1. Miscellaneons
2
Wiener Brief.
(Die Wiener Modernen. — Die Secession. — Die
Wiener Modeausstellung.)
M. B. Vor ungefähr neun Jahren wurde
im deutschen Volkstheater eine prächtige Satire
gegen die Modernen gegeben: die Komödie
„König Midas“ von dem dänischen Dichter
Heiberg. Das Stück wurde bei der Première
grausam niedergezischt, obgleich Mitterwurzer
und Adele Sandrock die Hauptrollen spielten.
Mitterwurzer, den ich nach der Vorstellung traf,
war über diesen Mißersolg durchaus nicht un¬
ggehalten. „Es ist nicht das erste Mal in meiner
Carrière“, sagte er lachend, „daß ich „ange¬
blasen“ wurde. Aber diesmal darf ich mit
ruhigem Gewissen sagen: Ich bin unschuldig.
Die Leute haben eben die satirischen Pointen
des Stückes nicht verstanden. Sie wissen zu
wenig von der „Moderne.“ In einigen Jahren
wird man eine Komödie, die die Modernen
aufs Korn nimmt, verstehen und die Zischer
von heute werden dann herzhaft applaudiren.“
Was Mitterwurzer vorausgesagt, ist ein¬
g getroffen. Man kennt gegenwärtig in Wien
ent
die „Moderne“ in der Literatur und in der
bildenden Kunst. Man kennt auch die Aus¬
wüchse der neuen Richtung. Und so ist denn
auch begreiflich, daß die jüngste Novität des
Burgtheaters, die satirische Komödie „Jugend
von heute“ von Otto Ernst eine verständni߬
innige und beifällige Aufnahme fand. Man
darf aber gleichwohl behaupten, daß die Modelle
zu jenen Literaturgigerln und modernen „Uiber¬
menschen“, wie sie Otto Ernst gezeichnet hat,
hier nur in sehr wenigen Exemplaren vertreten
sind; als typische Gestalten mögen sie in der
literarischen Bohsme Berlins vorkommen, bei
uns findet man sie nicht. Unsere Modernen
haben ihre Sturm= und Drangperiode längst
hinter sich. Selbst ihr hervorragendster Stür¬
mer und Dränger, Hermann Bahr, ist ein ernster,
gesetzter Schriftsteller geworden. Er coquettirt
nicht mehr mit seiner Stirnlocke. Er sucht das
Publicum nicht mehr durch literarische Abson¬
S
1
Der Küchenkoller.
box 41/1
1900.
—.—
5
ige zur Bohemia Nr. 67.
geiten an die Ldmintstration und Vemmiter an die Urpelkion der „Besentrt fenden.
MI AEEEE
MS
einiger Concentration mit einem gediegenen, sub¬
derlichkeiten zu verblüffen, er ist sogar im Ent¬
stantiellen Werke hervortreten werde. Das
decken neuer Talente sehr vorsichtig geworden
Wunderkind unserer Modernen, Lowis, in wei¬
sund entwickelt jetzt als Kunstrichter eine milde,
teren Kreisen als Hugo von Hofmansthal be¬
fast zu milde Abgeklärtheit. Und da ihm bei
kannt, hat als Dramatiker zwar enttäuscht, daß
seiner außerordentlichen Energie, die sich durch
er aber eine reiche lyrische Natur und ein geist¬
Mißerfolge nicht erschüttern läßt, früher oder
voller Essayist ist, das hat er bis nun schon
später ein dramatischer Wurf gelingen dürfte,
vollauf bewiesen. Unsere Wiener literarische
so wird es ihm wohl auch gegönnt sein, jenes
„Jugend von heute“ ist also modern im guten:
Ideal verwirklicht zu sehen, das ihn jetzt vor¬
Sinne des Wortes. Ihr Verdienst ist es auch,
schwebt: in der Villa, die er sich in Ober¬
wenn gegenwärtig in der Wiener Literatur
Sanet=Veit bei Wien baut, das Leben eines
Leben und Bewegung herrscht. Das große Pu¬
