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Panphlets, Ooffprints
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Erich Mühsam: Heinrich Hart, der Plauderer
Sei du — sei ein Selbst. Kein „Vermächtnis“.
Dor allen Dingen nicht sentimental sein. Das
Wenn du ein Kind hast, sei ihm eine Mlutter:
ist zu tief für unsere leichtlebige Welt. Merke es
Kämpfe und lebe. Dersinke nicht: Weder in Di¬
dir, Mleisterin: Lerne unterscheiden zwischen Liebe
etät noch in Erinnerung. Beides ist gleich schäd¬
und „Liebelei“. Und wenn du eine tiefe Seele
lich. Die Menschen glauben es dir ja doch nicht.
hast — wirst du leiden.
Tiefe Naturen leiden immer ... Darum
Sie sind hartherzig. Und wenn schon — be¬
das ist bös!
wolle nicht verstanden werden, suche du zu ver¬
dauern, bemitleiden sie dich
Das heißt: Sinken — den Kampf, somit das Leben
stehen; nimm dir an Alizi Schlager, deiner
aufgeben. —
Freundin, ein Beispiel.
Recht flott und tugendhaft und — weise.
Wie ein roter Faden geht durch das ganze
So sind die Männer, so die Weiber, so: die
Schaffen Schnitzlers diese Kampffrendigkeit, diese
Welt.
Lebensbejahung.
Geb dich nicht als „Freiwild“ hin; du sinkst
Seufzen ist ihm ein Zeichen des Leidens, und
dann in anderer Achtung. Ja noch schlimmer:
Leid ein Symptom der Schwäche.
Wenn du tief bist, verlierst du auch die Achtung
Nicht niederdrücken lassen und vor allem sich
vor dir selber.
nicht ducken.
Und das ist schlimm! Das Schlimmste alles
Aufrecht gehen! Immer aufrecht!
Schlimmen.
U
Heinrich Hart, der Dlauderer
Gemeinschaft“ sich zu einem „Leben in Kunst“.
Um Mißdeutungen bei der interessierten Stelle
in einem Familienpensionat zusammenzufinden, als
von vornherein vorzubeugen, bemerke ich: Mit
„Lebensdilettanten“ zu bezeichnen wagte. Eine
den nachfolgenden Ausführungen will ich nicht wie
Ketzerriecherei, die meinen Ausdruck nur bestätigen
ein Schuljunge, der dem Lehrer, dessen Prügel¬
kann.
stock er eben entronnen ist, hinterher die Zunge
Also nochmals: irgendwelche Gründe pri¬
weist, Herrn Heinrich Hart, der mir einmal so
vater Natur sind es nicht, die mich drängen, gegen
etwas wie ein väterlicher Freund war, nun, wo
Heinrich Hart vorzugehen, sondern lediglich der
ich meinen eigenen Weg gefunden zu haben glaube,
Zorn ist es darüber, daß ich einen Baumeister an
zum Abschied etwas anhängen. Ich denke aber
dem Gerüst rütteln zu sehen meine, das er selbst
auch nicht daran, deshalb, weil er mir persönlich
aufrichtete.
nahe stand, einen Protest gegen seine jüngste litte¬
Nun zur Sache: Heinrich Hart ließ kürzlich
rarische Betätigung zu unterdrücken. Im Gegen¬
im „Tag“ eine Artikelserie erscheinen mit der Über¬
teil! Gerade meine persönlichen Beziehungen zu
schrift: „Die Litteratur=Bewegung von 1880 bis
Heinrich Hart, in dem ich zu Beginn meiner litte¬
1900. Nach persönlichen Erlebnissen.“ Es ist aber
rarischen Laufbahn meinen Lehrmeister und Be¬
eine altbekannte Erscheinung: Wer über eine Sache
rater sah, veranlassen mich, die Art, in der er
persönliche Erinnerungen schreibt, ist mit dieser
heute die Mentorstellung, die er seit mehr als
Sache innerlich fertig. (Ich werde demnächst mit
zwei Jahrzehnten jungen schriftstellerischen Ta¬
persönlichen Erinnerungen über die „Neue Ge¬
lenten gegenüber einnimmt, in die Öffentlichkeit
meinschaft“ hervortreten.) Wer von dieser Binsen¬
rückt, einer besonders scharfen und nachdrücklichen
weisheit, daß man Rückblicke nur auf überwundene
Kritik zu unterziehen.
Zeiten wirft, nicht von selbst überzeugt ist, lese
Ich habe diese Einleitung für notwendig er¬
die betreffenden Artikel Heinrich Harts.
achtet, weil es mir passiert ist, daß gelegentliche
Wir sind gewohnt, uns mit den Namen Hein¬
in Zeitschriften wie auch in Privatbriefen enthal¬
rich und Julius Hart die tapferen kritischen
tene Ausfälle gegen die Gegensatz=Überwindungs¬
Waffengänge verknüpft zu denken, in denen vor
Philosophie Julius Harts und gegen die aus
zwanzig Jahren die neue Dichtung, das neue
dem Geleise geratene „Neue Gemeinschaft“ an
künstlerische Empfinden, die neue ästhetische Kultur
deren Spitze die beiden Brüder stehen, von den Be¬
um ihre Entstehung kämpften. Wir wissen, daß
troffenen als Undankbarkeit, Gehässigkeit und
sich in jener Zeit der neuen Renaissance=Wehen
Treulosigkeit meinerseits bezeichnet wurden. Be¬
um die beiden Harts der ganze Kreis all derer
sonders wurde es mir verübelt, daß ich, wer weiß
wann und wo, die, die es unternahmen, als „Neue konzentrierte, deren künstlerische Bekenntnisse unse¬
ERE
„
A
S
n
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Panphlets, Ooffprints
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Erich Mühsam: Heinrich Hart, der Plauderer
Sei du — sei ein Selbst. Kein „Vermächtnis“.
