VII, Verschiedenes 3, 60ster Geburtstag, Seite 250


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Vor jeder wissenschaftlichen Nüchternheit oder Umständlichkeit
bewahrt ihn sein stets wacher künstlerischer Instinkt. Nicht in das
schneidende Licht eines Seziersaals stellt er seine Seelen, sondern
in ein weiches Helldunkel, aus dem das Wesentliche (nur daß hier
oft das Kleine wesentlich ist) in feinster Modulierung herausleuchtet.
Unter den psychologischen Dichtern kommen ihm wenige an Eleganz,
an Anmut, Reiz uns Stimmungsreichtum gleich. Blick und Hand
haben eine meisterliche Sicherheit erlangt in der Arbeit an einem
Viertelhundert Dramen und ebensovielen Novellen, unter denen nicht
wenige so vollkommen geworden, daß sie die Zeit überdauern werden,
deren Kinder und Zeugen sie sind.
Und was bedeuten sechzig Jahre! Man kann, wie Hauptmann
und Schnitzler, mit Fünfzig gesammelte Werke herausgeben, oder
wie C. F. Meyer und Fontane noch vor der eigentlichen Lebens¬
leistung stehen. Man kann mit Sechzig die gesammelten Werke
ergänzen und ihnen mit Siebzig die Krone aufsetzen. Und das ist
es, was wir den beiden Sechzigern wünschen.

Schöne Bücher
Ein Wegweiser durch unsere Bibliothek
(Die beigefügten Nummern beziehen sich auf den Katalog)
No. 8296. Max Rychner, G. G. Gervinus. Ein Kapitel über Li¬
teraturgeschichte (Hern, Verlag Seldwyla, 1922)
Die Tatsache verdient Beachtung: während die literarische Jugend gemeinhin
darauf erpicht ist, die Alten zeitig totzuschlagen, leistet ein junger Forscher, ritterlichen
und kritischen Geistes zugleich, den Nachweis, daß ein längst Totgesagter selbst unscer
Zeit noch lebendig ist. Wer war Gervinus! „Ein reicher, vielseitiger, aber unhar¬
monischer Geist, voll sittlichen Ernstes und doch lieblos, launenhaft, rechthaberisch“.
doziert der liebloseste und scharfsichtigste Zeitgenosse, Treitschke; „ein stockdürrer,
lederner Skribent“, zürnt Grillparzer; der Verfasser der „ersten und bedeutenösten
Geschichte unsrer Literatur“ anerkennt Erich Schmidt; das „Urbild eines bedeutenden
Mannes, doch nicht mehr ein unbezweifeltes vorbild“ bezeugt der jüngste Richter,
dessen Urteil weder die verletzte persönliche Empfindlichkeit noch die anders gerichtete