VI, Allgemeine Besprechungen 1, 6, Sp.: Arthur Schnitzler, Seite 1

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Pamphlets offbrints
ZURCHER STUDENT
OFFIZIELLES ORGAN DER
STUDENTENSCHAFT DER UNIVERSITAT ZURICH
III. JAHRGANG, No. 7 / ZURICH, Ende Januar 1926
Alexis Baumann, iur., Kilchberg;
Redaktion: ] Gasser. # Winterthur;
Lyner, lur., Zürich.
Verlag: Rascher & Cie. A.-G., Zürich l, Rathausquai 20, Telephon Hott. 16.01.
Arthur Schnitzler.
Is der Dichter vergangenes Jahr in Zürich „Das Tagebuch der
41 Redegonda vorlas, mit monotoner Stimme Traum, Gescheh¬
nis und Wunsch — Gedanke und Tat — in Eins verklingen las¬
send, ... da hatte man das Empfinden, einen Menschen vor sich
zu sehen, dem nichts Menschliches unbekannt ist, der in der Er¬
scheinungen Wesen und Weite liest wie in einem offenen Buche.
Sein leuchtendes Auge schaut die Zusammenhänge des Welten¬
geschehens, sein Blick durchferecht die Eingelregungen der
menschlichen Seele und bannt das Geschaute hinter die eherne
Stirnc. Aber keine Saite seines Hlerzens regt sich, wenn sein Ge¬
hirn beobachtet. Er, der das Leben durchschaut und in seinem
Werke die Kräfte zusammenspielen lässt, nimmt selbst keinen An¬
teil am Leben . .. Von Haus aus ein Arzt, stellt er die Diagnose.
und neigt sein Haupt vor den ewigen Gesetzen der Welt, die
Ananke — selbst ein gezwungener Zwang — mit eiserner Strenge
handhabt, den Menschen seit ewig erkenntlich, deren Sinn ihnen
für ewig unfassbar.
Viel zu wenig wird diese tief religiöse Weltanschauung des
Dichters beachtet, ... in Unkenntnis der „Hirtenflöte, der „drei¬
fachen Warnung, des „Weges ins Freie, der „Weissagung
Alles steht mit allem im Zusammenspiel. Im Märchen „Die
dreifache Warnung warnt die innere Stimme den Jüngling über
die Wiese zu gehen, weil dem Vaterlande grosses Unglück hieraus
erwachsen werde. Denn: — also klärt die Stimme den Ungehor¬
samen nachher auf — Deiner Lippen Hauch hat einen Schmetter¬
ling auf der Wiese von seinem Wege abgetrieben in die könig¬
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