VI, Allgemeine Besprechungen 1, Kronfeld, Seite 3


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Muf den folgenden Blättern wird der Versuch unternommen, die Be¬

ziehungen von Wiener Collegen zur Dichtkunst und zu den schönen
Künsten überhaupt zu skizzieren. Bei dem Umstande, dass in unserem
naturforschenden Jahrhunderte der gebildete Arzt nicht selten in die Lage kommt,
sich über Poesie, Musik, Malerei und Bildhauerkunst mehr oder minder eingehend
zu äussern, musste der Rahmen dieses Capitels enge gezogen werden. Nur solche
Aerzte (und Studierende der Medicin), die durch selbständige Publicationen
als schöngeistige, belletristische Autoren oder als Schöpfer von Werken
der bildenden Kunst aufgetreten sind, oder die zur Erklärung und zum
Verständnisse von Werken der schönen Künste wesentlich beigetragen haben,
konnten berücksichtigt werden. So kam es, dass das intensive musikalische
Können und Kennen eines Skoda, Gustav Löbel, Oppolzer, Standt¬
hartner, von Dittel an dieser Stelle ebenso wenig gewürdigt werden
konnte, wie die künstlerische Auffassung in den Zeichnungen des genialen
Elfinger, Brühl’s der Brüder Heitzmann, Salzmann's, Pilz;
Henning’s und anderer Collegen.
Biographische Einzelhleiten werden im Folgenden vermieden. Hingegen
wurden die wichtigsten schöngeistigen Arbeiten der Aerzte mitgetheilt, und
wurde der Versuch gemacht, auf einzelne derselben kritisch und stilkritisch
näher einzugehen.
Ein glänzender Stern an dem deutschen Dichterhimmel war der Wiener
Arzt Ernst Freiherr von Feuchtersleben (geb. 29. April 1806, gest. am
3. Sept. 1849 zu Wien). Die Literaturhistoriker haben ihn in einen charakte¬
ristischen Gegensatz zur grössten deutschen Dichterin, zu Annette von Droste¬
Hülshoff gestellt; diese war bei aller männlichen Darstellungskraft ein schwaches,
unglücklich liebendes Weib, jener bei weiblicher Zartheit und seltener Innig¬
keit der Emnpfindung ein trefflicher Arzt und Pädagoge, der über alle Bitternisse
des Kampfes ums Dasein gesiegt hat, und durch zartsinnige Lyrik und eine an
Goethe und Rückert anklingende Spruchweisheit weit über sein Leben
hinauswirkt. Sein „Lehrbuch der ärztlichen Seelenkunde“ (1844) und besonders
seine „Diätetik der Seele“ (1838) sind für die wissenschaftliche Psychologie


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