VI, Allgemeine Besprechungen 1, 6, Josef Körner Spätwerk, Seite 39

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PamphletsOffarints
aus sonderbaren Begleitumständen dieses Selbstmords den sicheren Schluß ziehen
zu dürfen, daß sie und keine andre seine nächtliche Warnerin, Retterin sei. So
will er wenigstens die Tote noch einmal sehen und folgt ihren Spuren bis in
die Leichenkammer des Allgemeinen Krankenhauses. Ob die Selbstmörderin,
die er dort findet, wirklich die herrliche Schönheit seiner Abenteuernacht gewesen,
kann er nicht entscheiden, hat er doch nur ihren nackten Leib gesehen, nicht das
verhüllte Gesicht. Und jetzt steht er vor einem zu unwiderruflicher Verwesung
bestimmten Leichnam. „Ob dieses Antlitz irgendeinmal, ob es vielleicht gestern
noch schön gewesen — Fridolin hätte es nicht zu sagen vermocht —, es war ein
völlig nichtiges, leeres, es war ein totes Antlitz.“— Wiede' kommt er erst gegen
Morgen heim, und der Anblick der schlafenden Cuttin bringt ein Gefühl von
Zärtlichkeit, ja von Geborgenheit ihm ins Herz. Au. Ende seiner Nervenkräfte,
bricht er schluchzend vor ihr nieder und beichtet alles der Erwachten, die seiner
verzweifelten Frage, was sie nun tun sollen, die milde und verzeihende Antwort
schenkt: „dem Schicksal dankbar sein, daß wir aus allen Abenteuern heil davon¬
gekommen sind — aus den wirklichen und aus den geträumten.“
So ziemlich alle Motive und Denkspiele, die wir aus
Schnitzlers Spätwerken hier herausgelöst haben, sind auch in
der Traumnovelle verwendet; von den Frühwerken ähnelt ihr
am tiefsten „Der Schleier der Beatrice". Dort auch gespenstern
lüsterne Träume,
Begierden ohne Mut,
Freche Wünsche, die das Licht des Tags
Zurückjagt in die Winkel uns’rer Seele,
Daraus sie erst bei Nacht zu kriechen wagen.
Gleich Filippo Loschi verübelt Fridolin die Gedanken¬
und Traumsünde der Frau wie wirkliche Untreue. Beidenorts
vergeht im Angesicht des Todes jede leifeste Regung der
Liebe und des Verlangens. Was Fridolin vor der unbe¬
kannten Leiche fühlt, Filippo ruft es dem Mädchen zu, das
mit ihm sterben will:
Du, die jetzt duftet und erbebt,
Sehnsüchtige Wünsche jedem, der dich sähe,
In allen Sinnen regte, bald bist du
Ein Ding, davor ihm graut, am nächsten Tag
Zum Ekel ihm, Gefahr am übernächsten,
Davor man sich bewahrt —
—— mich selbst,
Mich würde schaudern, dich im Arm zu halten,
Der Haar und Kleid noch duftet, nicht der Atem!
Und doch ist die Traumnovelle auch wieder ein auf den
Kopf gestelltes Gegenstück zur „Beatrice“ Wird im Drama
geträumte Untreue der Frau wie wirkliche bestraft, so in der
Novelle wirkliche (oder doch wirklich — und mehrfach — ver¬
suchte) Untreue des Mannes wie geträumte verziehen. Ja
Albertine vergibt die Abenteuer leichter und rascher als Fridolin
den Traum — auch dies wieder ein Ausdruck von Schnitzlers
in der Verführungskomödie so einläßlich dargelegter Ueber¬
zeugung, daß Untreue von Mann und Weib ungleichen Ge¬
wichts und demgemäß auch ungleich zu werten seien!).
!) Im Vacchusfest“ tragen Mann und Weib für die Erlebnisse der kultischen
Orgiennacht „so wenig eine Verantwortung — als für Träume.“
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Als Fridolin in der zwe
Traum seiner Gattin zu räc
einen Augenblick als besond
zu führen, der tüchtige verli
Familienvater und zugleich
zynischer Spieler mit Men
Thema, das Schnitzler schon
Novelle „Die Weissagung“
Theaterstücks mitgeteilt: ein
einer plötzlichen Sehnsucht i
läßt die Seinen ohne Absch
Tages so viel Schmerzlich
zurückzukehren gedenkt, ehe
haben; aber ein letztes A
der Tür seines Hauses, ha
Es fehlt nicht viel dazu,
Fortsetzung und so traurige
vom Orgienhall wird er
falien, und am Abend des
auch nur ganz flüchtig, de
hof zu fahren, abzureisen,
für alle Leute, die ihn je
wieder aufzutauchen und
ein anderer, neuer Mensch“
Solche dämonische Dop
lich doch nur spielt
und alle Tage in der ge
und Träumens. Wie oft
gessenen Traumes, und we
oder nur geträumt. Wem
ein, der die Rätselfrage u
löst, indem er dieses Nur
Perzeptionen ausdehnt. 1
solcher Gesinnung geneigt?
lichen Straßen schreitet,
Gattin und Kind, völlig
in dieser Empfindung, ob
machte, war zugleich etwas
Verantwortung zu befreien,
zu lösen schien.“ Denn wie
könnten wir es in allen
specie somnii.
Aber schon mahnt uns
wenn er uns Fridolins G
ist völlig Traum“. Und
zweifelten Weisheit des P
Es fließen ineinande
Wahrheit und Lüge