VI, Allgemeine Besprechungen 1, 7, Artur Ditz, Seite 4

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1. Panphlets offbrints
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Arthur Schnitzler, der nun 66 Jahre alt ist, gehert literarisch
gesehen, zu den sogenannten “ jungen Wienern f. Er ist
1862 geboren, also in dem Jahre, dass die moderne Richtung österrei¬
chischer Literatur ankündigte. Aber Schnitzler schafft immer noch
in ungebrochener Kraft. Für das grosse Publikum, dass nicht mit den
Hauptstrgmungen ausländischer Literatur folgen kann, ist es natürlich,
ihn modern zu nennen. Ein Vort, dass hier zu Lande oft den literaren
Beigeschmack von etwas Gewagtem hat. Literaturhistorisch gesehen
gehert Schnitzler dem sterbenden Naturalismus des Neunzehnten-Jahr¬
Hunderts an und nicht dem Expressionismus, Futurismus oder anderem
Ismus des Zwanzigsten Jahrhundert.
Speciel1 für Österreich ist es charakteristisch, dass Wien¬
von dem hitzigen Parteikampf um den Naturalismus verschont blieb, der
in den Kulturzentren Berlin und München so heiss wütete. In Österreich
ging die altere Periode mehr ruhig und besonnen in die neu Zeit über.
Eine 1iterare Begebenheit, die ihre Spur hinterliess, war das Einrücken
Henrik Ibsens auf das Viener Burgtheater im Jahre 1891. Dass Ibsene
auf Schnitzler beeinflussend wirkte, ist ebenso deutlich sichtbar,
wie er Voraussetzung für Bernhard Shaues moderne Gesellschafts¬
Schauspiele wurde
Es muss hier leider konstatiert werden, dass die Zeit ver¬
passt wurde, Dänemark ein richtiges Bild von Schnitzler geben zu
konnen. Das gilt sowohl für seine erzählenden Schriften als auch
über seine dramatischen Arbeiten. Und das ist doppelt erstaunlich,
wenn man bedenkt, dass eine Autorität, wie Georg Brandes bereits
im Jahre 1899 ihn einen genialen Menschen nannte.
Die Umschattierung und Umwertung fast aller Lebensverhält¬
nisse, die der Krieg mit sich brachte, hat gewissen Partien von
Schnitzlers ansehlicher Arbeit eine historische Patina gegeben. Man
glaubf, man befindet sich in einer entschwundenen Zeit. In den letzten
4 Jahren hat Arthur Schnitzler nicht weniger als 6 neue Arbeiten
herausgegeben, die alle der dänischen Leserwelt entgangen sind. Nichts
wurde übersetzt, obwohl natürlich der Grossteil der hiesigen Schnitzler
Freunde nicht versäumte, sich mit den deutschen Ausgaben bekannt zu
machen. Heute wie früher kreisen seine Personen gerne in Gedanken unter
dem Begriffe Leben und Tod. Und allgemein bemerkt man, dass der Schrift

steller Arzt ist. ! Das einzige, was man nie lassen kann zu sein !
Wie Schnitzler selbst seinerzeit in einem Interviev zu „ir sagte und
eine Replik, die er einer seiner Hauptpersonen in IProfessor Bernhardi“
sagen lasst. Diese starke persgnliche Komsdie ist eine Goldgrube für
den, der gerne das Specielle der österreichischen Mentalität verstehen
Lernen vi11. Eine Mentalität, die in Virklichkeit weit verschieden
von der eines Deutschen ist. Venn Professor Bernhardi im 5. Akt pletz¬
lich seinen Kampf aufgibt, so ist es nicht deswegen, weil er ihn für
gewonnen oder verloren ansieht, sondern einfach deswegen, wei1 er
Frieden haben wil1. Und das versteht der Wiener vollkommen, auch
der Kopenhagener -, aber der Berliner nie. Eines seiner meistumfassen¬
den, doch kaum wertvollsten Verke ist die grosse Erzählung von 1928
Therese“