VII, Verschiedenes 3, 60ster Geburtstag, Seite 285

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Sthirthdar

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enttäuscht, heute Draufgänger und morgen Hasenherzen, des Nachts
voller Eifer und beim Hahnenschrei Verräter. Weichtiere ohne Rück¬
grat, aber Proteusnaturen, Meister der Mimikry, der Anpassung
an neue Verhältnisse. Milieumenschen, wie die Hauptmanns, be¬
stimmbare, nicht bestimmende; zum Ambos, nicht zum hammer
geschaffen; dem Ziel untreu, dem Nächsten untreu, sich selber untreu.
„Man gleitet. Man gleitet immer weiter. Wer weiß, wohin!“,
heißt ein Hauptthema Schnitzlers. Und ein anderes: „Die Seele
ist ein weites Land“. Im selben Rugenblick sogar wird sie von
auseinanderstrebenden Trieben und Empfindungen hin= und her¬
geworfen, ja, das Ungereimteste verträgt sich besser, als man denkt.
Selten erklingt eine Saite rein uns bestimmt; Schnitzler ist der
dichter der seelischen Dolyphonien, und wie könnte er da immer
ein Harmonikee sein! Die Unordnung im Innern, die Unaufgeräumt¬
heit, die Widersprüche, die Schwankungen, die Unterströmungen,
die schillernden Mischungen — das ist seine eigentliche Domäne.
Begleitsymptome, Uebenempfindungen, unmerklich vor sich gehende
Zersetzungen und Wachstumsvorgänge deckt er mit einer Takt¬
sicherheit und Nüancierungskunst auf, deren Anwendung besonders
in der dramatischen Form zu bewundern ist.
Er hat den seelischen Nahblick. Er betreibt subtile Zerlegung.
Ist es ein Zufall, daß er in der Stadt wohnt, die durch Freud
zum Ausgangspunkt der Psychanalyse wurde! Ist nicht einige Ver¬
wandtschaft festzustellen zwischen dem Lebensdrang bei Schnitzler
und der Libido bei Froud! In der dominierenden Rolle, die beide
der Sexualität und ihren Ausstrahlungen zuschreiben!
Schnitzler stammt aus einer Arztefamilie, war selber Arzt; da¬
von zeugen nicht bloß die paar Dutzend Mediziner, die er auf die
Beine gestellt hat, sondera, was wichtiger ist, die Art seines Blickes,
dieser sorgfältige, eindringliche, aber nicht zudringliche, zugleich
sachlich feststellende und leisen Anteil nehmende, gütig milde, ver¬
stehende, verzeihende Blick. Und fast möchte man sagen, auch seine
Stimme ist die eines Arztes: der leis gedämpfte, den heftigen Affekt
vermeidende, weich abgestufte Vortrag seiner Werke. Einem klugen,
feinfühligen, erkennenden, aber taktvoll zurückhaltenden Hausarzt,
nicht dem aufwühlenden und systematisch ins Geheimnis vor¬
dringenden Psychoanalptiker gleicht er in seinem Gebahren gegen¬
über den Geschöpfen seines Werkes.