VII, Verschiedenes 11, 1912–1913, Seite 11

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Miscellan
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VI. Jahrgang.
Wien, am 15. September 1912.
Nr. 18.
Inhalt: Vom Burgtheater. — Das Strafverfahren. Von Dr. Karl Richter. — Die Mission des Kommis. Von
Wilhelm Nhil. — Mitteilungen aus dem Publikum. — Notizen: Buchlau. Von L. Landesgerichtsrat Dr. Stolz.
Das europäische Gleichgewicht. Schöffen oder Geschworene. Lebhafter Beifall und Händeklatschen. Der Ver¬
urteilungswille. — Wirtschaft: Eine Reform des Scheckwesens. Von Dr. Heinrich Herbatschek. Das serbische
Getreideausfuhrverhot. — Theater, Kunst und Literatur: Deutsches Volkstheater. — Feuilleton:
Reisebriefe. Von-g. m. Truglicht. Von Julius Thumann.
Schreier, der, soweit ihm sein schwerer Dienst
Vom Burgtheater.
freie Zeit lässt, selbst literarisch tätig ist, Her¬
mann Bahr wirklich für einen „Theaterfach¬
Wir gestehen es offen ein, niemals wäre es
mann, der alle Kunstgebiete der letzten Jahr¬
uns eingefallen, über den langjährigen Degene¬
zehnte mit Aufmerksamkeit verfolgte und in
rationsprozess im Burgtheater auch nur ein
seinen Kritiken manche lebende Zeichen von
Wort zu verlieren. Haben wir uns ja schon
Produktivität gegeben hat“? Ja, gewiss, er ver¬
lange mit dem Gedanken abgefunden, dass
folgte sie mit Aufmerksamkeit, aber nicht um
alles, was lebt, des Unterganges wert ist, und
der „Kunstgebiete“ willen, sondern bloss zu
nur in seltenen, sehr optimistischen Momenten
seinem eigenen Nutzen und Frommen. In allem
überkam uns der Gedanke: Vielleicht doch,
und jedem gab er seine nichtssagende Meinung
vielleicht wird einmal für das Burgtheater der
ab, um für sich Reklame zu machen, um sich in
Mann erstehen, der der ersten Stätte deutscher
Szene zu setzen, was ihm auch, wie figura zeigt,
Dichtkunst den alten Glanz und Ruhm wieder
tatsächlich gelungen ist. „Dass er der richtigste
zu verleihen vermöchte. Also, wie gesagt, wir
Mann für die „Burg“ wäre, wird wohl niemand
hätten die misslichen Zustände im Burgtheater
ernstlich in Abrede stellen?“ Verzeih’, lieber
und die durch den Heimgang Baron Bergers
Freund, aber wir glauben, wir sind nicht die
aktuell gewordene Direktorfrage niemals zum
ersten, die dies ganz entschieden in Abrede
Gegenstande unserer Betrachtung gemacht, hätte
stellen. Denn ganz abgesehen davon, dass seine
nicht unser achtungswerter Freund und Kollege
Regiekunst in den Berliner Kammerspielen ver¬
Ma. Schreier im „Morgen“ vom 9. d. M.
sagte, ist dieser literarische Commis voyageur
Herrn Hermann Bahr ganz ernstlich als den
bar jenes Ernstes, ohne den die wahre Kunst
„natürlichen Kandidaten“ für den Direktor¬
nicht existieren kann. In Amerika ist neuerlich
posten vorgeschlagen. Auch Artur. Schnitz¬
die Frage aufgetaucht, ob es nicht dem Arzte
lers gedenkt Schreier in seinen Ausführungen
zu gestatten wäre, seinem unheilbaren Kranken
und er sagt von ihm, er wäre der „zweifellos
ein rasch und sicher tötendes Gift darreichen zu
bedeutendste Schriftsteller, der je das Direk¬
dürfen. Will man das Burgtheater für einen so
tionsamt im Burgtheater bekleiden würde“ ein
aussichtslosen Kranken halten, dann wäre wohl
Ausspruch, dessen Richtigkeit wir allerdings
Hermann Bahr das sicherste und am raschesten
gerne bestätigen. Fragt sich nur, ob die beden¬
tendste schriftstellerische Tätigkeit jemanden
tötende Gift.
auch zum bedeutendsten Burgtheaterdirektor
Hermann Bahr und Burgtheater! Herrgott,
qualifiziert? Und es fragt sich weiter, ob im
bewahr’ uns vor dieser Not!
Falle der Bejahung dieser Frage nicht vorzu¬
Auch Baron Bergers erinnert sich der Ar¬
ziehen wäre Artur Schnitzler, diesen wirklich
tikel. Es wird um sein Haupt eine Gloriole
nérvorragendsten Dramatiker Oesterreichs auf
gewoben, die wir praesente cadavere nur sehr
seinem Posten zu belassen, statt ihm nit
ungerne berühren. Wir möchten viel lieber
Regie-, Repertoiresorgen und administrativen
dem altbewähten Sprichworte: de mortuis nil
Agenden zu belästigen.
nisi bene huldigen, als den harten, aber not¬
Um aber auf Hermann Bahr zurückzukom¬
wendigen Worten: de mortuis nil nisi vere.
men. Wir stehen nicht an, offen zu erklären,
Aber dennoch müssen wir es tun, bei aller
dass uns die furchtbare Selbsttäuschung unseres
Achtung vor den übrigen Qualitäten des, leider
ehrenwerten Freundes und Kollegen Max
Verstorbenen, und man möge uns deshalb nicht
Schreier mit einer gewissen Art von Kummer
für pietätlos halten, wenn wir die Erklärung
und Traurigkeit erfüllt hat. Wie? Also nicht
wagen: auch Baron Berger war nicht der Direk¬
nur die misera plebs in der österreichischen
tor, den das Burgtheater gebraucht hat. Und
Literatur, sondern auch seriöse Männer sitzen
diesem Verderber der Kunst auf? Hält Max j wenn wir durch diesen unsern Ausspruch der