VII, Verschiedenes 2, 50ster Geburtstag, Seite 89

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Soth Birthdar
Herrn Professor. Und jeder versicherte der Mutter, er werde für sein
Leben gern seinen Kehlkopf mal erkranken lassen, so der Herr Arthur
(er hieß jetzt Arthur, nicht, wie im sechzehnten Jahrhundert: Theo¬
phrastus Bombastus) auch Laryngologe würde. Ja, die Wiener sind
furchtbar nette Leute. Sei es, daß das frühere Interesse und der frühere
Erfolg des Studiums der Syphilis wirksam war, sei es, weil jeder männ¬
lich Normalveranlagte den verruchten Hang zum weiblichen Mittelstück
hat ... jedenfalls, Herr Arthur okkupierte für seine Betätigung den
Bezirk des Unterleibs. So lebte und wirkte er in den wiener Spitälern
und Kliniken etliche Jahre in Gemeinschaft der optimistischen Schwind¬
sucht, des freßsüchtigen Krebses und der lustigen Syphilis. Dann
wechselte er: gesonnen, fortab nicht mehr medizinisch, sondern psycho¬
logisch zu erforschen und zu beklopfen; gesonnen, fortab Gotteseben¬
bildern seiner Zeit das Hemd von der Seele zu ziehen, um, ihre Nackt¬
heit abtastend, letzte Geheimnisse zu finden. Den forschenden Arzt
verdrängte der seelische Rätselsucher.
Doch es war ein Wechsel der Art und Weise nur, nicht ein Wechsel
des Gebiets. Denn der Unierleib ist das Tabernakel der Seele. Weil
der von Schiller in Aussicht gestellte Philosophenkitt noch immer dem
Bau der Welt nicht zweckdient, sondern nach wie vor Weltlauf und
Weltgetriebe einmal mit zwei und einmal mit drei Fingern panto¬
mimisch zu versinnbildlichen ist. Laß deine Daumenspitze sich an der
Zeigefingerspitze wetzen, laß deinen Daumen zwischen Zeige= und Mit¬
telfinger hindurchschlupfen ... und, Zeitgenosse, du erzähltest als
stummer Glossator die ganze Weltgeschichte von einst, jetzt und später.
Das dreifingrige Sinnbild bleibt das größere, weil welterhaltende.
Man kann sich auch des Symbols wagerechter Gedankenstriche be¬
dienen. In ihnen sah der Düsseldorfer Heinrich Heine, der nun schon
über fünfzig Jahre mit anderm vermaledeitem Menschenfleisch in des
Teufels Bratröhre schmort, das Sinnbild bequemer Sofas, und sie
schob Arthur Paracelsus als nicht zu umgehendes Möbel in seinen von
Menschen getanzten Reigen hinein: zu Dirne und Soldat; zu Soldat
und Stubenmädchen; zu Stubenmädchen und jungem Herrn; zu jungem
Herrn und junger Frau (junger Herr versagt hier wie der Garde¬
leutnant in Stendhals L'amour; wobei, was weiblich, ergriffen sto߬
seufzt: — wenn das am grünen Holz geschieht, was soll dann am dürren
geschehen!); zu junger Frau und Ehemann; zu Ehemann und süßem
Mädel; zu süßem Mädel und Dichter; zu Dichter und Schauspielerin;
zu Schauspielerin und Graf; zu Graf und Dirne. Ringschließend durch¬
braust den Reigen die Urmelodie des Lebens, jener Lusthymuus, der auch
im vergeistigsten Trieb, einer Danteliebe (selbst bei ihr wäre das Sofa
nur eine Frage der Zeit gewesen) anführend bleibt. Denn sich zur Lust
und sich zur Qual haben die Menschen diese Urmelodie aufgelöst in
Einzeltöne. Differenziertes Gefühl sondert, wählt und sucht im Kriegs¬
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lager des andern Geschlechts . .. und die Welt ist darob voll des
Zweifels, voll der Qual, voll des Elends — zuweilen auch voll des
Glücks. Und Daseinswerte, Hoffnungen, Gläubigkeiten werden ge¬
gründet auf das Gesonderte und Gewählte.
Und Paracelsus zeigte in vielen Spielen, welche Lebenstragödien
daraus entstehen, wie aus Helden kopflose Narren werden. Distanz¬
haltend von der Konvention, verzichtend auf die tragische Geste, darum
aber nicht minder ergreifend, spiegelte er, graziös und liebenswürdig
wie ein Franzose, sentimental und skeptisch wie ein Oesterreicher, in
beinah snobistischen Spielen die Welt, die der geschlechtliche Sehnsuchts¬
hunger aus sich gebar. Und es erwies sich, wie herrlich weit wir es
gebracht in der Hinaufgipfelung eines ursprünglichen, primitiven
Triebes. Firnen der Seligkeit, Abgründe des Zweifels werden um¬
sprochen, umweint und umschluchzt . . . und dazwischen, zwischen Dichter¬
worten von Liebesnot und Liebestod, wirft ein Mann von Welt leicht¬
sinnige, ironische Bemerkungen . . . und das alles in der leisen, wei¬
chen, innigen Art der Wehmut und Müdigkeit. Aber das Grundmotiv
dieser sacht=jubelnden und oft stumm=klagenden Stimmung ist eine
Erkenntnis, tief und grausam, daß sie zum Sterben genügt: Boden¬
los, unfundamental ist das Leben; alles ist trügerisch, alles zerrinnt;
es träumt, wer zu wachen glaubt; es lügt, der wahr zu sprechen
meint; und umgekehrt; nichts steht fest, alles schwankt — außer Leben
und Tod, diesen beiden einzig gewissen Dingen. Und du, o Mensch,
der du mit deinem Gran Verstand zu lenken und zu bestimmen glaubst,
bist nichts weiter als eine an Schicksalsdrähten festgehaltene, gequälte
Menschenpuppe; immer gefrozzelt von deiner eigenen Hirnphantasie,
immer verfolgter Hase und verfolgender Hund zugleich. Betrügst dich
mit Gläubigkeit an allerlei Daseinswerte. Hältst den Schein für Sein.
Nimmst den Wahn als der Wahrheit bare Münze.
Liebe! Du glaubst an Liebe, und siehe, ich, Paracelsus, verwirre
durch irgend einen nichtssagenden, augentäuschenden Hokuspokus die
Klugheit einer der sittlichsten der Frauen, breche die Verschwiegenheit
ihrer Seele auf, und du erfährst, treugewisser, eingebildeter, aufge¬
blasener Eheherr vom Geschlecht der Mannschen Klöterjahne, daß das
Herz deiner allerchristlichsten Ehefrau nach andern brünstig ist als
nach dir. Während du sie nächtens im Arm hältst und der Parvenu¬
stolz des Glücklichen und das Protzentum des Eigenliebenden dich
glauben macht, sie könne dich nie und nimmer verlassen, schläft ihre
Sehnsucht einem andern bei, schenkt sie sich in Träumen einem andern
hin, der sie tiefer und seliger als du beglücken kann. „Wer weiß, wie
viele Fenster in der Stadt — allnächtlich offen stehn für einen, der
nicht kommt.“ Wißt, Allzusichere: „Sicherheit ist nirgends. Wir
wissen nichts von andern, nichts von uns.“ Wer darf sagen, dieser
oder jener Frau Liebe gehört mir? Wer kennt die heimlichsten Gefühle
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