VI, Allgemeine Besprechungen 2, Ausschnitte 1931–1933, Seite 1

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2. guttings
„OBS
I. österr. be
Unternehme¬
WIEN
71
Ausschnitt aus:
The Vienna dese. 1. Vu.
vom:
10 FEB. 933
AMERICAN FRIEND
WRITES B00K
ON SCHNITZLER
In à böok on Arthur Schnitzler
just written by an American friend of
his, Sol Liptzin, who is on the
faculty of the College of the City of
New Vork, Schnitzler is described as
a personality moulded by the milien
and time in which he lived. The
author, it is obvi us, was strongly
affected by the magic of the rather
morbidly excessive culture of his sub¬
ject.
Schnitzler’s characters“ writes
Liptzins, “are weak-willed Hamlet
types. They understand too much and
their intelligence puts a stop to their
activity. Therefore they do nothing..
Schnitzler sang the swan-song of the
Austria of former days. In his delicate
hands, he held the last faint glamour
of a diminishing glory.
The whole typical atmosphere of
Vienna dreams in his novels as in
Schubert’s songs or in the Waltzes of
Strauss. Schnitzler’s melodies, both
dramatie and epie, will long continue
to resound in our hearts and ears.“
Perhaps Sol Liptzin is of Austrian
origin
Anyhow he knows his
Schnitzler — and what he says is for
the greater part fine and clever.
Above all, he knows the Hamlet
nature of the Viennese.
I. Oesterr.
OBSERGEN bensral. kenz.
Büro für Zeitungsnachrichten
WIEN I, WOLLZEILE 71
„IBRFNNENAE: IVIEONR
5
EB. 1933
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Moderne Dichter=Arzte.
Der Beruf des Arztes, der so tiefe Ein¬
blicke in menschliche Schicksale gewährt und eine
Vertiefung in die Seelen der Kranken erfordert,
ist eine vortreffliche Schule für den Dichter¬
beruf, und so sind denn aus dem ärztlichen Stand
gar manche bedeutende Poeten hervorgegangen.
Diese Zahl ist, wie Dr. Karl Blanck in der
Leipziger „Illustrirten Zeitung“ hervorhebt, in
der modernen Literatur besonders groß. Man
braucht nur an den fürzlich verstorbenen Artur
Schuhreran erinnern, dessen Dichten so
vielfach durch sein medizinisches Wissen beein¬
flußt wurde. Als Berliner Kassenarzt hat Al¬

fred Döblin die Zustände „um den Alex
genau kennen gelernt, die er in seinem Roman
„Berlin=Alexanderplatz“ so meisterhaft gestaltet.
Ein anderer Berliner Arzt, der geniale Lyriker
und tiefe Denker Georg Benn, hat aus seinem
Beruf eine ganz eigene Weltanschauung gewon¬
nen. Der Land= und Kleinstadt=Arzt entwickelt
aus seinem Erleben wieder eine andere Spiege¬
lung des Daseins, wie sie sich etwa in den
Schopfungen von A. de Nora oder des „Rosen¬
doktors“ Ludwig Finckh offenbart.
Solche Erlebnisse hat auch der jetzt fasi
60jährige Adam Karrilon gestaltet, der als
Schiffsarzt sein Weltbild erweiterte und diese
Ergebnisse ebenfalls im Roman verwertete.
Ebenso berühmt als Dichter wie als Arzt ist der
temperamentvolle Karl Ludwig Schleich ge¬
wesen, und neben ihn tritt der auch schon dahin:
geschiedene „Arzt und Mensch“ Hans Much, der
sich mit dem Problem der deutschen Seele in sei¬
nem „Meister Ekkehart“ auseinandersetzte. Die
engsten Zusammenhänge zwischen beruflichem;
und dichterischem Schaffen finden sich in man¬
chen Dramen des Wiener Dichters Karl Schön¬
herr, der die Tragik im Dasein des Arztes er¬
greifend dargestellt hat, und in den so erfolg¬
reichen modernen Bühnenwerken, in denen Arzte!
die schwersten sozialen Probleme auf die Bret¬
ter gebracht haben, wie z. B. Friedrich Wolf;
in „Cyankali“ und Karl Crede in „Para¬
graph 218“.
Zu den begabten deutschen Dichtern gehören
auch die Arzte Reinhard Goering, der
Schöpfer der „Seeschlacht“, der Lyriler, Erzahler
und Dramatiker Hellmuth Unger sowie der##
Erzähler und Dramatiker Max Mohr. Die
Leserwelt nimmt besonderen Anteil an solchen?
Einblicken in die Welt des Arztes, wie soeben
erst der außerordentliche Erfolg des seltsamen
Buches von San Michele“ des Schweden Axel
Der dichterischen
Munthe bewiesen hat.
Muße eines Arztes verdanken wir das belieb¬
teste Kleinkinderbuch, den „Struwelpeter“ von
Heinrich Hoffmann. Auch der große russische
Dichter Anton Tschechow verrät überall in
seinen Werken die ärztliche Erfahrung, die er
gesammelt, während man bei dem Meister des
Detektiv=Romans Conan Doyle die scharfe
Beobachtung des geschulten Mediziners wieder¬
findet und ihm die Gestalt seines Sherlock Hol¬
mes während seiner ärztlichen Tätigkeit durch
einen Kollegen eingegeben wurde, den er als
Modell benutzte.