VII, Verschiedenes 11, 1902–1906, Seite 32

box 41/2
1. Miscellaneous
Telephon 12801.
Alex. Weigls Unternehmen für Zeitungs-Ausschnitte
„OBSERVER“
I. österr. behördl. konz. Bursau für Zeltungsberichte u. Personalnachrichten
Wien, I., Concordiaplatz 4.
Vertretungen
in Berlin, Budapest, Chicago, Genf, London, New-York,
Paris, Rom, Mailand, Stockholm, Christiania, St. Petersburg.
(Quellenangabe ohne Gewähr.)
Ausschnitt aus: 22 2220 Aucm
vom:
Hose

mt Lnstspielhaus ging gestern unter dem Titel
„Fesseln der Liebe“ die dreiaktige Komödie „Petigig
chagrin“ von Maurice Vaucaire zum ersten Mal
in Szene, das erste nichtdeutsche Stück in dem neuen Hause.
Vaucaire hat bereits eine längere dramatische Vergangenheit!
hinter sich, von der jedoch in Berlin wenig oder garnichts be¬
kannt geworden ist. Er gehörte einstmals zu den eifrigsten
Mitarbeitern am Pariser „Théatre Libre“ von Antoine, bei
dem er bereits im Jahre 1891 ein kleines Versstück „Un
beau soir“ zur Aufführung bringen ließ. Auch in den
folgenden Jahren blieb er einer der getreuesten Anhänger der
französischen „Freien Bühne“, an der u. a. das abendfüllende
Stück „Valet de coeur“ und der Einakter „Poête et
financier“ erschienen. „Petit chagrin“ ist durch den
Wiener Schriftsteller Otto Eisenschitz mit einem ganz irre¬
führenden, viel zu allgemeinen Titel versehen worden. Nicht
die Fesseln der Liebe, die Georges Bretau, einen Mann aus
guten Bürgerkreisen, an die Schauspielerin Mimi Foy bin¬
den, bilden den Hauptinhalt des Stückes, sondern die Eigen¬
art dieses nicht für die Ewigkeit möglichen Verhältnisses.
In einer entschuldigenden Vorrede, die Arthur Schnitzler der
deutschen Uebersetzung des Stückes vorangeschickt hat, drückt
er den Hauptgedanken in seinem echten Wiener „Deutsch“ also
aus: „Und was mir eigentlich für Mimi noch weher tut, als
daß ihr Herz ein wenig bricht und daß es ihr ein wenig
zusammenheilt, ist dieses: daß sie alles, was ihr passieren
wird, im vorhinein gewußt und so auch alle Seligkeit
des Anfangs schon mit der Ahnung von dem
banalen Ende genossen und hingenommen hat“
Das ist die Hauptsache: Da die kleine liebedurstige
Mimi alles „im Vorhinein“ gewußt hat, darum kann ja der
Kummer nur klein sein, darum „petit chagrin“. Vau¬
caire meinte seine alltägliche Liebesgeschichte von der kleinen
Konservatoristin, die allmählich eine große Schauspielerin
wird, offenbar ganz ernst, sie liebte den dummen Jungen, der
sich schon zwanzig Male von ihr verabschiedet hat, um zu
seinem Gänschen von Braut zurückzukehren, offenbar ganz
ehrlich und aufrichtig, aber sowohl der Uebersetzer wie die
gestrige Darstellung machte aus der feinen, anmutigen Sen¬
timentalität des Franzosen zum Teil eine fast parodistische
Posse, zum Teil übertrieb man, namentlich im zweiten Akte,
die Rührseligkeit derart, daß sie auf das Publikum eine ganz
unbeabsichtigte komische Wirkung ausübte. Im Sinn der
von den Darstellern gebotenen Auffassung wurde in einigen
Rollen ganz gut gespielt, während einige Hauptdarsteller
ganz unzulänglich blieben, so namentlich der Vertreter der
männlichen Hauptrolle, Herr Spira, dem jede Innerlich¬
keit fehlte und der die ganze Sache von Anfang an nur als
einen guten Spaß nahm. Auch Frl. Antonie Tetzlaff
(Mimi Foy) hat den seelischen Gehalt der Rolle nicht ausge¬
schöpft: sie zeigte wohl Eleganz des Auftretens und Gefühl,
aber die ganze Figur blieb farblos, ein Schatten. Sehr
humorvoll spielte Marie Wendt das lustige Brunnenmäd¬
chen, und glänzend war wiederum Franz Schönfeld
(Leon), der einen stets verliebten alten Don Inan mit lie¬
Die Szenenbilder
benswürdiger Diskretion wiedergab.
waren sehr geschmackvoll und anmutig ausgestattet. Das
Publikum kam nur langsam in einigermaßen animierte
Stimmung, die jedoch allmählich zu einer resignierten
Langenweile abflaute, die dann bald viele Ungeduldige zu
Telephon 12801.
Alex. Weigls Unternehmen für Zeitungs-Ausschnitte
4
„OBSERVER“
L. österr. behördl. konz. Bureau für Zeltungsberichte u. Personalnachrichten
Wien, I., Concordiaplatz 4.
Vertretungen
in Berlin, Budapest, Chicago, Genf, London, New-York,
Paris, Rom, Mailand, Stockholm, Christiania, St. Petersburg.
(Quellenangabe ohne Gewähr.)
Ausschnitt aus: Aazzt Mrzz:
oa-
vom:


Theater und Musik.
Lustspielhaus:
„Fesseln der Liebe“. Komödie in drei Akten von Maurice
Paucaire, deutsch von Otto Eisenschitz. „Fesseln der Liebe“ hat
der Übersetzer von Vancaires „Petit chagrin“ diesen für den In¬
halt der Komödie bezeichnenden Titel übertragen, dem andere:
Verdeutschungen wie „Kleine Leiden“, „Trennungsschmerzen“ und
andere weit besser entsprochen hätten. Übrigens kann man dem
Übersetzer noch Schlimmeres vorwerfen; vor allem, daß er in der
Flüchtigkeit der Behandlung der Sprache oft bis zur Baualität
herabsteigt. Der deutschen Buchausgabe hat Arthur Schnitzler
ein überaus wohlwollendes Vorwort beigegeben. Wer diese von
kollegialer Liebenswürdigkeit diktierten Zeilen gelesen hatte, ohne
das Buch selbst zu kennen, der durfte mit einigen Erwartungen in
das Stück gehen, ist aber sicherlich in jeder Beziehung enttäüscht
worden. Der Inhalt ist dürftig und alltäglich. Georges Breteau,
der sich auf Wunsch seiner Jamilie mit Fräulein Lucie
Nenouard verlebt hat, will seiner Geliebten den Ab¬
schied
geben und hat ihr
zu
diesem Zweck einen
sehr vernünftigen Brief geschrieben, der jedoch Mimi Foy bewegt,
sogleich nach dem Badeorte zu kommen, in dem sich Georges und
Lucie befinden. Dort kommt es zu einer Szeue zwischen Mimi?
und Lucie und zu einem Psendo=Duell. Ohne Zweifel hätte dieser
Akt Gelegenheit genug zur Entfallung von Witz und Humor ge¬
boten, aber der Verfasser hat diese Gelegenheit nur selten benützt,
und so erweist sich der erste Akt nur als eine langweilige und
Eiberlange Erpositien. Der zweite Alt besteht fast gänzlich aus dem ##
Abschiedssonper Mimis und Georges, die dabei natürlich von der Familie
Renonard ertappt werden. Der dritte Aufzug bringt die von Anfang #
an drohende Trennung der beiden Helden des Stückes, da sich
der gutmütige, aber schwankende Georges mittlerweile in seine
Braut verliebt hat, vermutlich, weil die Verlobung aufgehoben
worden ist, und Mimi verzichtet auf Georges. Indessen ist es
nicht die Dürftigkeit des Inhaltes, die man dem Verfasser zum
Hauptvorwurf machen darf, sondern die schwächliche Art und Weise,
wie er seine Intentionen zu verwirklichen gesucht hat. Überall
halb verwischte Umrisse mit blassen Farben ausgetuscht.
Leider war die Darstellung auch nicht geeignet, den Schwächen?
des Stückes durch eigene stärkere Farbengebung nachzuhelfen. Die
am besten ausgeführte Gestalt und gleichzeitig die einzige bank¬
bare Rolle der Mimi spielte Fräulein Tetzlaff recht liebenswürdig,
aber ohne irgendwelche tiefgehendere Wirkung zu erzielen, was
namentlich im dritten Akt doch möglich gewesen wäre. Ganz un¬
interessant war der Georges Breteau des Herrn Spira, dem für
die mit Schwäche gepaarte gallische Liebenswürdigkeit der Rolle
nur der Ton allergewöhnlichsten Bühnenrontine zu Gebote stand.
Herrn Schönfelds nie versagender gemütlicher Humor kam der
Rolle des Daumesuil zu statten; alles andere blieb den Zuschauern.
ebenso gleichgültig wie das Stück selbst.