literarischen Grandseigneurs zu führen. Eben
blicum freilich ist nicht so sehr durch die neuen
so wenig wie Bahr hat Arthur Schnitzler bei
Strömungen in der Literatur als vielmehr:
einer Satire gegen die Mödernen die Horaz'sche
durch unsere bildende Kunst für die Moderne
Mahnung: de te fabula narratur zu be¬
emnpfänglich gestimmt worden. Und es isdmerk¬
fürchten. Arthur Schnitzler, der das Wiener
würdig, wie rasch sich hier ein Unschwung
„süße Mädel“ burgtheaterfähig gemacht hat, ist
vollzog. Ein besonderes Beispiel mag diese That¬
ein tüchtiger Arzt; er könnte von seinem ärzt¬
sache beleuchten. Wie hat man vor einigen
lichen Berufe leben, wenn der dichterische Trieb
Jahren erst über das secessionistische Ausstel¬
in ihm nicht so stark wäre. So modern er auch
lungsgebäude gelacht, das Meister Olbrich an
denkt und fühlt, er hat keinen Zug moderner
der Wienerzeile errichtete. Nicht nur Laien, auch
Verschrobenheit an sich. Er ist bescheiden und
Architekten, auch Künstler machten sich über den
unverdrossen thätig; er arbeitet und bosselt an
jungen Meister lustig und verspotteten seinen
seinen Werken unablässig mit jenem Fleiße,
Der einzige
grotesken Bau mit der seltsamen Kuppel.
den „keine Mühe bleichet.“
Olbrich fand freilich auch begeisterte Fürsprecher;
auffallende, dabei doch harmlose Sonder¬
Ludwig Hevesi und Hermann Bahr traten für
ling unter unseren Modernen, der sich
ihn ein. Das wirkte. Die Spötter wurden klein¬
mit Stolz einen Decadenten nennt, ist Peter
laut. Und als man gar hörte, daß der kunst¬
Altenberg, dessen erstes Buch „Wie ich es sehe“
sinnige Großherzog von Hessen den jungen
so großes und berechtigtes Aufsehen erregt hat.
Meister nach Darmstadt berufen, ihm den Pro¬
Altenberg ist in der That nicht frei von jenen
fessortitel verliehen, einen Jahresgehalt von
Schrullen, die zur Satire herausfordern. Als
die Aschanti=Neger im Wiener Thiergarten sich
8000 Mark ausgesetzt und mit der Aufgabe
betraut hat, in der dortigen Künstlercolonie
producirten, verkehrte er täglich in der Gesell¬
nach Herzenslust zu bauen, da fand man auf
schaft der jungen und alten Aschanti= Damen,
deren Unschuld, Milde und natürliche Empfin¬
einmal das Heim der Secessionisten eigen¬
dung er mit begeisterten Worten pries. Er
artig, ja schön. Die junge Künstlerschaar,
widmete ihnen sogar ein Buch, was immerhin die sich von den „Alten“ losgesagt, ent¬
wickelte inzwischen eine rastlose Thätigkeit.
verständlicher war als der barocke Einfall Bahrs,
Sie wirkte propagandistisch durch Wort.
der vor einigen Jahren eines seiner Bücher
und Bild in ihrer Zeitschrift „Ver sacrum“.
seinem Dackel gewidmet hat. Altenberg hat diese
Aschanti=Periode bereits hinter sich, und da er
Sie eröffnete eine Ausstellung nach der andern,
eine feinsinnige Künstlernatur ist, so darf man führte dem Wiener Publicum die hervorra¬
wohl erwarten, daß er, nachdem er bis nun gendsten modernen Meister vor und offenbarte
blos spinnwebig zarte Skizzen geboten, bei gleichzeitig durch eigene Werke ihr thatkräftiges
m
Die letzte Ursache dieser Krankheit führt Dr. F. mache und weil sie den Kindern des Hauses, die sie
2
Wiener Brief.
