Birthday
Oerihn
Dr. Max Goldschmidt
Büro für Zeitungsausschnitte
Teleion Norden 3051
BBRLIN N 4
Neue Jait, Charloktenburg
15.Mal1927
Arthur Schnißler.
Zu seinem 65. Geburlstag am 15. Mai.
Arthur Schnitzler soll, als er aus einer Ge¬
sellschaft heimkehrte und gefragt wurde, wie er
sich unterhalten hätte, geantwortet haben: „Ohne
mich hätte ich mich sehr gelangweilt“ Es ist ein
Scherzwort und vor allem ist es richtig: wo er
ist, ist es nicht langweilig. Langeweile findet man
bei keinem der vielen Werke, die er geschaffen. vom
ersten „Anatol“ an bis heute — ein Vorzug, in
dem er alle übrigen Wegebereiter des Naturalis¬
mnus übertrifft. Schnitzler hat immer am Natu¬
ralismus festgehalten, vom „Anatol“ und „Liebe¬
lei“ an über „Den Schleier der Beatrice" und
„Reigen" bis zur Gegenwärt, und wenn der
Naturalismus nun auch schon so oft eingesargt
wurde und nach ihm schon so viele andere Dich¬
tungsrichtungen kamen, m Schnitzler lebt er
weiter, und zwar mit Erfolg. Schnitzlers Natu¬
ralismus unterscheidet sich aber merklich von dem
anderer Dichter dieser Richtung, etwa von Haupt¬
mann oder Ibsen, er ist echt sentimental=wiene¬
risch Wie seine Dramen und seine Erzählungen
mit Vorliebe den Wiener Boden wählen, so sind
auch die handelnden Personen wienerisch einge¬
stellt: heißes, aber leichtes Blut, über die ärgsten
moralischen Bedenken hintändelnd, und nachher
sentimental bereuend. Schnitzler ist Naturalist und
Realist und dementsprechend skeptisch, zersetzend,
aber dies alles klingt nicht ko hart und rauh und
scharf wie bei den Norddeutschen seine Satire ist
liebenswürdig und graziös.
Diese großen und vielen Vorzüge, das hohe¬
Dichtertum Schnitzlers hat die Kritik resümierend
schon bei Gelegenheit seines 60. Geburtstages ein¬
mütig anerkannt und hervorgehoben. Seitdem ist
er 5 Jahre älter geworden, eine gefährliche Zeit,
weil sie für die bei weitem größere Zahl der
Menschen das Schwinden ihrer Schaffens= und
Schöpfungskraft bringt. Sind sie für ihn solche
Jahre der Krisis geworden? Man möchte — ohne
Kompliment — beinahe sagen, seine Schreibweise
sei noch leichter, flüssiger, seine Satire und Humor
noch feiner, freier, sein Lächeln über die mensch¬
lichen Schwächen noch menschlicher geworden.
In keinen letzten Novellen schlägt Schnitzler
box 39/4
teilweise einen neuen Weg ein. Es ist erklärlich,
daß die Psychoanalyse Freuds, an dessen Wohn¬
sitz. Wien, die Wissenschaft wie die Lajenwelt noch
mehr interessiert ist als anderswe, und daß auf
diesem Gebiete dem Arzt Schnitzler bald der
Dichter Schnitzler folgte. „Frävlein Else“ war
'chon in diesem Fahrwasser gesegelt, von neuem
nahm er es nun in der Novelle „Die Frau des
Richters“ auf, einer tragikomischen Novelle, voll
tiefem Hohn und Spott, natürlich nicht über die
pfychoanalytische Wissenschaft, aber über den
Schwindel, die Erbärmlichkeit, die Feigheit, die bei
diesen Krankheiten zutage treten. Das Buch ver¬
folgt noch einen zweiten Zweck: der Politiker
Schnitzler legt sein Bekenntnig und Verhältnis zur
eiten Zeit und zur neuen ab. das darauf hinaus¬
läuft, daß er weder das Frühere in Grund und
Boden verdammen, noch in der Neuerung nur
Sonnenschein und eitel Glück sehen kann. Mit
seiner „Traumnovelle“ geht er auf, ein ver¬
wandtes Gebiet der beiden ebengenannten, und
man bewundert in ihr wieder die Phantasie des
Dichters wie das große Wissen und Können des
Arztes. Und alle diese Werke verraten den
jungen Schnitzler — möge der auch weller¬
schaffen!
14
sch
seit langer Zeit
ab#eleat wird
aufrichtiges Bei
in unserer Zeit
erfreulich.
