VII, Verschiedenes 3, 60ster Geburtstag, Seite 95

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1921. Bielefeld wird als Stadt benannt.
ebentlage
1816. Maler Rethel geb.
1915. Hofschauspielr August Junkermann,
15.
ein Sohn der Stadt Bielefeld, 1.
Mai
Arthur Schnitzler.
„Zum 60. Geburtstag des Dichters am 15. Mai.
Bon
Dr. Paul Neuburger.
Astlur Schnitzlers Bild im Bewußtsein der
Oeffentlichkeit zeigt eine leichte Verzerrung.
Nicht etwa wegen des Skandals um den
„Reigen“, ein Werk, das im Gesamtschaffen des
Dichters nicht genug bedeutet. Betrifft doch
der Streit um diese Szenen nur die Frage
ihrer öffentlichen Aufführung, und es dürfte
kaum notwendig sein, sich bei denjenigen auf¬
zuhalten, die durch daraus entstandene Stim¬
mungen und Verstimmungen ihr Urteil über
den Dichte beeinflussen lassen. Vielmehr
handelt es sich darum, daß die Persönlichkeit
Schnitzlers, wie sie sich dem großen Publikum
darstellt, über Gebühr durch seine frühen
Werke bestimmt erscheint. Diese ersten Stücke,
vor allem die Anatolszenen und „Liebelei“,
sind seine großen, immer wieder auflevenden
Bühnenerfolge gewesen. Hier und in andern
Jugendwerken, wie dem „Freiwild“ und dem
wenig geglückten und wenig erfolgreichen
„Märchen“, gibt den Stoff das Liebeslehen
wenn man es so nennen will — des wohl¬
habenden, von einem Beruf kaum oder gar
nicht in Anspruch genommenen Mannes, die
Stimmung eine unablösbare Wiener Lokal¬
sarbe und eine weiche, leichisertig=sentimentale
Grazie her. Der Konflikt, wo sich ein solcher
greifbar und beherrschend herausbildet, ist ein
Kampf des Individuums wider die Konven¬
tion, etwa wider die Unsitte des Zweikampfs
oder das gesellschaftliche Vorurteil, das die Ge¬
fallene trifft. Wenn diese Konflikte tragisch
enden, und wenn dabei offenbar die Sympathie
des Dichters die gefallenen Opfer des Vorur¬
teils beglei,et, so scheint er damit in die Reihe
der Ibsenschen Kämpfer gegen die gesellschaft¬
liche Lüge zu treten, nur daß er diesen Kampf
mit dem leichten Florett statt mit dem wuch¬
tigen Schwert des nordischen Recken führt.
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Hätte Schnitzler wie mancher andere eines det die Lüge des Lebens so sehr wie Ibsen, sie Ueberzeugende
uns fremb in
Tages das Publikum mit einem Werk völlig bildet eigentlich den Gegenstand seiner ganzen
Mannes Leben
abweichenden Gepräges herausgefordert und Dichtung, aber er nimmt sie wehmütig lächernd
wesentliche er
hin, weil sie ihm untrennbarer Inhalt des
es vor die Entscheidung gestellt, entweder des
nichts daran,
Lebens scheint. So wird die Lebenslüge, die
Dichters Vielgestalt hinzunehmen oder die
Allmacht des
ihm zuerst im Gewand gesellschaftlicher Vor¬
eine Seite seines Wesens zu bejahen, die an¬
urteile erschienen ist, und die sich auch in sei= Gestaltungen
dere abzulehnen, so würde es nicht nötig sein,
und daß solche
nem späteren Schaffen noch manchmal in
den späteren Schnitzler aus den Anfängen des
bunten Seins,
solchen Gestalten zeigt, zu einem Grundbestand¬
früheren herauszulösen, die Züge des fünge¬
und Grazie ##
teil des menschlichen Lebens, vor allem der
ren noch im Bilde des älteren aufzuzeigen.