Dor allen Dingen nicht sentimental sein. Das
Wenn du ein Kind hast, sei ihm eine Mlutter:
ist zu tief für unsere leichtlebige Welt. Merke es
Kämpfe und lebe. Dersinke nicht: Weder in Di¬
dir, Mleisterin: Lerne unterscheiden zwischen Liebe
etät noch in Erinnerung. Beides ist gleich schäd¬
und „Liebelei“. Und wenn du eine tiefe Seele
lich. Die Menschen glauben es dir ja doch nicht.
hast — wirst du leiden.
Tiefe Naturen leiden immer ... Darum
Sie sind hartherzig. Und wenn schon — be¬
das ist bös!
wolle nicht verstanden werden, suche du zu ver¬
dauern, bemitleiden sie dich
Das heißt: Sinken — den Kampf, somit das Leben
stehen; nimm dir an Alizi Schlager, deiner
aufgeben. —
Freundin, ein Beispiel.
Recht flott und tugendhaft und — weise.
Wie ein roter Faden geht durch das ganze
So sind die Männer, so die Weiber, so: die
Schaffen Schnitzlers diese Kampffrendigkeit, diese
Welt.
Lebensbejahung.
Geb dich nicht als „Freiwild“ hin; du sinkst
Seufzen ist ihm ein Zeichen des Leidens, und
dann in anderer Achtung. Ja noch schlimmer:
Leid ein Symptom der Schwäche.
Wenn du tief bist, verlierst du auch die Achtung
Nicht niederdrücken lassen und vor allem sich
vor dir selber.
nicht ducken.
Und das ist schlimm! Das Schlimmste alles
Aufrecht gehen! Immer aufrecht!
Schlimmen.
U
Heinrich Hart, der Dlauderer
Gemeinschaft“ sich zu einem „Leben in Kunst“.
Um Mißdeutungen bei der interessierten Stelle
in einem Familienpensionat zusammenzufinden, als
von vornherein vorzubeugen, bemerke ich: Mit
„Lebensdilettanten“ zu bezeichnen wagte. Eine
den nachfolgenden Ausführungen will ich nicht wie
Ketzerriecherei, die meinen Ausdruck nur bestätigen
ein Schuljunge, der dem Lehrer, dessen Prügel¬
kann.
stock er eben entronnen ist, hinterher die Zunge
Also nochmals: irgendwelche Gründe pri¬
weist, Herrn Heinrich Hart, der mir einmal so
vater Natur sind es nicht, die mich drängen, gegen
etwas wie ein väterlicher Freund war, nun, wo
Heinrich Hart vorzugehen, sondern lediglich der
ich meinen eigenen Weg gefunden zu haben glaube,
Zorn ist es darüber, daß ich einen Baumeister an
zum Abschied etwas anhängen. Ich denke aber
dem Gerüst rütteln zu sehen meine, das er selbst
auch nicht daran, deshalb, weil er mir persönlich
aufrichtete.
nahe stand, einen Protest gegen seine jüngste litte¬
Nun zur Sache: Heinrich Hart ließ kürzlich
rarische Betätigung zu unterdrücken. Im Gegen¬
im „Tag“ eine Artikelserie erscheinen mit der Über¬
teil! Gerade meine persönlichen Beziehungen zu
schrift: „Die Litteratur=Bewegung von 1880 bis
Heinrich Hart, in dem ich zu Beginn meiner litte¬
1900. Nach persönlichen Erlebnissen.“ Es ist aber
rarischen Laufbahn meinen Lehrmeister und Be¬
eine altbekannte Erscheinung: Wer über eine Sache
rater sah, veranlassen mich, die Art, in der er
persönliche Erinnerungen schreibt, ist mit dieser
heute die Mentorstellung, die er seit mehr als
Sache innerlich fertig. (Ich werde demnächst mit
zwei Jahrzehnten jungen schriftstellerischen Ta¬
persönlichen Erinnerungen über die „Neue Ge¬
lenten gegenüber einnimmt, in die Öffentlichkeit
meinschaft“ hervortreten.) Wer von dieser Binsen¬
rückt, einer besonders scharfen und nachdrücklichen
weisheit, daß man Rückblicke nur auf überwundene
Kritik zu unterziehen.
Zeiten wirft, nicht von selbst überzeugt ist, lese
Ich habe diese Einleitung für notwendig er¬
die betreffenden Artikel Heinrich Harts.
achtet, weil es mir passiert ist, daß gelegentliche
Wir sind gewohnt, uns mit den Namen Hein¬
in Zeitschriften wie auch in Privatbriefen enthal¬
rich und Julius Hart die tapferen kritischen
tene Ausfälle gegen die Gegensatz=Überwindungs¬
Waffengänge verknüpft zu denken, in denen vor
Philosophie Julius Harts und gegen die aus
zwanzig Jahren die neue Dichtung, das neue
dem Geleise geratene „Neue Gemeinschaft“ an
künstlerische Empfinden, die neue ästhetische Kultur
deren Spitze die beiden Brüder stehen, von den Be¬
um ihre Entstehung kämpften. Wir wissen, daß
troffenen als Undankbarkeit, Gehässigkeit und
sich in jener Zeit der neuen Renaissance=Wehen
Treulosigkeit meinerseits bezeichnet wurden. Be¬
um die beiden Harts der ganze Kreis all derer
sonders wurde es mir verübelt, daß ich, wer weiß
wann und wo, die, die es unternahmen, als „Neue konzentrierte, deren künstlerische Bekenntnisse unse¬
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