Eine sehr ve
ert
Wol
schu
sind
Begabteste
Seele schrei
Hymnen der
Glasklar dageg
1
Oerihn
Dr. Max Goldschmidt
Büro für Zeitungsausschnitte
Teleion Norden 3051
BBRLIN N 4
Neue Jait, Charloktenburg
15.Mal1927
Arthur Schnißler.
Zu seinem 65. Geburlstag am 15. Mai.
Arthur Schnitzler soll, als er aus einer Ge¬
sellschaft heimkehrte und gefragt wurde, wie er
sich unterhalten hätte, geantwortet haben: „Ohne
mich hätte ich mich sehr gelangweilt“ Es ist ein
Scherzwort und vor allem ist es richtig: wo er
ist, ist es nicht langweilig. Langeweile findet man
bei keinem der vielen Werke, die er geschaffen. vom
ersten „Anatol“ an bis heute — ein Vorzug, in
dem er alle übrigen Wegebereiter des Naturalis¬
mnus übertrifft. Schnitzler hat immer am Natu¬
ralismus festgehalten, vom „Anatol“ und „Liebe¬
lei“ an über „Den Schleier der Beatrice" und
„Reigen" bis zur Gegenwärt, und wenn der
Naturalismus nun auch schon so oft eingesargt
wurde und nach ihm schon so viele andere Dich¬
tungsrichtungen kamen, m Schnitzler lebt er
weiter, und zwar mit Erfolg. Schnitzlers Natu¬
ralismus unterscheidet sich aber merklich von dem
anderer Dichter dieser Richtung, etwa von Haupt¬
mann oder Ibsen, er ist echt sentimental=wiene¬
risch Wie seine Dramen und seine Erzählungen
mit Vorliebe den Wiener Boden wählen, so sind
auch die handelnden Personen wienerisch einge¬
stellt: heißes, aber leichtes Blut, über die ärgsten
moralischen Bedenken hintändelnd, und nachher
sentimental bereuend. Schnitzler ist Naturalist und
Realist und dementsprechend skeptisch, zersetzend,
aber dies alles klingt nicht ko hart und rauh und
scharf wie bei den Norddeutschen seine Satire ist
liebenswürdig und graziös.
Diese großen und vielen Vorzüge, das hohe¬
Dichtertum Schnitzlers hat die Kritik resümierend
schon bei Gelegenheit seines 60. Geburtstages ein¬
mütig anerkannt und hervorgehoben. Seitdem ist
er 5 Jahre älter geworden, eine gefährliche Zeit,
weil sie für die bei weitem größere Zahl der
Menschen das Schwinden ihrer Schaffens= und
Schöpfungskraft bringt. Sind sie für ihn solche
Jahre der Krisis geworden? Man möchte — ohne
Kompliment — beinahe sagen, seine Schreibweise
sei noch leichter, flüssiger, seine Satire und Humor
noch feiner, freier, sein Lächeln über die mensch¬
lichen Schwächen noch menschlicher geworden.
In keinen letzten Novellen schlägt Schnitzler
box 39/4
teilweise einen neuen Weg ein. Es ist erklärlich,
daß die Psychoanalyse Freuds, an dessen Wohn¬
sitz. Wien, die Wissenschaft wie die Lajenwelt noch
mehr interessiert ist als anderswe, und daß auf
diesem Gebiete dem Arzt Schnitzler bald der
Dichter Schnitzler folgte. „Frävlein Else“ war
'chon in diesem Fahrwasser gesegelt, von neuem
nahm er es nun in der Novelle „Die Frau des
Richters“ auf, einer tragikomischen Novelle, voll
tiefem Hohn und Spott, natürlich nicht über die
pfychoanalytische Wissenschaft, aber über den
Schwindel, die Erbärmlichkeit, die Feigheit, die bei
diesen Krankheiten zutage treten. Das Buch ver¬
folgt noch einen zweiten Zweck: der Politiker
Schnitzler legt sein Bekenntnig und Verhältnis zur
eiten Zeit und zur neuen ab. das darauf hinaus¬
läuft, daß er weder das Frühere in Grund und
Boden verdammen, noch in der Neuerung nur
Sonnenschein und eitel Glück sehen kann. Mit
seiner „Traumnovelle“ geht er auf, ein ver¬
wandtes Gebiet der beiden ebengenannten, und
man bewundert in ihr wieder die Phantasie des
Dichters wie das große Wissen und Können des
Arztes. Und alle diese Werke verraten den
jungen Schnitzler — möge der auch weller¬
schaffen!
14
sch
seit langer Zeit
ab#eleat wird
aufrichtiges Bei
in unserer Zeit
erfreulich.
Eine sehr ve
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Wol
schu
sind
Begabteste
Seele schrei
Hymnen der
Glasklar dageg
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