VII, Verschiedenes 3, 60ster Geburtstag, Seite 280


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ist darum einer der wenigen Nurdichter, wo seine Zeitgenossen in
zweiter oder gar in erster Linie Schriststeller sind. Direkte gedank¬
liche Außerungen politischer oder sozialer, psychologischer oder hi¬
storischer Art, selbst solche über Kunst, sind bei ihm selten oder
nebensächlich geblieben, und in bewußter künstlerischer Rechenschafts¬
ablage — aber kommt es auf diese an! — wird er von manchem
übertroffen, der ihm an eigentlichem Schöpfertum nicht einmal nahe
kommt.
Seine Weisheit, sein Tiefsinn rankt sich immer nur am Stabe
der einmaligen gestalteten Situation empor, kristallisiert sich selten
zur Reflexion, aber steckt immanent in den dichterischen Gebilden.
Ihre sinnbildliche Bedeutung — etwa die von „Pippa tanzt“ —
ist kaum zu definieren, selbst der Dichter kann sie nue andeuten, sie
offenbart sich aber dem Gefühl.
Dieser Dichter kennt keine Abstraktionen. Was aus seiner Schöpfer¬
hand kommt, ist einmalig, individuell, zeitlich bedingt, örtlich genau
lokalisiert. Tut einer den Mund auf, so sagt er zehnmal mehr, als
er sagen will: er verrät seinen Bildungsgrad und seinen momentanen
Gemütszustand, seinen Beruf, sein Temperament und seine Heimat.
Noch wenn Hauptmann uns über den Ozean in die verschollene
Mayakultur oder über Jahrtausende weg in die homerische Frühwelt
versetzt, tut er es nicht, um seinem Genius jenseits der konkreten
Bedingungen und besonderen Umstände in der Freiheit einer idealen
poetischen Ferne zu einem ungehemmten Tanze zu verhelfen; nein,
er schlägt gleich hundert Wurzeln auf dem neuen Boden, die
mexikanische Sonne geht über jener Welt anders auf als die
griechische über Ithaka; die Freier Penelopes prassen nicht in einem
allgemein gehaltenen Idealpalast, sondern zwischen den rohen Stein¬
wänden im Anwesen des Sauhirten Eumaios, in einer Sennhütte.
Da ist der Herd mit rußigem Rauchabzug, der Boden aus unregel¬
mäßigen Steinplatten, Resselanlagen zur Bereitung des Diehfutters,
es riecht nach Alpenkäse und Schweinestall, eine geschlachtete Sau
wird ausgeweidet.
Hat ein humanistisch klassischer Geschmack aus dem naiv patri¬
archalischen Begriff des göttlichen Sauhirten das Göttliche säuber¬
lich herausgehoben, so versteckt es Hauptmann so darin, daß
es nur eben noch durchschimmert. Sein Döysseus bleibt vier Alte
lang ein verlauster Bettler, unkenntlich vor Alter, Elend und Lumpen,
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