1. 50th Birthday
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Gese) Damale mnnr ee
Schnitzler kopiert und im Ton seiner Dialoge, seiner
Novellen geplaudert, geflirtet, verliebt, zärtlich und
melancholisch getan. Das war die Zeit, in der Schnitzler
sozusagen als Dichter des amourösen Wien, der
Separees, der Rendezvons, der Garconwohnungen galt.
Aber auf diese galanten Zeiten folgt bald die natürliche
Reaktion, die Bitterkeit des „Freiwild“, des „Vermächtnis“,
die Satire des „Lieutenant Gustl“, den jeder einmal kennen
gelernt hat. Allmählich taucht dann in Schnitzlers Dichtungen
das wirklich ernste Wien auf. Die Berta Garlan ist die erste
der modernen Wiener Wirklichkeit nachgezeichnete Frauen¬
gestalt, während die Margarete in „Literatur“ ein ironisch
gesehener Typus ist. Die Menschen des „Einsamen Weg“
sind eine Kreuzung von Ibsentum und Wienertum: die
um zwanzig Jahre älter und bitterer gewordene Anatol¬
Generation. Nach und nach bilden die Gestalten Schnitzlers
eine Art besonderer geschlossener Wiener Gesellschaft, und
im „Weg ins Freie“, im „Weiten Land“ glaubt man oft
die Vorbilder zu erkennen.
Schnitzler hat auch einiges geschrieben, was in
historischer Zeit spielt, in Bologna und Paris. Aber sein
eigentliches Gebiet ist doch das heutige Wien. Er selbst
entstammt ja zwei alten Wiener Familien. Sowohl vom
Vater her, dem berühmten Laryngologen Johann
Schnitzler, wie von der Mutter, deren Vater ebenfalls ein
angesehener Wiener Arzt war. Und die Eindrücke dieser
Jugend werden namentlich in den allerersten Büchern und
Stücken lebendig, Bunte Eindrücke aus der Theatersphäre,
denn „in Großvater war ja Arzt des Carl=Theaters und
mag dem Enkel manches erzählt haben, Dann ernstere Er¬
fahrungen aus der Welt des Allgemeinen Krankenhauses,
wo Schnitzler als Student und Sekundararzt manches
Jahr verbracht hat. Und auch die Beobachtungen, die er
in der Wiener Gesellschaft gemacht hat, kehren alle wieder,
in einer veränderten durchgeistigten Gestalt, Jawohl, aus
jeder Zeile, die Schnitzler geschrieben hat, erkennt man
den mit seinem ganzen Fühlen und Sinnen nach Wien
Zuständigen. Das schablonenhafte, gerührte und fidele
Duliäh= und Heurigen=Wienertum wird man freilich in den
Werken dieses Wiener Dichters vergebens suchen. Es ist
mehr ein Wienertum der inneren intellektuellen Bezirke.
Seine Menschen sprechen selten im Dialekt, sondern in
einem legeren Hochdeutsch von wienerischer Diktion. Es
sind moderne Wiener von ganz besonderer Art. Diese
Männer und Frauen sind alle ein wenig melancholisch
und grüblerisch angehaucht, haben komplizierte Gemüter,
empfindliche und überreizte Nerven und quälen sich gern
mit spitzfindigen seelischen Konflikten, und namentlich die
Frauengestalten des reifen Schnitzler sind wunderliche Ge¬
schöpfe, keine Spur mehr vom harmlosen süßen Mädel.
Aber wer genauer hinsieht, erkennt doch die geheimen
Fäden, die von der Christine zur Genia, vom Anatol
zum Friedrich Hofreiter führen. Und daß die Schnitzler¬
schen Figuren sich so merkwürdig verändert haben, daran
ist vielleicht die Wandlung schuld, die die Stadt in diesen
zwanzig Jahren erfahren hat. Es leben jetzt ganz andere
Menschen in Wien als zur Zeit des Anatol. Der strengere
Zug der späteren Werke Schnitzlers geht auch durch unser
wirkliches Leben. Wir haben absolut keine Zeit mehr, zu
tändeln und Seelenkomödie zu spielen, wie anno 1890.
Für den Kulturhistoriker wird es einmal ganz interessant
sein, sich aus den Werken Schnitzlers die Veränderung des
Wieners und der Wiener Gesellschaft herauszulesen, und
er wird vielleicht finden, daß die Gesellschaft und ihr
Dichter eine beinahe identische Entwicklung durchgemacht
haben
Es ist also wirklich nicht länger als zwanzig Jahre
her, daß das junge Wien jung war? Heute mutet es
schon beinahe historisch an, wie eine Art Romantik. Das
Merkwürdigste ist aber, daß kein jüngeres, sondern ein
ganz anderes Wien nachgewachsen ist. Ein neues, un¬
sentimentales Geschlecht von jungen Leuten, die ohne
Rührung auf den Kahlenberg gehen, ohne seelische
Zweisel soupieren, die sich die Welt und das Leben
unbekümmert schmecken lassen. Sie haben natürlich recht,
diese nüchternen und abgehärteten jungen Leute. „Sie
leben ohne Zweifel vernünftiger und gesünher als der
selige Anatol, aber ein so lieber und unvergißlicher Kerl
wie er dürfte kaum unter ihnen zu finden sein.
L. Hfd.
Die Mittelmeerreise des Oesterreichischen
Flottenvereines.
