VII, Verschiedenes 11, 1902–1906, Seite 11

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Ame
Foltzerutigen 1.
Er hatte nämlich in jener zweiten Drahtung seine
Verwunderung ausgesprochen, daß man die mit:
seinem Namen unterzeichneten Telegramme hier für
echt gehalten und nicht noch vor der Aufführung ihn
box 41/1
1. Miscellaneons
um Aufklärung ersucht hatte. Das vermag ich nicht
einzusehen. Die vier oder fünf Kollegen, mit denen
ich über den Fall gesprochen habe, waren derselben
Meinung: kein Mensch hat ursprünglich an eine
Fälschung gedacht. Das Telegramm hatte in kurzer sach¬
licher Weise auf die Vorstellung hingewiesen — weshalb
sollte das so unglaublich sein? Giebt es denn nicht
Fälle, wo ein Schriftsteller, der ein warmes Herz
für die Entwicklung unserer Litteratur hat, ein junges
unbeachtetes Talent der Beachtung empfehlen darf?
Der Fall ist interessant genug, um kurz prinzipiell er
örtert zu werden. Gesetzt, ein angesehener Schrift¬
steller hat das Glück, ein junges verborgenes
Talent zu entdecken; er hat ein Drama
von ihm gelesen, das vielleicht noch Anfängerschwächer
hat, aber doch Großes für die Zukunft verspricht
Daß unsere „ersten“ Bühnen das Risiko eines Ver
suchs mit dem Anfänger nicht auf sich nehmen
würden, ist nach dem Stand des gegenwärtigen
dramatischen Geschäftsbetriebes nicht nur nicht ver¬
wunderlich, sondern selbstverständlich; da gelingt es
eine kleine Vorstadtbühne, die in der Regel
von der litterarischen Kritik nicht besucht wird,
zu einer Aufführung des Werkes zu veranlassen.
Telephon 12801.
Was sollte in diesem Fall jenen Schriftsteller, der
Alex. Weigl’s Unternehmen für Zeitungs-Ausschn das junge Genie entdeckt zu haben glaubt, hindern,
einige Kritiker auf die Aufführung hinzuweisen,
Ausst
damit sie sich das Drama wenigstens einmal an¬
sehen? Ich würde das in solchem Falle sogar für
„OBSERYER“
eine litterarische Ehrenpflicht halten. Denn dadurch,
I. österr. behördl. conc. Bureau für Zeitungsberichte u. Personaln
daß ein junger Dramatiker seine Gestalten
einmal auf der Bühne sieht, ihre Wirkung
4 ZWien, IX/1, Türkenstrasse 17.
im Lampenlicht auf die Zuschauermenge spürt,
— Filiale in Budapest: „Figyelö“ —
dadurch, daß er am nächsten Tage ver¬
schiedene Stimmen der berufenen Kritik ver¬
Vertretungen in Berlin, Chicago, Genf, London, Newyork, Paris, Rom,
nimmt, lernt er in zwei Tagen mehr für seine
Bühnenentwicklung, als durch jahrelanges Studium.
Man stelle sich einmal vor, Heinrich von Kleist
Ausschnitt aus:
wäre so glücklich gewesen, seine geniale „Familie
Schroffenstein“, oder Grabbe seinen „Herzog
Theodor“ auf der Bühne zu sehen, man darf
vorr 74770 2
thatsächlich annehmen, daß die Lose der
beiden unglücklichen Dichter sich anders gestaltet
hätten. Nicht nur, daß sie ihre Stärken und ihre
Schwächen in scharfem Licht vor Augen gehabt
hätten und dadurch mit einem Schlage in der Reife
— einsichtige
wesentlich gesördert worden wären
Kritiker würden auch auf sie aufmerksam gemacht
Theater und Musik.
und sie fortan nicht mehr aus dem Auge verloren
haben. Also daß aus sachlichen, litterarischen
Ein Nachwort zur Fälschung des Herrn
Gründen eine solche Empfehlung unstatthaft wäre,
von Jurco.
vermag ich nicht einzusehen.