(Die Wiener Modernen. — Die Secession. — Die
Wiener Modeausstellung.)
M. B. Vor ungefähr neun Jahren wurde
im deutschen Volkstheater eine prächtige Satire
gegen die Modernen gegeben: die Komödie
„König Midas“ von dem dänischen Dichter
Heiberg. Das Stück wurde bei der Première
grausam niedergezischt, obgleich Mitterwurzer
und Adele Sandrock die Hauptrollen spielten.
Mitterwurzer, den ich nach der Vorstellung traf,
war über diesen Mißersolg durchaus nicht un¬
ggehalten. „Es ist nicht das erste Mal in meiner
Carrière“, sagte er lachend, „daß ich „ange¬
blasen“ wurde. Aber diesmal darf ich mit
ruhigem Gewissen sagen: Ich bin unschuldig.
Die Leute haben eben die satirischen Pointen
des Stückes nicht verstanden. Sie wissen zu
wenig von der „Moderne.“ In einigen Jahren
wird man eine Komödie, die die Modernen
aufs Korn nimmt, verstehen und die Zischer
von heute werden dann herzhaft applaudiren.“
Was Mitterwurzer vorausgesagt, ist ein¬
g getroffen. Man kennt gegenwärtig in Wien
ent
die „Moderne“ in der Literatur und in der
bildenden Kunst. Man kennt auch die Aus¬
wüchse der neuen Richtung. Und so ist denn
auch begreiflich, daß die jüngste Novität des
Burgtheaters, die satirische Komödie „Jugend
von heute“ von Otto Ernst eine verständni߬
innige und beifällige Aufnahme fand. Man
darf aber gleichwohl behaupten, daß die Modelle
zu jenen Literaturgigerln und modernen „Uiber¬
menschen“, wie sie Otto Ernst gezeichnet hat,
hier nur in sehr wenigen Exemplaren vertreten
sind; als typische Gestalten mögen sie in der
literarischen Bohsme Berlins vorkommen, bei
uns findet man sie nicht. Unsere Modernen
haben ihre Sturm= und Drangperiode längst
hinter sich. Selbst ihr hervorragendster Stür¬
mer und Dränger, Hermann Bahr, ist ein ernster,
gesetzter Schriftsteller geworden. Er coquettirt
nicht mehr mit seiner Stirnlocke. Er sucht das
Publicum nicht mehr durch literarische Abson¬
S
1
Der Küchenkoller.
box 41/1
1900.
—.—
5
ige zur Bohemia Nr. 67.
geiten an die Ldmintstration und Vemmiter an die Urpelkion der „Besentrt fenden.
MI AEEEE
MS
einiger Concentration mit einem gediegenen, sub¬
derlichkeiten zu verblüffen, er ist sogar im Ent¬
stantiellen Werke hervortreten werde. Das
decken neuer Talente sehr vorsichtig geworden
Wunderkind unserer Modernen, Lowis, in wei¬
sund entwickelt jetzt als Kunstrichter eine milde,
teren Kreisen als Hugo von Hofmansthal be¬
fast zu milde Abgeklärtheit. Und da ihm bei
kannt, hat als Dramatiker zwar enttäuscht, daß
seiner außerordentlichen Energie, die sich durch
er aber eine reiche lyrische Natur und ein geist¬
Mißerfolge nicht erschüttern läßt, früher oder
voller Essayist ist, das hat er bis nun schon
später ein dramatischer Wurf gelingen dürfte,
vollauf bewiesen. Unsere Wiener literarische
so wird es ihm wohl auch gegönnt sein, jenes
„Jugend von heute“ ist also modern im guten:
Ideal verwirklicht zu sehen, das ihn jetzt vor¬
Sinne des Wortes. Ihr Verdienst ist es auch,
schwebt: in der Villa, die er sich in Ober¬
wenn gegenwärtig in der Wiener Literatur
Sanet=Veit bei Wien baut, das Leben eines
Leben und Bewegung herrscht. Das große Pu¬
