VI, Allgemeine Besprechungen 1, Emil Schäffer Arthur Schnitzler, Seite 10


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Panphlets offorints
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Schaeffer.
Anatol, bloß Anatol hat Schnitzler den Helden dieser sieben Scenen
genannt; wie er sonst heißt, unter welchem Namen er die Steuerbogen
bekommt und in den Wählerlisten figuriert, das wissen wir nicht. Als
Freund und als Geliebter heißt er eben Anatol, und in einer anderen
Eigenschaft lernen wir ihn nicht kennen. Die Geliebten wechseln, der
Freund aber bleibt. Max sieht und sagt alles, was Anatol nicht sehen
und sagen will, in Mädchen aus der Vorstadt schaut er keine Märchen¬
prinzessinnen, und er leiht Circusreiterinnen keine königlichen Em¬
pfindungen. Er ist die reale Welt und künstlerisch notwendig zum
Verständnis der aus Launen, Pose und Traum erdichteten Welt Anatols.
Er hat den Willen zur Gesundheit, Anatol den zur Krankheit; dieser
Gegensatz ist ein stimulans ihrer Freundschaft.
In der Liebe, dem Studium und Inhalt seines Daseins, ist Anatol
Hypochonder. Vor seinem harten, stets nach innen gewandten Blick
siechen seine besten Empfindungen, mit wollüstiger Grausamkeit analysiert
er seine Gefühle wenn er sein Lieb umarmt, an ihr zweifelt, und seine
Leidenschaft in der Agonie mit dem Tode ringt. Früher, in der ersten
Zeit, da konnte er noch nicht so kalt und klar in all dies schauen, denn
noch hielt ihn eine glitzernde Lüge umstrickt, er war „der Sturmwind, der
die Blüten wegfegte,“ einer der Gewaltigen des Geistes, und Frauen und
Mädchen zermalmte er unter ehernen Schritten, — ein Napoleon der
Liebe. Damals mochte er auch noch an den großen Taumel geglaubt haben,
von dem die Knaben träumen, an jambische Gefühle und tödtlich sengende
Gluten. Das ist nun vorbei. Die Liebe ist kein wonniger Scheiter¬
haufen mehr, in den er, sein Ich zu morden, mit jauchzendem Brünn¬
hildenlachen sich stürzt; sie ward zum stillen Feuer, das leise knistert im
offenen Kamin; draußen schneit es, und an der weichen Flamme wärmt
Anatol die frierende Seele. Seit er das Heldenkostum abgestreift,
bangt er auch nicht mehr nach dem großen Abenteuer, dem dämonischen
Weibe; er liebt nicht mehr so oft in der inneren Stadt, sondern meistens
draußen in der Vorstadt, und dort entdeckte er das „süße Mädel“.
Entdecken ist eigentlich nicht das richtige Wort; er fand es nur
wieder. Schon Phaon, der vom großen Rausche schnell ernüchterte,
träumte das Glück in Melittas Armen, die auch nur ein süßes Mädel
aus Wien war, so gut wie Hero und Edrita. Von ihnen stammen
Arthur Schnitzlers Frauengestalten. Wir lassen uns bei Grillparzer
noch immer durch das antike Gewand täuschen, wir machen vor dem
großen Epigonen eine ebenso tiefe als kühle Verbeugung, anstatt dem
ersten Modernen freudig zuzujauchzen.

Schnitzler, der Enkel, h
das süße Mädel nicht mehr i
nicht nach Lesbos und Sestos
Heuespont durchschwimmen,
die jetzt Mizi heißt, in ihr
stiche hängen, und vom Fe#
im Frühling blüht und duft
Hier findet Anatol ein
nicht versteht, nicht fascinier
nur den Geist eines Mädchen
in der Schilderung der Mädch
heiraten, diese gefährliche Kl
und er hat auch durchaus ni
geworfen; er kennt die Di
Weibe schlummert, er weiß,
tünchte Vorstadt ordinär und
die Mondaine zu zeichnen, di
und nicht den Mut dazu hat
Warum man noch kein
Die Theaterdirektoren wissen
Publikum. Und wenn sie
Dinge schon spielen könnten,
sind, so haben sie noch lange
Ausstellungen. Vor kleinen
Kenner stehen. Baut man
menschen so heiß ersehnen,
vierte Galerie giebt, und alle
entzückten Zuschauern auch di
dies nicht hoffen: Kaviar ble
das macht leider die vollen
In einer Scene, die „Den
jede Stunde, die sie vordem
los geworden, jeder Mann
Augenblick, der sie zum wis
vergessen. Und Anatol antn
*) Zwei dieser Scenen sind im
Gesellschaft in Leipzig unter
mit großem Erfolge aufgeführt wo
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