V, Textsammlungen 3, Dämmerseelen. Novellen, Seite 57

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3. Daehnerseelen
Zu dieser an französischem Dorbild entfachten,
abgeleiteten Unterhaltungsliteratur möchten auch
die letzten Erzählungen ArthunSculbler
zu rechnen sein „Dämmerseelen““ die mit
einer tieferen Seelendämmerung, mit der jedem
dichterischen Gesichte eigenen, immanenten
Mrstik ebensowenig zu schaffen haben, wie etwa
das Tischrücken und allerhand geschickt ge¬
handhabter Geisterspuk. Das Arfsuchen inter¬
Berlip, S. Fischer.
essanter, „unerklärlicher“, „rätselhafter“. Be¬
gebenheiten, merkwürdig verketteter und an
einem Faden irgendwo aufgehängter Iufälle,
die ebenso pünktlich wie dunkel eintreffen, hat
mit der schöpferischen Mostik, die allem Ge¬
schehen, Empfinder, Sinnen und Sagen, der
Kunst schrthin innewahnt, gar nichts zu tun,
ebensowenig mir Phantasie und Phantastik. Ver¬
lei Salonromantik und =Mpstizismus gleicht dem
müden und mühseligen Spiel eines blassen, an¬
ämischen Großstadtkindes, jede uralte Bäuerin,
die Fraußen in einem verlassenen Hofe, beim
matten Schein eines verglimmenden Calglichtes
den Enkeln die heimlichen, ewigen Märchen
zuraunt, hat mehr von jener im Schau¬
rigsten heiteren, launenlustigen Phantasie, als
der elegante Salonerzähler, der mit der sorg¬
fältigsten Sprache und dem modischesten Natio¬
nalismus einmal seinen Lesern mit etwas mon¬
dän=vorsichtigem Grausen dient. Die Großstadt,
die sich alle Sensationen eben aneignet und alles
kaufen zu können glaubt, weil sie Geld für Wert
Znimmt, meint eben auch das Munder, die Phan¬
Itasie, das Spiel, Grauen und Schauern nach
zihrem Belieben erzeugen und verhandeln zu
kkönnen, und siehe, wie dem alten Midas, wird
sihr alles zu Gold, während das schöne Geheim¬
nis der Dichtung wie der Natur darin liegt,
daß unter ihren Händen alles zu Brot wird,
zur schlichten Speise der Irdischen.

Das bezeichnendste, geradezu symbolische
Drodukt der Großstadt, die Art, wie sie sich
gemeinhin mit allem Geistigen abfindet, das
sie in der unendlichen Hapiermühle zu Brei
zerstampft, ist die Zeitung und ihre Weise der
Betrachtung, der Scheinoriginalität, Verzer¬
rung, Trübung und Unechtung aller schöpfe¬
rischen Werte. Ihr Fluck ist denn auch die
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öbeste Vertretbarkeit ihrer Leistung, die Augen¬
blicklichkeit und Unhaltbarkeit ihrer Mitteilung,
der „Dunstverkauf“ ihres Inhalts, die zugleich
rastlose, ja opferwillige Hetze nach allem Un=))
erhörten, Neuesten und die verachtungswürdige
Unvornehmheit dieses Großstadtinstinkts, dem
sie dient und den sie teilt. Noch nie schien mir
ein beabsichtigt künstlerisches Produkt diese
journalistische Art der Betrachtung, diese Geist¬
reichigkeit um jeden Preis, diese Schlagwort¬
brüllerei nud Sensationeneifrigkeit, dieses nied¬
rige Jagen nach dem Entlegensten und Uner¬
hörtesten tragikomischer auszudrücken, als eine
Sammlung von Novellen eines Dänen
Johannes D. Jensens, „Die Welt
ist tief“.* Bei Gott, das ist sie! Und wie tief ist
erst der rastlose, ihre Größe suchende Bomben¬
höllenelementsensationen jagende, den Geist des
Daseins interviewende Autor. Es braucht nicht
gesagt zu werden, daß er schon berühmt —
Otto Stoeßl.
gewesen ist.
Berlin, S. Fischer.
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