VII, Verschiedenes 3, 60ster Geburtstag, Seite 248


box 39/3
3. 6oth Birthday
matischen Historie greift, sind seine Helden — eben keine Helden,
sondern Menschen, die vor einer heldlichen Verpflichtung, die an sie
herantritt, versagen. An die Stunde der Todesfurcht und Schwäche
des kleistschen Prinzen von Homburg scheint Schnitzlers Dramatik
anzuknüpfen. Nicht das Abermenschliche, das Fllzumenschliche,
nicht das heroische, das Natürliche beherrscht dieses Geschlecht —
ausschließlicher noch als das Hauptmanns. Schwüre werden ge¬
brochen, Pflichten durchlöchert, Imperative umgangen, Selbstge¬
löbnisse vergessen, Entscheidungen versäumt; Festigkeit erweicht sich,
menschliche Bande lösen sich mählich. Es gibt in diesen Seelen
nichts absolut Gültiges und streng Verpflichtendes, nichts Starres,
und Stetes, nichts Dauerndes. So ist das Leben, scheint Schnitzler
zu sagen, und ein melancholisches „Leider!“ schwingt als weh¬
mütige Stimmungsmusik oft genug in diesem psychologischen Rela¬
tivismus, in dieser moralistischen Skepsis mit. So ist das Leben
gewiß eher als wie in den herben Tragödien altklassischen Stiles,
deren Gestalten verkörperte Einzelleidenschaften, Einzeltugenden,
starre idealische Masken sind, die ja übrigens nie den Anspruch
auf psycholog'sche Richtigkeit erhoben haben und gegen die man
diesen Anspruch von naturalistischen Gesichtspunkten aus sehr fälschlich
erhoben hat. Schnitzler ist Naturalist — nicht eben in seiner ge¬
schmeidigen, oft konzilianten Technik, wohl aber in seiner Psycho¬
logie, nur daß er gerade alle jene seelischen Momente überbetont,
die eine idealistische dichtung bisher verschwieg. Haben die Sänger
einfach=starker Zeiten Hohelieder des Mutes, der Treue, des Willens
gedichtet, so exzelliert unsere Spätzeit — und darin ist Schnitzler
ein bedeutender Repräsentant — in Elegien — schmerzlich holden,
bisweilen peinlichen Elegien — der Todesfurcht, der Untreue, der
Willenlosigkeit.
Hofmannsthals lyrische Klage, „daß alles gleitet und vorüber¬
rinnt“, ist hier dramatisches oder episches Geschehen geworden, und
Tolstois Einsicht: „Menschen sind wie Flüsse, das Wasser ist in allen
gleich und überall ein und dasselbe, aber jeder Fluß ist bald eng,
bald schnell, bald breit, bald still, bald rein, bald kalt, bald trübe,
bald warm... Bei einigen Menschen treten diese Veränderungen
besonders scharf hervor“. So sind die Schnitzlerschen Menschen,
ganz in Fluß, ganz Fluß, heute munter und morgen matt, heute
verliebt und morgen gleichgültig, heut voller Illusionen und morgen