VI, Allgemeine Besprechungen 2, G. V. W. Porträts aus der literarischen Moderne, Seite 1

2. Guttings box 37/4

großen Freunde Hugo von Hoffmannsthal, dessen liers, und tauschen so ein Leben für einen
Traum des Glückes. Die süße Idylle d
1
Befähigung allerdings mehr im Lyrischen liegt.
2 Feuilleton.
Er hat die bohrende Psychologie und Breit= Paare Fritz=Christine, Mizi=Theodor ende
2e¬
spurigkeit eines d'Annunzio, auf welcher gleichwie dings beim ersteren Paare mit dem Tode
Porträts aus der literarischen Moderne.
beim Italiener seine Hauptstärke beruht. Allein er im Duell, allein um einer anderen Frau wi
steht kunstmoralisch höher als dieser, während jener die man „stirbt".
I. Artur Schnitzler
In dem Romane „Frau Berta Garla
in seinen Werken nicht selten von einer geradezu
Die Beurteilung Dichters söte wie die
Schauspielen „Freiwild", „Märchen“.
über alle Zeitgenossen naturgemäß auf große schamlosen Indiskretion (Francesco da Rimini,
„Schleier der Beatrice“ und dem Einakt
Trionfo della Morte, Il fuoco usw.) ist.
Schwierigkeiten. Gilt er doch für einen der bedeu¬
Frau mit dem Dolche“ zeichnet er den Ty
Schnitzlers Verständnis für das Seelische im
tendsten, ja nach dem Abgange Bahrs nach Berlin
sich nach Liebe sehnenden, erwachenden Wei
Menschen macht ihn, den tiefblickenden, gewiegten
oft für den hervorragendsten des Wiener Literaten¬
— Frau Berta Garlan ist so eine nach Li
Arzt, zu einem Psychologen ersten Ranges, und
kreises, als ein Künstler, der in vollster Schaffens¬
langende Frau, die zwar irrt, jedoch bald i
zwar unterschiedlich zum großen Seelenverkünder
kraft steht, demgegenüber daher das Urteil seiner¬
fehlung und die Brutalität des Mannes
Shakespeare, der Ewigkeitstypen aufgestellt (Ham¬
zeit, als zu wenig distanziert, noch schwankend, un¬
ihre eigentliche Bestimmung im engen K
let, Othello, Macbeth, Falstaff, Romeo und Julie
sicher sein muß. Davon abgesehen, daß überhaupt
Familie erkennt. In „Freiwild“ wird al
die Moderne, insonderheit die Wiener Moderne, uff.), zum Präger der Klein=, der Momentpsycho¬
der Übelstand gegeißelt, der die Schauspiel
logie.
diese meist überreizte feine Nervenkunst, die uns
im Mittelpunkt des öffentlichen Interess
So brachte er im köstlichen Einakterzyklus
so häufig an die gleichzeitige französische Schule
„Anatol“ und dem reizenden Schauspiele „Liebelei“ nur zu häufig zum allgemeinen, rechtlosen
(Maupassant, Rostand, Baudelaire, Verlaine usw.)
das Wiener „süße Mädel“ zur gefälligen Darstel= objekt werden läßt, dieser Art auch Starke
gemahnt, noch von viel zu wenigen verstanden wor¬
lung. Im ersteren Werke ist es immer wieder der oder ins Elend bringt. Dagegen ist im „2
den ist oder vielmehr verstanden werden wollte.
liebenswürdige, so junge Schwerenöter Anatol, der die Ungerechtigkeit des Mannes, selbst eines
Man erinnere sich nur an das anfängliche Schicksal
Abenteuer und kleinliche Enttäuschungen mit Charakters, wie Fedor Demer es ist, an de
eines Hoffmannsthal, Beer=Hoffmann, Salten,
Frauen aller Art erlebt, um endlich, selbst knapp ger gestellt, der trotz aller liberalen Theore
Langmann oder gar Saar, David u. v. a.
über eine seinerzeitige Verfehlung der
vor seinem „Hochzeitsmorgen“, spielerisch=leicht¬
Was die literarische Eigenart Schnitzlers be¬
hinwegkommen kann.
sinnig wie stets, noch eine letzte Liebesepisode aus¬
trifft, so sind sein Gebiet die Beziehungen von
Einer der merkwürdigsten Frauenc
Mensch zu Mensch, Mann und Frau in all ihrer zukosten. Im Gegensatz zu „Anatol“, den Episoden
man könnte meinen die Quintessenz aller
Vielgestaltigkeit, besonders ihre schwankenden Gren= einer wachen Jugend und Schilderung allerlei leicht¬
keit, ist in „Beatrice“ enthalten, jenem
zen: das Unausgesprochene, mehr oder weniger lebiger Frauennaturen, ist der Dreiakter „Liebelei“
Unbewußte, Verborgene. Aus diesem Streben undl so recht das Drama des „süßen Mädels“ gewor= Kinde, das schuldig=unschuldig, spielend L#
den, jener gutherzigen, naiven, liebe=innigen Ge= Liebe gegenübersteht. (Vergleiche die 2
Schaffen schöpfte er die Stimmungen und Reizun¬
schöpfe aus dem Mittelstande. Sie opfern ihr mit Grillparzers „Jüdin von Toledo“.)
gen, man könnte sagen, die Wahrheiten des Augen¬
blickes, deren großer Meister er ist, ähnlich seinem Bestes, ihre Ehre, der flüchtigen Laune eines Kava= tricens Wesen unwissend, erkennen wir daf
A