VI, Allgemeine Besprechungen 1, Broschüren Sonderdrucke 1904 1910, Seite 2


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Panphletsofforints
Unsere Jahresrevue beginnt mit einem Roman Arthur
Schnitzlers: „Der Weg ins Freie“ (Berlin, Fischer).
Derselbe Roman aus der Feder des Arztes eröffnet auch die
meisten Revuen in Literaturblättern. Schnitzler hat sein
Meisterwerk geschrieben, einen Wiener Roman geschaffen und mit
diesem Buche in alembeklemmender Eile zwanzig Auflagen erlebt.
Die Haralung ist einfach genug. Der Musiker und Komponist
hen Wochenschrift“
Georg v. Wergenthin leht einsam im Palais seiner Ahnen — die
hübsche Gesangslehrerin Anna Rosner gefällt ihm — der Wurstel
prater gibt eine gute Dekoration — ein Separée (ohne Anna)
bildet die nächste Szene — und schließlich treffen wir unseren
Helden im alten Palais an der Ringstraße oder in der Heugasse —
er komponiert. Ohne Leillenschaft, ohne Pathos, ohne Jugend¬
torheit wird Anna die Gelieble Georgs; abends sitzt sie draußen.
in einem Gärtchen in Salmannsdorf, beide Hände über dem
gesegneten Leibe verschränkt, und wartet auf das Kind, auf den
Gatten. Der Mann wehrt sich nach Kräften; er küßt andere Mädchen
und soll Anna heiraten, sobald er Vater ist.
Er wird indessen von einer Anderen geliebt, dem Fräulein
Else Ehrenberg, deren Ellern sehr reich sind und ein
wenig im Jargon sprechen. Anna und Else sind die bedeutendsten
Mädchengestallen in Schnitzlers langer, langer Frauengalerie.
Hier das arme Mädchen aus dem Volke, das liebt, sich hingibt
und wartet, ein zarteres, verträumteres Gretchen — dort der Stern der
Jours, die Vertreterin des Esprit und der Bildung mit der konventionellen
Schlußnote: Eise heiratet einen Mann, der wie ein Engländer aus¬
sieht und ihr gleichgiltig ist. In einem Schnitzler’schen Roman
darf auch Anna Rosner nicht glücklich werden; ihr Kind kommt
tot zur Weit. Georg glaubt sich seltsamerweise frei und jeder
Pflicht entbunden (Nichtkünstler und Philister denken anders); er
geht „ins Freie“ als Hofkapellmeister nach Detmold. Schnitz¬
1er rechlfertigt seinen Helden: „Ich glaube nicht, daß solche
Wanderungen ins Freie sich gemeinsam unternehmen lassen...