VII, Verschiedenes 11, 1902–1906, Seite 34

1 Miscellancous
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das Publitum gestern nicht ein. Fiel ihm nicht ein!
Und doch ist weder der warme Beisall Schnitzlers un¬
aufrichtig, noch das kühlere Urteil der gestrigen
Zuhörerschaft ungerecht. Es ist eben nicht gar so —
selten, und es war anscheinend diesmal der Fall, daß
ein Stück beim Lesen mehr bietet als bei der Auf¬
führung. Die „Fesseln der Liebe“ haben
gestern nicht gefesselt.
Das Stück ist gelegentlich der Pariser und
gelegentlich der Wiener Aufführung an dieser
Stelle besprochen worden. Man kennt also
der
Jüngling,
dem
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die Geschichte von
verlobt ist, aber von seiner Geliebten nicht lassen
kann. Er feiert mit ihr wochenlang wehmütigen
Abschied. Als er aber bei solch einem Sektabschied
erwischt wird und nun aus der Verlobung nichtt
werden soll, da entdeckt er plötzlich die Liebe zu seiner
Brant. Auch sie wird durch die Trennung zur Liebe
geführt, und so finden die beiden sich denn wieder,
indes die Geliebte entsagt — wehmütig, aber doch mit
der Aussicht auf einen Tröster. Im „Abschieds¬
Souper“ von Schnitzler selbst vollzieht die Trennung
sich schneller und ergötzlicher.
Der kleine und nicht gerade sehr überraschende
Gedanke, der dem Stücke zugrunde liegt, der Ge¬
danke, daß kleine Schmerzen die Liebe erhalten
„Petit chagris“ lautet denn auch der besseren
sranzösische Titel), ist Her breit und eintönig be¬
handelt und kommt ###, nicht eben klar zum
Ausdruck. Eine wehmütige Stimmung liegte
zunächst über dem immer wieder hinausgezögertens
uares. Etwas von der weichen,
Abschied des
Die der „Amants“ von Donnay##
schmelzenden
Die Liebe in Konflikt mit einer
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klingt da
das ist immerhin eine Idee, eine#
Verlobun¬
Alnation. Aber der Mann, der erst zähr
dramatis¬
an der ##oten hängt, weil man ihn verloben will,
der aber ann mit aller Leidenschaft zur Braut strebt,
weil mun die Verlobung lösen will — dieser Manni
wird schließlich läppisch und verliert unser Interesse.)
Um seiner kleinen Idee, um seiner These willen hatt
sich Maurice Vaucaire sein Stück verdorben.
Die drei Akte, so kurz sie an sich sind, verarmen
schnell, leiden an Längen und ermüden. Die Ueber¬
setzung von Otto Eisenschitz, der sonst manche
schöne Uebertragung lieferte, scheint in allzugroßer
Eile angefertigt und hat nichts getan, die Monotonie¬
zu bannen. Der Dialog wimmelt von französischenz
Wendungen wie etwa: „Und der Brief an Deiner

Mutter? Wolltest Du ihr nicht schreiben?“
Die Infzenierung von Victor Barnowsky
hat sehr viel getan, um dem Werke einen reizvollen
Rahmen und eine gewisse Frische zu geben. Die drer
Szenerien boten wahre Meisterwerke echter und
intimer Bühnen=Ausgestaltung. Die Kolonnade vor
dem Brunnentempelchen eines Badeortes, das raff ierte
ausgestattete Extrazimmer und Souper in eien
eleganten Restaurant, endlich das Heim einer junger
Bühnenbilder
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lanter prächtige
Künstlerin
(Fortsetzung in der 1. Beilage.)
Hierzu 3 Beilagen.
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(Fortsetzung aus dem Hauptblatt.)
In der Darstellung ragte Frl. Antonie Tetz=
laff ganz besonders hervor. Von Stuttgart,
von Hamburg her vernahmen wir mancherlei über
dietes eigenartige Talent, es waren früher auch schong
Unterhandlungen wegen eines Engagements der
Künstlerin für eine große hiesige Bühne im Gange,
aber gestern zeigte sie sich zum ersten Male demg
Berliner Publikum. Eine interessante künstlerische“
Bekanntschaft. Frl. Tetzlaff traf in der eleganten
und pikanten Erscheinung, im munteren Ton ganz das
Wesen der jugendlichen, aus dem Konservatorium in
den Lebensgenuß hineinspringenden Künstlerin. In
der Wehmnt über die Trennung, in der Regung
verhaltenen Schmerzes lag wahres und echtes
Empfinden. Die kleine Schwips=Szene war
diskret und reizvoll durchgeführt. Die Gegenfigur,
das junge Bürgermädchen, fand in Frl. Sorger
die richtige Darstellerin, die den Uebergang vom
jungen Gänschen zum liebenden und für seine Liebe
eintretenden Weib glaubhaft darstellte. Der sentimen¬
tale Liebhaber war dagegen keine Aufgabe für das
Talent des Herrn Spira, das auf so ganz anderem
Gebiete liegt. Heir Franz Schönfeld gestaltete den
alternden und restqnierenden Lebemann mit großem
Charakterisierungs=Geschick und einem wirksamen Zug¬
heiterer Selbstironie aus. Den übrigen Darstellern
irgendwie bemerkenswerte Aufgaben nicht
sind
gestellt. So darf denn die Darstellung für
sich allein den Beifall in Anspruch nehmen, der freilich
schnell ermattete und zuletzt gegen einen Widersprucht
anzukämpfen hatte, der dem Stücke galt. Jedenfalls
kam das „Lustspielhaus“ mit seinen Darstellern und
seiner Regie gestern weit besser fort als Vancaire mit
seinen „Fesseln der Liebe“ die wenig Gegenliebe
J. #
fand.