land gar selten
Beziehungen der Geschlechter zueinander,
Demgegenüber steht Schnitzlers Schaffen unter
vermag, der e
deren verwirrende Mannigfaltigkeit von An¬
dem Gesetz einer fortschreitenden folgerichtigen
fang an den Stoff bildet, an dem sich für vorzieht, Stär
Entwicklung, die niemals aus ihrer Bahn
deren Herz mis
Schnitzler das Leben darstellt. Jene Lüge zu
bricht, und der Gereifte hat kaum Töne gefun¬
bekämpfen, ist daher eine fragwürdige Auf¬
den, die nicht ihren Vorklang schon in den
gabe: die Stunden des Erkennens, die in des
Jugendwerken besäßen. Aber die Akzente
Dichters Werken immer wiederkehren, bringen
haben sich langsam verschoben, und so bedeutet
selten Befreiung; häufig, wenn sie wirkliche
die Entwicklung doch eine stetige Wandlung.
Erkenntnis gaben und nicht an Stelle der einen
In Schnitzlers Jugendstücken sind die
Lüge eine andere setzten. Ekel oder Verzweif¬
Linien einfach, die Probleme treten klar her¬
lung. Wer klug ist, weiß, daß eine Lügr, die
vor. Umgeben aber werden sie von der berau¬
ein menschliches Dasein zu tragen vermag,
schenden Polyphonic einer den Lokalton mit
besser ist, als eine zerstörende Wahrheit, er
unvergleichlicher Meisterschaft treffenden Stim¬
weiß, daß wir immer spielen, und daß wir
mung. So wird das leicht überhört, was zwi¬
nichts von uns und nichts von anderen wissen.
schen diesen beiden Elementen, dem einfach
Nur die Toren wollen erkennen und zur Er¬
klaren Was und dem verführerisch vielstim¬
kenntnis verhelsen, nur die Toren suchen das
migen Wie, auch in diesen Werken schon charak¬
Leben zu meistern; es ist Traum, Spiel. Lüge,
teristisch zu erkennen ist: Die Stellung des
Chaos, aber auch einzige Macht und Wirklich¬
Dichters zum Konflikt. Schnitzlers Helden
keit; die Hand, die sich vermißt zu lenken,
gehen nicht als Kämpfer wider die Konven¬
greift ins Leere, und wer zu sehen glaubt, wird
tion zugrunde. Sie sind in der Tiefe ihrer
blind dahingetrieben, wohin zu kommen ihm
Seele selbst Fahnenflüchtige, die die Berech¬
bestimmt war.
tigung des Lebens wie es ist, deshalb weil es
Auf solchem Boden gedeihen keine Helden.
ist, noch da anerkennen, wo es im fragwürdigen
Die Lebenskämpfer kommen denn auch bei
Mantel der gesellschaftlichen Konvention auf¬
Schnitzler schlecht genug weg. Immer wieder
tritt: der Verächter des „Märchens“ vom Be¬
stehen sie als betrogene Betrüger da, und mit
lastetsein der Gefallenen empfindet selbst
zunehmender Reife wächst des Dichters müd¬
gegenüber dem, worüber „kein Mann hinweg
lächelnde Sympathie mit den Gütigen, die,
kann“, schließlich doch wie die andern. der Be¬
betrogen, ohne es zu erkennen, im Grunde
kämpfer der Duellmoral, dem das Leben das
doch die Glücklicheren sind.
höchste Gut erscheint, vermag es am Ende doch
Schnitzler hat es einmal das Charakteri¬
nicht, den Selbstvorwurf der Feigheit zu er¬
stische aller Uebergangsevochen genannt, „daß
tragen. Hier ist der Punkt, wo die weitere
Verwicklungen, die für die nächste Generation
Entwicklung einsetzen kann, weil hier bereits
vielleicht gar nicht mehr existieren werden,
die grundsätzliche Abweichung in Schnitzlers
tragisch enden müssen, wenn ein leidlich anstän¬
Auffassung der konventionellen Lüge gegeben
diger Menich hinein gerät.“ Manche von den
war, hier der Punkt, wo es sich zeigt, daß
Verwicklungen, in denen sich für Schnitzlers
Schnitzlers Musik ihre Klangfarbe von des
Menschen das Unüberwindliche des Lebens
weltanschaulicher
Dichters ethischer und
Grundeinstellung hernahm: Schnitzler empfin=harstellt, haben schen heute für uns ihr