VII, Verschiedenes 2, 50ster und 55ster Geburtstag, Seite 27

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5oth and 55th Birthdar
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Arthur Schnitzler
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von Felix Salten
□n diesen Tagen der Erinnerung habe ich manches Buch von Schnitzler
wieder gelesen; manche von den Rovellen, die mir lieb sind, einige von
O den dramatischen Dialogen, darin so viel sorgsame Arbeit wie sorglose
Anmut sich ausnimmt. Dann, auf einsamen Spaziergängen im jungen
Frühling der Wiener Landschaft sprachen diese Bücher in mir weiter, und
es ward mir jetzt erst bewußt, daß ich beim Lesen beständig eine Stimme
gehört hatte. Als seien die Worte, die Sätze, die Schilderungen, Vorgänge
und Gespräche nicht auf dem Wege der Buchstaben zu mir gekommen,
sondern auf dem Klingen einer edlen, in ihrer Kraft und in ihrem Emp¬
finden verhaltenen Stimme.
Das rührt gewiß nicht davon her, daß ich den Dichter kenne, der all
diese Bücher gemacht hat; denn viele Menschen, die Bücher schreiben, sind
mir persönlich bekannt, sind mir im Leben manchmal nahe und durch langen
Umgang vertraut. Aber bei vielen, wenn ich ihre Bücher lese, ist es mir
gar nicht gegenwärtig, wie sie sprechen, oder ich höre eine fremde Stimme,
oder eine Stimme, die verstellt ist, oder eine, die mit angenommenem Ton¬
fall zu deklamieren scheint, oder ich höre das Echo anderer, mächtiger Stim¬
men hereindringen und sich einmengen. Manchmal höre ich auch nur meine
eigene Stimme flüsternd in mir die gelesenen Worte aufheben und in mein
Bewußtsein tragen. Oder ich höre gar nichts; sondern sehe nur Lettern,
Satzbilder, schwarze Reihen von Zeilen, Blatt für Blatt.
Unmeßbare Dinge, die wir nur fühlen, nur von ferne ahnen können, die
aber doch mit vollkommener Schärfe und Genauigkeit wirken.
Von den Schreibenden sind etliche in ihrem dichterischen Vermögen nicht
eben bedeutend. Aber sie haben diesen feinen stimmlichen Klang, haben
dieses könende Atmen der Seele, und man neigt sich ihnen zu, man begegnet
ihnen mit Schonung. Irgendwie werden sie von der menschlichen Kraft ihres
Wesens, das aus ihren wenig kraftvollen Werken mit wortloser Beredsamkeit
hervorklingt, gehoben und getragen. Gibt es dagegen nicht auch solche Dichter,
die wir als groß ansprechen, die uns zu lauter Bewunderung, zu augenblick¬
lichem Entzücken, die uns zu allem zwingen können, nur nicht zur Liebe?
Irgendwie fehlt in ihren Werken die sanfte, eindringliche Stimme eines
Menschen, der unser Zutrauen weckt, der zart an unsere Zärtlichkeit rührt.
Irgendwie haucht da eine Kälte zu uns her, ein Fremdsein, und es ist in
all ihren beredsamen, sinnvollen, prangenden Worten ein tiefes Schweigen.
In der starken, kulturfeinen, reizvoll aromatischen Kunst Arthur Schnitz¬
lers aber hört man immer den Vollklang einer schönen Menschlichkeit. Aus
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