VII, Verschiedenes 3, 60ster Geburtstag, Seite 267


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lichen abzubilden und zu erschließen unternahm, das um sie spielende
Fluidum erotischer Luftspannung fernzuhalten, das konnte ihm, dem
Realisten, nicht einmal einfallen. Er mußte es wiedergeben, er vermochte es
mit höchster Virtuosität wiederzugeben und gab es wieder. Daß etliche
Leser, benommen von dieser Luft, den geistigen, sozialen, gesellschaftlichen,
menschlichen Gehalt seiner Werke darüber oder darunter oder dahinter ein¬
fach nicht mehr wahrzunehmen vermochten, ist richtig, doch schwerlich seine
„Schuld“
Denn, um es endsich zu sagen, — daß es seinen Werken an solchen Ge¬
halten fehle, diese oft angedeutete Anschauung ist lächerlich. Wohl bleibt
jegliche Metaphysik, alle religiöse und philosophische Problematik mensch¬
heitlichen Ausmaßes dem Werk dieses Arztes fern, das in Gestalten vom
Wiener Mädel bis zum Literaten, Künstler und Musiker unserer Zeit,
vom Husarenleutnant bis zum dirigierenden Arzt, vom modernen Gelehrten
bis zum modernen Industrieherrn, vom Bürgermädchen bis zur Mondaine
reicht. Was aber in diesen Gestalten an ewigen und zeitlichen, natürlichen
und erworbenen, individuellen und allgemeinen Antrieben geistiger, sitt¬
licher, physischer und herzlicher Herkunft wirkt, sie bindet und löst, verwirrt
und führt; was als Schicksal in des Wortes vollster Bedeutung diese Welt
bewegt, das umfaßt Schnitzlers prüfender Blick mit aller Intensität und
Eindringlichkeit. Und der Hauch echter Schicksalgestaltung strömt denn auch
dem Empfänglichen wahrlich lebendig genug entgegen aus der „Liebe¬
lei“, dem „Einsamen Weg“ dem „Weg ins Freie“, dem „Auf des Lebens“
dem „Zwischenspiel“, aus „Frau Beate“ und aus kleineren Werken Schnitz¬
lers. Schicksale von unentrinnbarer Notwendigkeit, geboren aus der Ver¬
webung menschlichen Wesens und zeitlicher „Welt“, sind das ernste Thema
aller bedeutenden Werke Schnitzlers, umspielt vom erotischen Fluidum
seiner Welt, beleuchtet vom wachen, oft allzu wachen Bewußtsein und un¬
heimlichen Wissen der Erlebenden, herausgestaltet mit allem Können eines
geschmackvollen und tief wissenden Dichters realistischen Wollens, dessen
Gedanklichkeit reif und klar und mit ernst gebändigter Fülle über der Ge¬
staltung waltet, in allen guten Stunden des Schaffens ihrer echten Wirkung
sicher war und sein durfte und mehr gab als alle süße Empfindung, blühende
Phantastik und klingende Sprache ungeistigerer Zeitgenossen. In diesem
Einklang von Stimmung — sehr menschlicher, vielhundertfältiger, von allen
Schwebungen des Lebens durchwobener Stimmung — und Seelentum, be¬
grenztem, doch in seiner Begrenzung voll und reich ausgeprägtem Seelen¬
tum, und zeitlicher Geistigkeit waltet die Intellektualität als das Kenn¬
zeichen der Geistigkeit seiner Welt unmerklich=merklich vor. Eine dialek¬
tisch gewandte, vorsichtig ihrer Grenzen sich bewußte, feinfühlige Intel¬
lektualität. Schnitzler verstärkt im Abbilde leise die Intellektualität seiner
Welt; er verstärkt sie aus dem Überfluß seiner Einsicht, die eine psycholo¬
gische und eine noch tiefere in Schicksale ist. Dies ist das „Unheimliche“
seiner Werke. Vor elf Jahren schrieb ich darüber, als Schnitzlers „Weites
Land“ erschienen war: Diese Dichter „zeigen dem Empfangenden nicht nur
Bilder des Geschehens, wie er sie sieht im Leben, sondern auch die Heim¬
lichkeiten mit, den Gespensterreigen, der im Hin und Wider als dunkles
Schattenspiel mit gegeben ist. So ist der dargebotene Anblick der Seele
nicht nur der des Alltags oder gesteigerter Kräfte, sondern hinter jeder
Regung dehnen sich deren Triebe und Beziehungen, dehnen sich dunkle und
helle Vorregungen und Nachregungen — es zweitete sich das „Lande der