* Malta, 11. Mai. (Meldung des Reuterschen
Bureaus.) Der Dampfer „Kaiser Franz Josef I.“
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Schnitzler kopiert und im Ton seiner Dialoge, seiner
Novellen geplaudert, geflirtet, verliebt, zärtlich und
melancholisch getan. Das war die Zeit, in der Schnitzler
sozusagen als Dichter des amourösen Wien, der
Separees, der Rendezvons, der Garconwohnungen galt.
Aber auf diese galanten Zeiten folgt bald die natürliche
Reaktion, die Bitterkeit des „Freiwild“, des „Vermächtnis“,
die Satire des „Lieutenant Gustl“, den jeder einmal kennen
gelernt hat. Allmählich taucht dann in Schnitzlers Dichtungen
das wirklich ernste Wien auf. Die Berta Garlan ist die erste
der modernen Wiener Wirklichkeit nachgezeichnete Frauen¬
gestalt, während die Margarete in „Literatur“ ein ironisch
gesehener Typus ist. Die Menschen des „Einsamen Weg“
sind eine Kreuzung von Ibsentum und Wienertum: die
um zwanzig Jahre älter und bitterer gewordene Anatol¬
Generation. Nach und nach bilden die Gestalten Schnitzlers
eine Art besonderer geschlossener Wiener Gesellschaft, und
im „Weg ins Freie“, im „Weiten Land“ glaubt man oft
die Vorbilder zu erkennen.
Schnitzler hat auch einiges geschrieben, was in
historischer Zeit spielt, in Bologna und Paris. Aber sein
eigentliches Gebiet ist doch das heutige Wien. Er selbst
entstammt ja zwei alten Wiener Familien. Sowohl vom
Vater her, dem berühmten Laryngologen Johann
Schnitzler, wie von der Mutter, deren Vater ebenfalls ein
angesehener Wiener Arzt war. Und die Eindrücke dieser
Jugend werden namentlich in den allerersten Büchern und
Stücken lebendig, Bunte Eindrücke aus der Theatersphäre,
denn „in Großvater war ja Arzt des Carl=Theaters und
mag dem Enkel manches erzählt haben, Dann ernstere Er¬
fahrungen aus der Welt des Allgemeinen Krankenhauses,
wo Schnitzler als Student und Sekundararzt manches
Jahr verbracht hat. Und auch die Beobachtungen, die er
in der Wiener Gesellschaft gemacht hat, kehren alle wieder,
in einer veränderten durchgeistigten Gestalt, Jawohl, aus
jeder Zeile, die Schnitzler geschrieben hat, erkennt man
den mit seinem ganzen Fühlen und Sinnen nach Wien
Zuständigen. Das schablonenhafte, gerührte und fidele
Duliäh= und Heurigen=Wienertum wird man freilich in den
Werken dieses Wiener Dichters vergebens suchen. Es ist
mehr ein Wienertum der inneren intellektuellen Bezirke.
Seine Menschen sprechen selten im Dialekt, sondern in
einem legeren Hochdeutsch von wienerischer Diktion. Es
sind moderne Wiener von ganz besonderer Art. Diese
Männer und Frauen sind alle ein wenig melancholisch
und grüblerisch angehaucht, haben komplizierte Gemüter,
empfindliche und überreizte Nerven und quälen sich gern
mit spitzfindigen seelischen Konflikten, und namentlich die
Frauengestalten des reifen Schnitzler sind wunderliche Ge¬
schöpfe, keine Spur mehr vom harmlosen süßen Mädel.
Aber wer genauer hinsieht, erkennt doch die geheimen
Fäden, die von der Christine zur Genia, vom Anatol
zum Friedrich Hofreiter führen. Und daß die Schnitzler¬
schen Figuren sich so merkwürdig verändert haben, daran
ist vielleicht die Wandlung schuld, die die Stadt in diesen
zwanzig Jahren erfahren hat. Es leben jetzt ganz andere
Menschen in Wien als zur Zeit des Anatol. Der strengere
Zug der späteren Werke Schnitzlers geht auch durch unser
wirkliches Leben. Wir haben absolut keine Zeit mehr, zu
tändeln und Seelenkomödie zu spielen, wie anno 1890.
Für den Kulturhistoriker wird es einmal ganz interessant
sein, sich aus den Werken Schnitzlers die Veränderung des
Wieners und der Wiener Gesellschaft herauszulesen, und
er wird vielleicht finden, daß die Gesellschaft und ihr
Dichter eine beinahe identische Entwicklung durchgemacht
haben
Es ist also wirklich nicht länger als zwanzig Jahre
her, daß das junge Wien jung war? Heute mutet es
schon beinahe historisch an, wie eine Art Romantik. Das
Merkwürdigste ist aber, daß kein jüngeres, sondern ein
ganz anderes Wien nachgewachsen ist. Ein neues, un¬
sentimentales Geschlecht von jungen Leuten, die ohne
Rührung auf den Kahlenberg gehen, ohne seelische
Zweisel soupieren, die sich die Welt und das Leben
unbekümmert schmecken lassen. Sie haben natürlich recht,
diese nüchternen und abgehärteten jungen Leute. „Sie
leben ohne Zweifel vernünftiger und gesünher als der
selige Anatol, aber ein so lieber und unvergißlicher Kerl
wie er dürfte kaum unter ihnen zu finden sein.
L. Hfd.
Die Mittelmeerreise des Oesterreichischen
Flottenvereines.
* Malta, 11. Mai. (Meldung des Reuterschen
Bureaus.) Der Dampfer „Kaiser Franz Josef I.“
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