literarischen Grandseigneurs zu führen. Eben
blicum freilich ist nicht so sehr durch die neuen
so wenig wie Bahr hat Arthur Schnitzler bei
Strömungen in der Literatur als vielmehr:
einer Satire gegen die Mödernen die Horaz'sche
durch unsere bildende Kunst für die Moderne
Mahnung: de te fabula narratur zu be¬
emnpfänglich gestimmt worden. Und es isdmerk¬
fürchten. Arthur Schnitzler, der das Wiener
würdig, wie rasch sich hier ein Unschwung
„süße Mädel“ burgtheaterfähig gemacht hat, ist
vollzog. Ein besonderes Beispiel mag diese That¬
ein tüchtiger Arzt; er könnte von seinem ärzt¬
sache beleuchten. Wie hat man vor einigen
lichen Berufe leben, wenn der dichterische Trieb
Jahren erst über das secessionistische Ausstel¬
in ihm nicht so stark wäre. So modern er auch
lungsgebäude gelacht, das Meister Olbrich an
denkt und fühlt, er hat keinen Zug moderner
der Wienerzeile errichtete. Nicht nur Laien, auch
Verschrobenheit an sich. Er ist bescheiden und
Architekten, auch Künstler machten sich über den
unverdrossen thätig; er arbeitet und bosselt an
jungen Meister lustig und verspotteten seinen
seinen Werken unablässig mit jenem Fleiße,
Der einzige
grotesken Bau mit der seltsamen Kuppel.
den „keine Mühe bleichet.“
Olbrich fand freilich auch begeisterte Fürsprecher;
auffallende, dabei doch harmlose Sonder¬
Ludwig Hevesi und Hermann Bahr traten für
ling unter unseren Modernen, der sich
ihn ein. Das wirkte. Die Spötter wurden klein¬
mit Stolz einen Decadenten nennt, ist Peter
laut. Und als man gar hörte, daß der kunst¬
Altenberg, dessen erstes Buch „Wie ich es sehe“
sinnige Großherzog von Hessen den jungen
so großes und berechtigtes Aufsehen erregt hat.
Meister nach Darmstadt berufen, ihm den Pro¬
Altenberg ist in der That nicht frei von jenen
fessortitel verliehen, einen Jahresgehalt von
Schrullen, die zur Satire herausfordern. Als
die Aschanti=Neger im Wiener Thiergarten sich
8000 Mark ausgesetzt und mit der Aufgabe
betraut hat, in der dortigen Künstlercolonie
producirten, verkehrte er täglich in der Gesell¬
nach Herzenslust zu bauen, da fand man auf
schaft der jungen und alten Aschanti= Damen,
deren Unschuld, Milde und natürliche Empfin¬
einmal das Heim der Secessionisten eigen¬
dung er mit begeisterten Worten pries. Er
artig, ja schön. Die junge Künstlerschaar,
widmete ihnen sogar ein Buch, was immerhin die sich von den „Alten“ losgesagt, ent¬
wickelte inzwischen eine rastlose Thätigkeit.
verständlicher war als der barocke Einfall Bahrs,
Sie wirkte propagandistisch durch Wort.
der vor einigen Jahren eines seiner Bücher
und Bild in ihrer Zeitschrift „Ver sacrum“.
seinem Dackel gewidmet hat. Altenberg hat diese
Aschanti=Periode bereits hinter sich, und da er
Sie eröffnete eine Ausstellung nach der andern,
eine feinsinnige Künstlernatur ist, so darf man führte dem Wiener Publicum die hervorra¬
wohl erwarten, daß er, nachdem er bis nun gendsten modernen Meister vor und offenbarte
blos spinnwebig zarte Skizzen geboten, bei gleichzeitig durch eigene Werke ihr thatkräftiges
m
Die letzte Ursache dieser Krankheit führt Dr. F. mache und weil sie den Kindern des Hauses, die sie