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nirthdar
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Die Gegenwart.
Nr. 20
Ohne organische Abweichung läuft eine wunder¬
gearbeitet wurde.“ „Etwas so Ueberzeugendes
volle Linie vom Scheitel über den Nasenrücken
lag in dem Anblick, daß mir kein Zweifel auf¬
und den leicht geöffneten Mund hinweg, die
stieg.“ Gelehrte anderer Fakultäten, darunter
das Profil aufs edelste konturiert und zu¬
der Anatom Owen, glaubten an sie. Künstler,
sammenhält.
wie Natter, Lessing und andere haben nach ihr
Ich habe die Maske Dichtern und Schrift¬
Köpfe modelliert. Läßt sich trotz allen diesen
stellern von Wert gezeigt, und bat sie, die
Beweisen die Maske auch nicht dokumentarisch
Geistesrichtung des Toten zu bestimmen. Alle
beglaubigen, so dürfen wir sie doch angesichts
errieten die gewaltige Persönlichkeit eines
der großen Aehnlichkeit und des Ausdrucks mit
Künstlers und nannten zögernd oder ihrer
Bildern und Büste als wahrscheinlichste
Sache sicher Shakespeare. Einer berief sich auf
Physiognomie eines Shakespeare verehren.
die Aehmichkeit der Maske mit den ihm aus
Ein Gefühl der ungeheuren Mannigfaltig¬
der Erinnerung bekannten Porträts, während
keit menschlicher Naturen, die, in einer höheren
die physiognomische Analyse eines zweiten durch
Einheit aufgehend, Shakespeares Seele bil¬
die Fülle des Widersprechenden und Ausein¬
deten, spricht aus ihren Zügen. In der Vorder¬
anderliegenden so sehr Charakteristik des Dich¬
ansicht hat der Kopf etwas Asiatisches und
ters Shakespeare war, daß sie notwendigerweise
Ueberreifes. Stumpfheit der Wangen gegen die
mit der Behauptung, das ist Shakespeare,
Nase zu und die dekadente Verbildung der
schließen mußte. Naturgemäß stärken solche
rechten Stirnseite erinnern andeutungsweise an
Proben unseren Glauben an die Echtheit, ob¬
einen Verbrechertyp. Dazu kontrastiert das
wohl wir wissen, daß gerade große Männer
Weltkluge in der Unterlippe, das physisch
Doppelgänger haben und die Natur liebt, ihre
Schmerzvolle der geschlossenen Augen, das Er¬
gelungenen Schöpfungen in Duplikaten wenig¬
wartungsvolle, Sprechende um den Oberkiefer.
stens äußerlich zu wiederholen. Und mehr als
Erschreckend ist die Physiognomie, weil dieser
Glauben, mehr als Gewißheit des Gefühls,
Totenkopf spöttisch fortzuleben scheint. Das
den der Anblick dieses Hauptes einflößt, wird
Profil ist von verehrungswürdiger Schönheit
die Wissenschaft nie erzeugen. Darum wird
und Größe. Auf der Ansicht von rechts, die
der persönliche Eindruck auch fernerhin ent¬
den Kopf ganz frei liegend wie auf einem
scheiden, wem diese Maske dauernd als ver¬
Totenbette zeigt, ist das tief friedensvolle Antlitz
steinertes Antlitz Shakespeares gelten soll.
von einem mystischen Lichte verklärt. Diese voll¬
kommene Synthese wird wohl erst der Tod den
Mienen gegeben haben.
Die Züge sind von jenem Shakespeareschen
Adel, der einen Zeitgenossen dichten ließ:
Arthur Schnitzler.
„Wärest du nicht durch deinen Stand berufen
gewesen, Könige zu spielen, so hättest du der
Von
Genosse eines Königs sein können und selbst
Julius Bab.
ein König in der niederen Menge.“ Auch ist
an feiert Arthur Schnitzlers fünfzigsten
der Ausdruck gebietend bestimmt und kräftig
Geburtstag. Wer feiert? Das deut¬
wie der eines Staatsmannes oder Condottieri.
sche Volk? Das wäre wohl zuviel
Ein Leidenszug beschattet die etwas ausge¬
R
gesagt. Die Einzelnen und Einsamen
höhlten Wangen, ohne das Gesicht entscheidend
im Lande, die Wenigen, die rebellischen
zu bestimmen. Das Beherrschte der Leidenschaft
Geister? Das wäre nicht richtig. Aber die
und das Ebenmaß des Antlitzes verraten den
Masse, der breite Lese= und Schaubuden¬
Künstler. Auf dem Profil von links ist der
Pöbel? Das nun erst recht nicht! Es sind
Totenschlaf tiefer. Das Herrscherartige weicht
in ganz ausgesprochenem Maße die sogenannten
zurück und das Weltgefühl, das Allmenschliche
Gebildeten, die feiner kultivierten Kreise des
der Empfindung breitet sich über die Züge aus.