Wir hielten die Angelegenheit der gefälschten“
Ebenso steht es mit dem Verlangen, wir hätten
Telegramme (vergl. die Morgen= und Abend=a
nach Empfang jenes Arthur Schnitzler unterzeichneten
ausgabe vom 26. v. M.) für erledigt, aber einerseits!
Telegramms uns sogleich bei Herrn Dr. Schnitzler
wünscht Herr Dr. Arthur Schnitzler selber noch
erkundigen sollen (doch wohl drahtlich, da sonst die
seinen Zusatz zu unserer Aufklärung des Schwindels,
Zeit nicht ausreichte?), ob er auch wirklich der Ab¬
landererseits wird es unsere Leser interessieren,
sender sei. Du lieber Himmel, so aufregend war die
zu hören, daß der Absender der Empfehlungs¬
Sache doch wirklich nicht. Den Kritikern der großen
telegramme der Verfasser von „Die Kinder der
Berliner Zeitungen fliegen öfters Briefe oder Tele¬
Armen“ selber ist, er nennt sich Gréger Ernest,
gramme von sehr bekannten Persönlichkeiten ins
Edler (!) von Jurco, wohnhaft Wien IV.,
Haus, da hätte man viel zu thun, wenn man sich jedes¬
„ 10 Preßgasse 28. Dieser „Edle“ hat vor der Auf¬
mal sogleich nach einer etwaigen Fälschung erkundigen
führung seines jammervollen Dramas die Naivetät
sollte. Die Sache mußte sich ja ohnehin aufklären.
Abonne gehabt, an den Direktor Karl Weiß zu schreiben:
Dem Namen Schnitzler glaubte ich allerdings einen
„Ich veranlaßte bereits, daß diese Premiere der
Abonne
Besuch der empfohlenen Vorstellung schuldig zu sein.
Aufmerksamkeit der Kritiker sämtlicher bedeu¬
Als ich das Stück ansah, kam mir die Gewißheit,
tenden Blätter Berlins durch einen berühmten
daß eine Fälschung vorliegen mußte und ich deckte sies
Wie Herr
Inhalts Fachmann empfohlen werde.
öffentlich auf, der Kollege einer anderen hiesigen
blätt
von Jurco dies „veranlaßte“, ist jedenfalls ebenso
wodure.
Zeitung machte es ebenso; „korrekter“ konnten wir
praktisch wie interessant, er schrieb die Telegramme
Leben
doch wohl nicht handeln?
selber und fälschte den Namen Arthur Schnitzlers,
Übrigens erkennt das Herr Dr. Schnitzler — ab¬?
der den Edlen hoffentlich dafür noch gebührend zur
gesehen von obigen Meinungsverschiedenheiten —
Verantwortung ziehen wird. Herr von Jurco steht
auch in einem liebenswürdigen Schreiben an mich
übrigens sogar in Kürschners Litteratur=Kalender.
an, und die Sache ist somit für uns erledigt. Hoffent¬
Danach ist er 1866 in Triest geboren und hat schon
lich aber noch nicht für den famosen Herrn „Gréger
mehrere „soziale Dramen“ verübt, von denen die
Karl Strecker.
Ernest Edlen von Jurco“.
Welt bisher zum Glück nichts erfuhr. „Die Kinder
der Armen“ sind schon sieben Jahre alt. Sie werden“
seiner litterarischen Thätigkeit vermutlich nun ein
würdiges Ziel gesetzt haben.
Der Fall giebt im übrigen Anlaß zur Erörterung
einer prinzipiellen Frage. Arthur Schnitzler hatte
am Sonnabend, nachdem in unserer Abendnummer
auf Grund seiner drahtlichen Aufklärung der Betrug
aufgedeckt worden war, noch ein zweites, längeres
Telegramm an mich gerichtet und um dessen „voll¬