VI, Allgemeine Besprechungen 1, Hans Landsberg, Seite 11

PanphletsOffarints
Hiergegen kennt die österreichische Dichtung darin durch¬
aus Tagesliteratur, nur idealisierte Tppen der Gegen¬
wart. Dornehmlich den liebenden Jüngling und das
süße Mädel. Dor allem das süße Mädel! Es
erscheint freilich auch jetzt noch in jener sentimentalen
Verklärung, die jeder Derliebte dem Gegenstand seiner
Schwärmerei entgegenbringt, umgeben von dem Schimmer
weicher Anmut und hingebender Anspruchslosigkeit.
Unser Dichter selbst vergleicht es im „Anatol“ mit
einem getragenen Wiener Walzer: „Sentimentale
Heiterkeit ... lächelnde, schalkhafte Wehmut . .. das
ist so ihr Wesen ... Ein kleines süßes, blondes
Köpferl, weißt du . . . so ... nein, es ist schwer zu
schildern! Es wird einem warm und zufrieden bei
Wenn ich ihr ein Deilchenbouquet bringe,
ihr.
steht ihr eine Träne im „Augenwinkel . .. Es ist kein
Zweifel, daß dieser süße Fratz wirklich existiert. In
Wien und in München trifft man diese Engels¬
köpfchen, die stark an die Genremalerei vergangener
Tage erinnern, herzige, frische Gesichter (oder besser Ge¬
sichterl) hundertmal auf der Straße. Das süße Mädl
ist so gut vorhanden wie der Tausendsassa und die
Mimi Dinson aus Murgers „Bohème“. Nur tritt
hier das Weib als Grisette auf, hingegen sie in der
entsprechenden norddeutschen Erzählungskunst bei Hart¬
leben zwischen dem süßen tadel und der Cocotte
schwankt. Wir mögen in Erkenntnis einer höheren
Weibernatur über diesen Typus längst hinweggekommen
sein, wir bewahren ihm doch eine uneingestandene
Spmpathie. Das süße Mädel ist ja nichts anderes al¬
das Studentenliebchen, und es muß uns mit dieser
ganzen frohen Jugendzeit in einer poetischen Verklärung
erscheinen. Dazu kommt der Reiz des Geheimnisvollen
und Ueberschwänglichen, der eine solche Liebe noch
jedesmal umgeben hat, der Dollbesitz aller Illusionen
und Ideale, der diese kleine Welt so groß und tief und
herrlich macht, all' das Zwanglose, Unberechnete,
Antiphiliströse deser ersten großen Neigung.
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Schnitzlers Szenenreihe „Anatol“ ist die Dichtung
vom Wiener „süßen Mädel.“ Er hat es recht
eigentlich für die neue Dichtung entdeckt. Dor nun¬
mehr zwölf Jahren (1892.) Es sind Dialoge, in denen
zwei Freunde über das Thema Liebe disputieren, und
jedesmal eine Frau durch Haltung und Benehmen den
Streit entscheidet. Meist zu Gunsten des Skeptikers
Max, der seine kühl reflektierende Art vor der fessel¬
losen Schwärmerei des Freundes bewahrt. Unatol ist
der Derliebte, ein Mensch also, der Recht hat, so lange
er berauscht ist; der sich durch den Katzenjammer der
Verliebtheit niemals von neuen Aventiuren abschrecken
läßt. Ein Wiener Lebemann mit gewinnenden Um¬
gangsformen, aber ohne Fähigkeit tieferen Erlebens.
Ein Mensch, der das Verliebtsein zu seinem Beruf er¬
koren hat, bei Leibe keine Don Juan=Natur, kein Cypus
des Mannes, der durch Liebe von Entwicklung zu Ent¬
wicklung schreitet. Nichtsdestoweniger sind diese Dialoge
ein entzückendes Nichts, das man freilich nicht kritisieren
kann, ohne das zarte Gewebe zu zerreißen. Es lebt in
ihnen eine Weichheit der Empfindung, eine Grazie des
Ausdrucks, eine Ungezwungenheit und Nonchalance,
nicht zuletzt eine Echtheit des Kolorits, wie wir sie
vordem nur den Franzosen# itrauten. Grade der Ernst,
mit dem galante Nichtstuer die größten Lappalien des
Lebens behandeln, die Gewichtigkeit, mit der sie über
das Droblem „Weib“ diskutieren, hat etwas Drollig¬
Kindliches. Es bleibt ja doch das Wesentliche, daß
unsere Helden ganz in dieser idealisierten Atmosphäre
leben und aufgehen, und nur hier und da eine
schüchterne Regung nach höheren und ernsteren Genüssen
des Lebens spfiren. Am bekanntesten ist ja das „Ab¬
schiedssouper“ mit seiner derben Tonart. Hier kommt
die Kränkung des Mannes, der schon „aufgegeben“ ist,
da er darangeht, zarte Beziehungen um zarterer willen
abzubrechen, sehr hübsch zum Ausdruck, und die schlag¬
fertige Theaterdame beweist, daß sie dem Geliebten
denn doch an Rücksichtslosigkeit und Cpnismus weit