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Die Gegenwart.
Nr. 20
Ohne organische Abweichung läuft eine wunder¬
gearbeitet wurde.“ „Etwas so Ueberzeugendes
volle Linie vom Scheitel über den Nasenrücken
lag in dem Anblick, daß mir kein Zweifel auf¬
und den leicht geöffneten Mund hinweg, die
stieg.“ Gelehrte anderer Fakultäten, darunter
das Profil aufs edelste konturiert und zu¬
der Anatom Owen, glaubten an sie. Künstler,
sammenhält.
wie Natter, Lessing und andere haben nach ihr
Ich habe die Maske Dichtern und Schrift¬
Köpfe modelliert. Läßt sich trotz allen diesen
stellern von Wert gezeigt, und bat sie, die
Beweisen die Maske auch nicht dokumentarisch
Geistesrichtung des Toten zu bestimmen. Alle
beglaubigen, so dürfen wir sie doch angesichts
errieten die gewaltige Persönlichkeit eines
der großen Aehnlichkeit und des Ausdrucks mit
Künstlers und nannten zögernd oder ihrer
Bildern und Büste als wahrscheinlichste
Sache sicher Shakespeare. Einer berief sich auf
Physiognomie eines Shakespeare verehren.
die Aehmichkeit der Maske mit den ihm aus
Ein Gefühl der ungeheuren Mannigfaltig¬
der Erinnerung bekannten Porträts, während
keit menschlicher Naturen, die, in einer höheren
die physiognomische Analyse eines zweiten durch
Einheit aufgehend, Shakespeares Seele bil¬
die Fülle des Widersprechenden und Ausein¬
deten, spricht aus ihren Zügen. In der Vorder¬
anderliegenden so sehr Charakteristik des Dich¬
ansicht hat der Kopf etwas Asiatisches und
ters Shakespeare war, daß sie notwendigerweise
Ueberreifes. Stumpfheit der Wangen gegen die
mit der Behauptung, das ist Shakespeare,
Nase zu und die dekadente Verbildung der
schließen mußte. Naturgemäß stärken solche
rechten Stirnseite erinnern andeutungsweise an
Proben unseren Glauben an die Echtheit, ob¬
einen Verbrechertyp. Dazu kontrastiert das
wohl wir wissen, daß gerade große Männer
Weltkluge in der Unterlippe, das physisch
Doppelgänger haben und die Natur liebt, ihre
Schmerzvolle der geschlossenen Augen, das Er¬
gelungenen Schöpfungen in Duplikaten wenig¬
wartungsvolle, Sprechende um den Oberkiefer.
stens äußerlich zu wiederholen. Und mehr als
Erschreckend ist die Physiognomie, weil dieser
Glauben, mehr als Gewißheit des Gefühls,
Totenkopf spöttisch fortzuleben scheint. Das
den der Anblick dieses Hauptes einflößt, wird
Profil ist von verehrungswürdiger Schönheit
die Wissenschaft nie erzeugen. Darum wird
und Größe. Auf der Ansicht von rechts, die
der persönliche Eindruck auch fernerhin ent¬
den Kopf ganz frei liegend wie auf einem
scheiden, wem diese Maske dauernd als ver¬
Totenbette zeigt, ist das tief friedensvolle Antlitz
steinertes Antlitz Shakespeares gelten soll.
von einem mystischen Lichte verklärt. Diese voll¬
kommene Synthese wird wohl erst der Tod den
Mienen gegeben haben.
Die Züge sind von jenem Shakespeareschen
Adel, der einen Zeitgenossen dichten ließ:
Arthur Schnitzler.
„Wärest du nicht durch deinen Stand berufen
gewesen, Könige zu spielen, so hättest du der
Von
Genosse eines Königs sein können und selbst
Julius Bab.
ein König in der niederen Menge.“ Auch ist
an feiert Arthur Schnitzlers fünfzigsten
der Ausdruck gebietend bestimmt und kräftig
Geburtstag. Wer feiert? Das deut¬
wie der eines Staatsmannes oder Condottieri.
sche Volk? Das wäre wohl zuviel
Ein Leidenszug beschattet die etwas ausge¬
R
gesagt. Die Einzelnen und Einsamen
höhlten Wangen, ohne das Gesicht entscheidend
im Lande, die Wenigen, die rebellischen
zu bestimmen. Das Beherrschte der Leidenschaft
Geister? Das wäre nicht richtig. Aber die
und das Ebenmaß des Antlitzes verraten den
Masse, der breite Lese= und Schaubuden¬
Künstler. Auf dem Profil von links ist der
Pöbel? Das nun erst recht nicht! Es sind
Totenschlaf tiefer. Das Herrscherartige weicht
in ganz ausgesprochenem Maße die sogenannten
zurück und das Weltgefühl, das Allmenschliche
Gebildeten, die feiner kultivierten Kreise des
der Empfindung breitet sich über die Züge aus.