solche Büchermacherei entsteht
und Fetzen, die verworrenen Halles und in verworrenen
die gewaltige Ueberproduktion an Büchern und ins¬
Kontouren vor Aug' und Ohr hin und her und für
besondere die Sache der Lyrik wird geschädigt. An ein
immer vorüberschwirren.
Drama, einen Roman, eine Novelle wagt sich der
Grabowsky hat noch verhältnismäßig wenig Verse
Stumper nicht so leicht heran. Ein Gedicht zu machen,
veröffentlicht. „Das Zeugende“ ist wohl sein zweites
scheint ihm eine leichte Mühe, und er ahnt nicht im
Gedichtbuch, er ist noch ein Suchender, und diese
geringsten, welche Müh', Zeit und Kraft in ein Keller¬
Mahnung bedeutet bei ihm nicht allzuviel. Bedenklicher
sches oder Stornsches Lied verarbeitet worden sind.
muß es erscheinen, wenn die gleiche Mahnung not¬
Wie der Dilettant, muß auch der Künstler in den weit¬
wendig ist gegenüber Dichtern, die einen weitklingenden
aus meisten Fällen den Druck seiner Verse selbst be¬
Namen tragen und schon eine größere Zahl von Dicht¬
zahlen.
ungen veröffentlicht haben.
Die Uebermenge verwirrt das Publikum. Der lyrische
Dies ist der Fall bei Hugo Salus und bei Georg
Stümper wird typisch für den „Lyrischen Dichter“, der
Busse=Palma.
langgelockt, schäbig, ungedruckt und ungelesen durch die
Salus ist in Gefahr, seine ursprünglich reiche An¬
Jahrgänge der „Fliegenden Blätter“ wandelt. Nachsicht
lage zu zerstören. Sein letzter lyrischer Band, „Neue
gegen wohlmeinende Dilettanten und lässige Künstler ist
Garben“, seit 1897 sein sechstes Gedichtbuch, läßt
immer Vergehen wider die Kunst. Glogau=Nickols¬
mit Deutlichkeit Verfall und Verflachung erkennen. Salus
burgs Gedichtbuch ist von E. M. Lilien mit einer
besitzt eine reiche Phantasie; wenigen ward eine gleiche
Umschlagszeichnung versehen worden, die seines bedeu¬
Fülle der Motive und Ideen zuteil. Allein es ist dem
tenden Könnens durchaus unwürdig ist. Glogau=Nickols¬
Dichter nicht bewußt, daß Reichtum auch in den Künsten
burg hat eine ziemlich freie unkonventionelle Stellung
Pflicht und Lasten auferlegt. Der Künstler muß, was
zum Leben gewonnen. Während Brill den Typus des
ihm von irgendwoher als Geschenk wundersam zufällt,
bourgeoisen philiströsen „flotten“ Studenten darstellt, ist
was ihm als Erbe von der Hand künstlerischer Ahnen
Glogau=Nikolsburg von der Art jener Studenten, die
dargeboten wird, er muß es erwerben, um es zu be¬
sich auf der Hochschule mit tausend Problemen des indi¬
sitzen. Dies vermag er nur, indem er jedes einzelne
viduellen und sozialen Lebens herumschlagen. Glogau¬
Werk oder Werklein von innen heraus sucht und mit
Nickolsburg ist Verehrer Darwins und Häckels. Er scheint
Sorgfalt bildet. Salus' Gedichte sind meist außen ge¬
Zionist zu sein. Manche Gedichte, wie die an eine Prosti¬
formt, nicht gewachsen und gereift, sondern die Stoffe
tuierte gerichteten, berühren in ihrem geläuterten Ver¬
sind vorzeitig ergriffen und gemacht. Die Gedichte sind
stehen menschlich sympathisch: „Wer selbst den Dolch im
fast durchweg in einem Stadium vor der Vollendung
Herzen trägt, verurteilt nie das fremde Leben“. (S. 93.)
belassen. Strophen können, ohne den Eindruck zu mindern,
Allein, der Verfasser kann seine Empfindungen und Ge¬
herausgenommen werden. Der Reim ist ohne Sorgfalt
danken nicht künstlerisch überzeugend und in eigenen
behandelt und oft nur ein Wort, das die Not einge¬
Bildern und Klängen gestalten. Seine Verse sind auch
geben hat. Es fehlt an Kürze und Konzentration und
da unoriginell, wo der originelle Stoff ein echtes Talent
daher an Eindringlichkeit und Dauerhaftigkeit der Wirkung.
zu prägnantem Ausdruck mit Macht gezwungen hätte,
Nur das Gedicht „Verlosung“ ist eine Ausnahme. Sonst
in dem „Gebet russischer Juden vor der Schlacht“
(S. 59 f.), in einer Szene aus dem medizinischen Hör=, weiß ich kein Gedicht, so schön manche in Gedanken und