VII, Verschiedenes 11, 1906–1909, Seite 20

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Breslauer Cheater.
II. II. Lobe=Theater. „Vom andern üfer.“ Die dre'
Schnitzlerschen Einalter, die gestern im Lobe=Theater gespielt wurden,
waren gar nicht von Schnitzler, sondern von Felix Salten. Möglich.
daß Schnitzler sie noch eine Kleinigkeit besser, pointierter gestaltet hätte;
jedenfalls ist es ihnen nicht schlecht bekommen, daß sie von einem andern
jungwiener Dichter, Salten, sind. Ich will nicht im entferntesten Salten,
einem der liebenswürdigsten Talente der Wiener Schule, den Vorwurf
machen, daß er ein Nachbeter Schnitzlers ist. Aber so, wie sich Eheleute
allmählich ähnlich werden sollen, kommt es eben auch vor, daß Dichter.
die dieselbe weiche Luft atmen, die in gleicher Weise ihr Leben in
spielerischer Grazie, in halb fröhlichem, halb sentimentalem Genießen
verbringen wollen, allmählich in der Art zu sprechen, ja auch in der Art
zu denken, unleugbare Aehnlichkeiten aufweisen. Sie erhalten dann auch
für ihr tünstlerisches Schaffen dieselben Vorzüge, dieselben Mängel. So;
hat auch Salten den Fehler, daß er sich von dem Behagen am Plaudern
fortreißen läßt, aber er hat auch den Vorzug gemeinsam mit Schnitzler,
daß seine Gespräche nie fade und trivial werden. Wichtiger ist das
Spielen mit gleichen Problemen, das Hin= und Herwerfen der gleichen
Gedanken. Auch in den drei Saltenschen Einaktern kehrt der grade von
Schnitzler oft behandelte Gedanke wieder, daß das Leben nur ein Spiel,
das Spiel oft das wahre Leben ist, und daß wir die Wahrheit erst er¬
kennen, wenn „die letzten Masken“ fallen, wenn wir durch eine überraschende
Situation erst die krausen Dinge dieser Welt „vom andern Ufer“ aus in
der richtigen Distanz zu erblicken Gelegenheit haben. In der ersten
kleinen Komödie „Der Graf“ wird Graf Festenberg, der sich diesen
Titel, um seine altadlige Frau zu erringen, beigelegt hat, von einem
eifersüchtigen Vetter seiner Frau als ehemaliger Kellner entlarvt. Aber
grade in diesem Moment zeigt er, daß er der eigentlich Vornehme ist,
während der gräfliche Vetter ein niedriger Plebejer bleibt; man glaubt es
ihm, daß er ein gewisses Recht hatte, die Laune des Schicksals zu ver¬
bessern, und daß der angemaßte Grafentitel viel besser seinem innersten
Wesen und seinen Fähigkeiten, des Lebens Herr zu werden, entspricht,
als der ehrsame Kellnerberuf. Im zweiten der drei Einakter, dem Schau¬
spiel „Der Ernst des Lebens“, reißt der junge Frhr. v. Neustift
seinem Schwager und ehemaligen Hauslehrer, dem berühmten Arzt, die
Maste vom Gesicht. Der Arzt hat ihm schonungslos mitgeteilt, daß er nur
noch wenige Monate zu leben habe; nun droht er, ihn zu erschießen, und
zwingt ihn so, seine wahre Gestalt zu zeigen; zu beweisen, daß seine
selbstgerechte, blutleere Moral und sein gepriesenes Pflichtgefühl ihm auch
keinerlei festen inneren Halt gegeben und daß sein ganzes Leben nur ein
niedriger, kleinlicher Haß gegen diejenigen war, denen ein gütiges
Schicksal die Möglichkeit und die Kraft freieren, fröhlichen Genießens ge¬
geben hat. Die Schlußszene dieses Schauspiels ist von starker drama¬
#tischer Spannung, wenn auch eine Spannung, die durch einen 15 Minuten
schußbereit emporgehaltenen Revolver erzeugt wird, nicht gerade den
Gipfel künstlerischer Gestaltung darstellt. Sudermann hätte die Szene
vielleicht auf 16 Minuten ausgedehnt; er kennt sein Theaterpublikum.
= Den Schluß des Abends bildete eine Burleske, „Die Auf¬
serstehung“. Die Idee, daß ein Mann auf dem Sterbebett eine ehe¬
manige Gentevte, von der er ein Kind hat, die aber längst mit einem
anderen zusammenlebt, heiratet, dann wider alles Erwarten gesundet,
und nun in die lächerlichsten Situationen gerät und der „Hanswurst#
seiner edlen Tat“ wird, bis er sich kurzerhand entschließt, zu verduften,
um so gewissermaßen die auf dem Sterbebette erweckten Hoffnungen zu
erfüllen, wird zwar ein wenig zu Tode gehetzt, namentlich in den An¬
spielungen auf seine Verpflichtung, eigentlich tot zu sein, ist aber doch
recht lustig und ergötzlich. — Das Publikum nahm alle drei Stücke mit
sehr herzlichem Beifall auf; das erste vielleicht nicht zum wenigsten des¬
halb, weil es stets mit dem Proletarier sympathisiert, der einem
Aristokraten die Tür weist. Die Darstellung war im allgemeinen zu
loben, wenn sie auch keine rechten Höhenpunkte und Glanzpunkte auf¬
wies.
Im ersten Stück erfreute Herr Wolfram als gräflicher Kellner
durch seine gute Erscheinung und sein gewandtes und elegantes Spiel;
ihm standen Frl. Hammer als die getäuschte Gräfin und Herr
Müller als alter, edler, leichtlebiger Graf gut zur Seite. Dagegen ver¬
griff sich Herr Bauer in der Darstellung des Vetters vollständig; er
spielte ihn leidenschaftlich erregt, statt unangenehm korrekt und kühl.
Im zweiten Drama spielten Herr Müller als Arzt und Herr Senius
als junger Todeskandidat sehr natürlich und charakteristisch; die ge¬
schraubte Situation der Revolverszene vermochten sie nicht ganz aus der
hohlen Theatralik herauszuretten. In der kleinen Rolle der Frau des
Arztes suchte Frl. Fels hervorzutreten. Man sollte Rollen überhaupt
niemals künstlich zu vergrößern suchen, namentlich aber dann nicht,
wenn man gar nicht das Zeug dazu hat. In der lustigen Schlußkomödie
endlich gab es ein treffliches Trifolium: Herr Wallauer als Auf¬
erstandener, Frl. Decarli als die „plötzliche Frau“ in ihrer gut¬
mütigen Verlegenheit und absoluten Hilflosigkeit gegenüber der neuen
Situation und Herr Kundert als nervöser Klavierlehrer mit dem
älteren Rechten. Die Regie hatte eHrr Bonno in allen drei Stücken mit
Dlingen gef